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Christian Würfl: "Architektur muss Mensch und Umwelt dienen, sonst wird sie nicht mehr akzeptiert."

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 2. Sep. 2021
  • Lockdown macht lokale Planungskoordination im Ausland unmöglich
  • Genehmigungsplanung für Allianzarena-Fassade als wichtiger Entwicklungsschritt
  • Personalführung: hire and fire unvorstellbar

Dipl.-Ing. Christian Würfl ...

...ist Gesellschafter und Prokurist von formTL aus Radolfzell am Bodensee. Er leitet das Planungsbüro mit über 20 Mitarbeitern in den Bereichen Hochbau und Architektur gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Dipl.-Ing. Bernd Stimpfle.
Würfl
Dipl.-Ing. Christian Würfl ist Gesellschafter und Prokurist von formTL aus Radolfzell am Bodensee. Foto: andreas-kochloeffel.de

Das Unternehmen hat sich auf den Leichtbau und hier die Planung besonderer Tragwerke und Gebäudehüllen aus formweichen Werkstoffen, wie Membranen und Folien, spezialisiert. Die Tragwerke bestehen dabei aus Stahl, Aluminium und Holz, Stahlseilen oder Membranen. Für die Gebäudehüllen kommen Membrane, ETFE-Folie, Blech, Glas und PMMA oder Edelstahlgewebe zur Anwendung.

Als Partner von Tensinet, einer Plattform für Entwickler und Anwender von gespannten Membranstrukturen (engl.: tensioned membrane structures), ist Würfl mit seinem Büro an Forschungsvorhaben beteiligt und in der Leichtbaulehre aktiv. Hinzu kommt die Mitarbeit in relevanten Normenausschüssen.

Herr Würfl, was fordert Sie aktuell besonders in Ihrem Job?

Viele Entwicklungen, ausgelöst oder verstärkt durch die Pandemie, verändern unsere Planungsprozesse und das berufliche Miteinander tiefgreifend. Mich beschäftigen dabei insbesondere cloudbasierte Arbeitsmethoden, die veränderte Kontaktkultur durch Homeoffice und Reisebeschränkungen, sowie die Auswirkungen von Marktstörungen auf Baukosten und Termine.

So durften wir ein großes Fassadenprojekt in Riyad begleiten, bei dem die von uns geplanten Komponenten international, sowie auch lokal auf der arabischen Halbinsel hergestellt wurden. Mit den Lockdowns musste kurzfristig die Planungs- und Fertigungskoordination auf remote - also ferngesteuert - umgestellt werden.

Aufgrund von pandemiebedingter Kapazitätsreduktion wurden mehrere Lieferanten in das Projekt integriert, was auch planerisch zusätzliche Schnittstellen bedeutete. Dies konnten wir durch die grundsätzlich parametrisch aufgebaute Planung und durch zusätzlichen Personaleinsatz leisten. Zu Gute kam in dieser Situation die Zusammenarbeit mit langjährig verbundenen Projektpartnern in der Region, die die Kommunikation unterstützten.

Auch bei anderen Projekten in Mitteleuropa zeigte sich, dass viele heute eingesetzte Bauprodukte ein Ergebnis internationaler Lieferketten darstellen. Auch bestätigte Preise und Lieferzeiten sind bei lokalen Störungen, wie Einreisebeschränkungen oder lokalen Lockdowns in Asien, schnell gefährdet. Wir konnten das insbesondere bei Drahtseilen, Stahlgussbauteilen und Holzwerksstoffen feststellen, die in den von uns betreuten Bauwerken eingesetzt wurden.

Wie lange sind Sie schon in der Branche tätig und warum?

Im Jahr 1996 begann ich nach dem Bauingenieurstudium in einer spezialisierten Baufirma mit der Bauleitung bei Leichtbauten. Die Geschwindigkeit, mit der die hochgradig vorgefertigten Strukturen gebaut werden, faszinierte mich schon immer.

In der Folge verlagerte sich der Fokus meiner Aktivität zunehmend Richtung Planung. Die praktischen Erfahrungen aus den ersten Berufsjahren helfen mir nach wie vor beim Bewältigen der unterschiedlichen Anforderungen, die an Planer heute gestellt werden.

Höhepunkte in meiner beruflichen Aktivität gab es viele. Wichtig in meiner persönlichen Entwicklung war auf jeden Fall die Genehmigungsplanung für die einzigartige Fassade der Allianzarena in München, sowie die Planungsaufgaben, die wir für das Olympiastadion in Kiew erfüllten.

Dort durften wir neben der Membranplanung die Montage des schweren Seilnetzes betreuen. Das brachte mich technisch und kulturell weiter, da für den Projekterfolg die Integration der Belange aller lokal Beteiligten nötig war.

Welche Wege geht Ihr Unternehmen in punkto Personalgewinnung?

Wir sind ein moderner Arbeitgeber und entwickeln uns proaktiv, um gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die zu bedienenden Themen sind hier vielfältig, angefangen von immer hochwertig ausgestatteten Arbeitsplätzen, einer gesunden Arbeitsumgebung, Weiterbildungsmöglichkeiten, aktivem Teambuilding, über Vertrauensmitarbeiter und dem immer wichtiger werdenden Angebot von mobilen Arbeitsmöglichkeiten.

Entscheidend ist für mich das Thema Vertrauen. formTL ist ein Team, das auf alle setzt und jeden individuell und langfristig fördert. Eine Kultur von hire and fire (dt.: Einstellen und Kündigen; Anm. d. Red.) lehnen wir bei formTL zutiefst ab.

Um Mitarbeiter zu finden, setzen wir schon immer auf das Anbieten von Praktikumsplätzen. Man lernt sich kennen und junge Mitarbeiter finden im günstigem Fall Gefallen an den Aufgaben, der Technologie und dem Betrieb insgesamt.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: "Um erfolgreich zu planen und zu bauen kommt es in Zukunft darauf an, dass..."

...man nachhaltige Lösungen findet. Die Akzeptanz für Architektur, die nicht den Menschen und der Umwelt dient, wird zunehmend geringer.

Zusammen mit Nachhaltigkeit werden insbesondere für uns Planer die weiter ansteigende Geschwindigkeit der Planungsprozesse, häufig wechselnde Standards bei den digitalen Formaten und die zunehmende Integration von Industriepartnern in frühen Planungsphasen wichtig sein.

In welche Technik investiert Ihr Unternehmen?

Wir schätzen unseren Digitalisierungsgrad als hoch ein. Bedingt durch den erhöhten Anteil Heimarbeit in der Coronazeit haben wir unsere Fähigkeiten verstärkt in diesem Bereich verbessert.

So wurden verschiedene Kommunikationsplattformen installiert. Favorit ist derzeit die Teams-App. Wir mussten feststellen, dass unsere Kunden auf unterschiedliche Systeme setzen, deren Nutzung wir bei uns natürlich ermöglichen, um besten Service zu bieten.

Hierbei die Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit zu erfüllen, erforderte viel Einsatz. In mehreren Schritten haben wir die Qualität der Homeoffices verbessert. Investitionen in Glasfaserleitungen, zusätzliche Hardware und Clouddienste halfen uns, kontinuierlich und zuverlässig produktionsfähig zu sein.

Welchen Wunsch haben Sie an die Politik?

Bedingt durch unser Portfolio sind wir daran gewöhnt, Planungsaufgaben oft im Ausland zu erfüllen. Wir erkennen dabei, wie unnötig kompliziert das Bauen in Deutschland ist.

Die 16 Landesbauordnungen sind ähnlich und doch im Detail unterschiedlich. Der Nutzen dieser kleinteiligen Überregulierung erschließt sich mir nicht.

Wie sieht Ihre individuelle Weiterbildung aus?

Die Weiterbildungsangebote sind zunehmend inflationär. Die passenden Formate zu finden, braucht eine gewisse Struktur. Bei formTL führen wir hierzu schon seit Jahren dokumentierte Beurteilungen über die besuchten Fortbildungen. Wenn neue Fortbildungen anstehen, lässt sich hieraus oft die zu erwartende Qualität einer Maßnahme abschätzen.

Für mich sind die mittlerweile etablierten Onlineformate eine absolute Bereicherung. Schulungen sind einfach zu buchen und unkompliziert wahrzunehmen.

Nichtsdestotrotz schätze ich Präsenzveranstaltungen, wie Kongresse und insbesondere den ERFA-Kreis von Planer am Bau, bei dem ich mit Unternehmern und leitenden Angestellten über sämtliche Themen des Alltags Austausch finde. Die ergänzenden Fachreferate sind immer wieder bereichernd.

Welchen Ausgleich haben Sie zum Beruf?

Sport und Familie geben mir den besten Ausgleich. Hier im äußersten Süden der Republik sind die Alpen schnell erreichbar. Wandern und Biken im Sommer und Skitouren im Winter sind Highlights, die im Alltag helfen, konzentriert und fokussiert aktiv zu sein.