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Heinrich Schroeter: "Die Politik muss Macher bremsen."

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 21. Apr. 2022

# 18.05.2022

Heinrich Schroeter, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau a.D. | Bundeswehr legt Grundstein für Karriere im Bauingenieurwesen - Kritische Haltung zum Straßenbau seit den 1970er Jahren - BIM fördert direkte Kommunikation und damit Erfolge im Bauwesen

Dr.-Ing. Heinrich Schroeter

Dr.-Ing. Heinrich Schroeter war von 2007 bis 2016 Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Foto: Birgit Gleixner
Dr.-Ing. Heinrich Schroeter war von 2007 bis 2016 Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Foto: Birgit Gleixner

Dr.-Ing. Heinrich Schroeter war von 2007 bis 2016 Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Sein Nachfolger im Amt ist bis heute (siehe Quellen und Verweise).

Vor seiner Wahl zum Kammerpräsidenten war er zunächst Mitarbeiter verschiedener Ausschüsse (1991 bis 1995 Europaausschuss und 1995 bis 2007 Haushaltsausschuss, seit 1999 als Vorsitzender des Ausschusses).

Von 1980 an baute Schroeter ein eigenes Ingenieurbüro für Tragwerksplanung zuerst in München und dann in der Oberpfalz auf. 1989 erfolgte die Ernennung zum Prüfingenieur für Baustatik der Fachrichtung Metallbau durch das bayerische Innenministerium, 1994 die Erweiterung der Zulassung auch für die Fachrichtung Massivbau und 1998 zudem als Verantwortlicher Sachverständiger für Standsicherheit.

1995 kam es zusammen mit Rupert Kneidl aus Pressath zur Umwandlung des Büros in eine GmbH. Das Büro ist neben der Prüftätigkeit auf allen Gebieten des Hochbaus tätig, unter anderem weltweit für verschiedene deutsche Anlagenbauer. Zahlreiche Aufträge wurden auch im Bereich der Denkmalpflege übernommen. Am 7. April 2022 feierte Heinrich Schroeter seinen 80. Geburtstag.


Herr Schroeter, was hat Sie in Ihrem Berufsleben besonders gereizt bzw. gefordert?

In meiner beruflichen Laufbahn wurden immer wieder herausfordernde Aufgaben an mich herangetragen, ohne dass ich besonders danach gestrebt hätte. So lief es mit meiner Promotionsarbeit und auch bei meiner Kammerpräsidentschaft.

In letzterer Funktion ging es vor allem um die Weiterentwicklung der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau. Anders als in anderen Bundesländern, gibt es in Bayern keine Pflichtmitgliedschaft. Wir waren also schon immer ein "freier Haufen", den es zu überzeugen galt, wenn man Beteiligung wollte.

Heute platzen die Ingenieuretage der Kammer aus allen Nähten, was früher anders war. Daran erkennt man unter anderem, dass es mir zusammen mit einem guten Team gelungen ist, bei den bayerischen Bauingenieuren den Stellenwert ihrer Interessenvertretung zu steigern.

In meinem eigenen Ingenieurunternehmen habe ich erfreulicher Weise ähnliche Erfahrungen machen dürfen. So kam es einmal vor, dass ich nach Feierabend noch einmal ins Büro ging, wo ich mich wunderte, dass nicht abgeschlossen war.

Drinnen traf ich auf meine Angestellten, die mir mitteilten, sie hätten noch zu arbeiten, das Projekt müsse schließlich rechtzeitig fertig werden. Diese nicht selbstverständliche Arbeitsmoral seitens der Belegschaft und freiwillige Einsatzbereitschaft für mein Büro hat mich sehr gefreut und berührt mich noch heute.


Wie lange waren Sie in der Branche tätig und warum? Was war Ihr beruflicher Höhepunkt?

Meine berufliche Karriere wurde maßgeblich durch die Bundeswehr initiiert. Als Wehrpflichtiger kam ich 1961 nach München zu den Pionieren. Der Dienst gefiel mir und ich wurde 1963 Berufsoffizier. 1967 schickte man mich zum Studium des Bauingenieurwesens an die Technische Hochschule München. Die numerische EDV, also der Vorläufer der Informatik, hätte mich mehr interessiert, aber das war für uns Pioniere damals nicht üblich.

Durch mein Engagement in der Studienreformkommission sowie den Eintritt in die SPD verkomplizierte sich die Zusammenarbeit mit meinem Arbeitgeber, da diese Parteizugehörigkeit damals für viele in der Bundeswehr ein rotes Tuch war.

So zahlte ich 1972 nach dem Diplom-Abschluss die Kosten für mein Studium zurück und schied aus dem aktiven Dienst, um kurzzeitig bei der Südeisenbau zu arbeiten und bis 1979 als wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Baustatik der Technischen Universität München meine Promotion zum Thema "Berechnung idealer Kipplasten von Trägern veränderlicher Trägerhöhen mit Hilfe Hermite’scher Polynome" zu schreiben.

Mit der Zeit merkte ich, dass sich mein Interesse für Kunstgeschichte oder auch für die Romanistik mit der Arbeit als Bauingenieur sehr gut verbinden ließ. Hinzu kam die Erkenntnis, dass die vielschichtige Arbeit der Bauingenieure eigentlich weitestgehend unbekannt war. Wen man zum Teil in der Öffentlichkeit als Ingenieur lobte, war für mich in Wirklichkeit keiner.

Oft handelte es sich vielmehr um Architekten mit großen Visionen, bei denen die Kräfte spazieren geführt wurden und die mit der praktischen Umsetzung, also der eigentlichen Ingenieurskunst, zu tun hatte. Mein wahrer, aber weniger beachteter "Gott" und ein Vorbild war in diesem Zusammenhang seit jeher der großartige Jörg Schlaich.

In meinem letzten großen Projekt, der Sanierung des Markgräflichen Opernhauses in Bayreuth, kamen noch einmal alle Facetten des Ingenieurwesens zusammen. In Gänze wirkten hier Menschen aus 28 verschiedenen Fachrichtungen. Aufgrund solcher Projekte hat mir die Ausübung meines Berufs bis zuletzt unheimlich viel Spaß gemacht.


Was müssen junge Menschen heute für den Beruf des Bauingenieurs mitbringen und was müssen Ihnen Ihre Arbeitgeber bieten?

Zeitlebens bin ich immer wieder auf eine buchstäbliche Sprachlosigkeit unter den Bauingenieuren gestoßen. Zum Glück wird heute in der Ausbildung und im Studium mehr Wert auf Kommunikation und die sprachlichen Kompetenzen im Beruf gelegt. Für beide Seiten, die Angestellten wie auch die Unternehmer, ist dies von entscheidender Bedeutung.

Zu meiner aktiven Zeit habe ich mich am liebsten mit einem Architekten und einem Haustechniker für ein Wochenende zusammen getan. Wir haben dann gemeinsam den ersten Entwurf auf einem weißen Blatt Papier entwickelt. Alle relevanten Fachbereiche saßen somit an einem Tisch. Es war die Vorwegnahme von BIM und der Schlüssel zum Erfolg. Die Bereitschaft zur offenen und ehrlichen Kommunikation ist und bleibt für das Bauwesen unabdingbar.


Bitte vervollständigen Sie den Satz: "Um erfolgreich planen und bauen zu können, kommt es in Zukunft darauf an, dass..."

...man, wie gesagt, im Team arbeitet. Alle Beteiligten, Architekten, Ingenieure und Techniker, müssen zusammen kommen.

Dabei kann der Austausch manchmal auch ohne Worte stattfinden, aber dann bitteschön live vor Ort, damit man das dezente Stirnrunzeln oder vehemente Abwinken des anderen auch mitbekommt und ernst nimmt. Mimik und Gestik verraten so viel und lassen sich nicht ersetzen.


Welchen Stellenwert sollten Digitalisierung und Technik im Bauwesen haben?

Ich habe das Building Information Modeling, die größte aktuelle technische Innovation in unserer Branche, von Anfang an unterstützt. Andere dagegen müssen auch heute noch zu dieser Methode hingetragen werden, weil sie befürchten, die Kreativität des Einzelnen gehe verloren.

Ich bin überzeugt davon, dass kreative Ideen im Ingenieurwesen weiterhin gefragt und möglich sind. Diese werden nun im digitalen Gemeinschaftsprozess in Echtzeit an die Wirklichkeit angepasst. BIM zwingt uns zur Zusammenarbeit und erfordert deshalb Disziplin. Letztlich ist das aber nicht neu, da beim Bauen noch nie jemand etwas alleine vollbringen konnte.

Gut ist es, dass sich die Knochenarbeit des Rechnens mit der modernen Technik erledigt hat. Aus genau diesem Grund hat der Bauingenieur Konrad Zuse einst den Computer erfunden.


Welche Aufgaben hat die Politik mit Blick auf die Baubranche vorrangig zu erfüllen?

Das neue Bundesbauministerium ist sicherlich eine Bereicherung. Leider begreift es sich hauptsächlich als Ministerium für den Wohnungsbau. Wieder einmal wird dadurch deutlich, dass seitens der Politik der Wert der gesamten baulichen Infrastruktur in Deutschland, auch und gerade im Hinblick auf die Versorgung der Menschen, nicht gesehen bzw. begriffen wird.

Auf der Ebene der Länder bin ich zwar ein Freund des Föderalismus, jedoch meine ich, dass wir keine 16 unterschiedlichen Bauordnungen benötigen. Für zielführender halte ich hingegen zum Beispiel eine bundeseinheitliche elektronische Baugenehmigung.

So fehlerhaft und unzureichend die Politik im Allgemeinen manchmal auch sein mag, sie ist besser als eine vermeintlich klügere Expertenregierung. In 50 Jahren Parteizugehörigkeit habe ich gelernt, dass Demokratie ohne bürgerliches Engagement nicht möglich ist. Tatsächlich bin ich froh, wenn sogenannte "Macher" durch die Politik gebremst werden.

Beispielhaft für eine in meinen Augen lange verfehlte Politik sind die Entscheidungen im Straßenbau. Hierzu habe ich seit den 1970er Jahren eine eher kritische Haltung. Ich bin überzeugter Bahnfahrer und lebe konsequenterweise seit zehn Jahren ohne Auto.

Für mich steckt dahinter auch die Überzeugung, dass das Teilen und der individuelle Verzicht gesellschaftliche Notwendigkeiten sind. Der Traum von der Villa am Meer kann von vielen geträumt werden. Würde er jedoch für jeden und jede von uns wahr, entspräche das Ganze einem Albtraum.


Worauf haben Sie bei Ihrer individuellen Weiterbildung Wert gelegt?

Ein Ingenieur, der nicht ständig etwas Neues lernen möchte und danach sucht, hat den Beruf verfehlt. Und wenn es dabei "nur" um eine neues Schraubensystem geht, das ist egal, Hauptsache man interessiert sich. Es gibt dafür so viele tolle Quellen in Fachzeitschriften und Seminaren.

Die Bauakademie Biberach, an der ich auch selbst Vorträge gehalten habe, war für mich immer ein toller Ort der Weiterbildung und des fachlichen Austauschs. Sehr lohnend empfand ich auch immer jegliche Stammtische der Berufsgruppe, wie sie zum Beispiel der BDB anbietet.

In Heinrich Bölls Roman „Billard um halb Zehn“ kommuniziert ein Prüfingenieur allein durch Briefe mit seinen Untergebenen, welche wiederum ihre Berechnungen kommentarlos zurücksenden. Dieses Bild des Ingenieurs halte ich für unwürdig.

Als Ingenieure können wir vielleicht Brot und Butter-Aufträge im stillen Kämmerlein abarbeiten. Herausragende Projekte bringt man damit allein nicht zustande. Entscheidend ist die direkte Kommunikation und die Frage an mein Gegenüber: Können Sie mir das erklären? Das stellt für mich einen ingenieursmäßigen Austausch dar, durch welchen man zu neuen Sichtweisen und letztlich auch zu Lösungen kommt.


Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ich werde sicher noch die ein oder andere Wandertour mit meinen Töchtern unternehmen. Für den Sommer ist beispielsweise ein Ausflug nach Frankreich geplant.

Im Übrigen ist jeder Tag für mich ein Geschenk, welches ich dankbar annehme.



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