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Hybride Tragwerke - Teil 1/2

Verfasst von: Dr.-Ing. Dirk Jankowski, Dr.-Ing. Oliver Fischer und Dipl.-Ing. Manfred Matthes
Veröffentlicht am: 16. Okt. 2002
Kategorie:

# 21.10.2002

Kopplung von Spannbeton- und Stahlverbundkonstruktionen bringt hybride Tragwerke hervor. Zukunftsweisendes Bauen zunehmend geprägt durch Optimierung der Auswahl von Materialien und Baustoffen. Forschung schafft neue Materialien, verbesserte Eigenschaften und optimierte Verbindungsmittel

Stahlverbundbau als Paradebeispiel für hybride Bauweise

Abb. 1 - Kopplungsstelle am Brückenquerträger
Abb. 1 - Kopplungsstelle am Brückenquerträger

Mit seiner Umbenennung in den Deutschen Beton– und Bautechnik-Verein hat der DBV im vergangenen Jahr ein Zeichen gesetzt. Nicht der Baustoff Beton allein ist das Produkt der Zukunft, sondern es ist dazu die Bautechnik, die im Vordergrund steht.

Dabei ist es wichtig, dass der Baustoff zum Einsatz kommt, der die konstruktive Aufgabe am besten lösen kann. Das Zusammenwachsen der Normen auf europäischer und auch deutscher Ebene leistet hier eine enorme Hilfestellung.

Im folgenden soll das Thema "Hybride Tragwerke" anhand von Anwendungen im Brückenbau mit unterschiedlichen Bauweisen und Baustoffen näher erläutert werden. Neben der allgemeinen Darstellung der technischen Möglichkeiten im Brückenbau werden Beispiele von fertiggestellten und im Bau befindlichen Brücken präsentiert.

Der Grundgedanke von hybriden Bauweisen liegt in der optimalen Zuordnung der auftretenden Beanspruchungen zu passenden Baustoffen. Die klassische Konstruktion im Bauwesen sieht daher für Druckspannungen meist den kostengünstigeren Baustoff Beton vor, während bei Zugspannungen der Baustoff Stahl Verwendung findet.

Der Stahlverbundbau stellt in diesem Zusammenhang ein Paradebeispiel einer hybriden Bauweise dar. Insbesondere bei der Weiterentwicklung, dem Doppelverbund, ist die Spannungsaufteilung offensichtlich. Aber auch Stahlbeton und Spannbeton sind per se bereits hybride Baustoffe.


Hybride Bauweise macht Brückenbau oft erst möglich

Abb. 2 und 3 - Ansichten der Isarbrücke Dingolfing
Abb. 2 und 3 - Ansichten der Isarbrücke Dingolfing

Erweitert man den Gedanken auf komplette Tragwerke, so liegt die Kombination von unterschiedlichen Tragwerkstypen nahe.

Gerade im Brückenbau wird vielfach so geplant, dass der gesamte Überbau in einem einheitlichen Baustoffkonzept ausgeführt wird. Für kleinere und mittlere Stützweiten wird meist der Stahl- und Spannbeton favorisiert, während für größere Stützweiten der Stahlbau bzw. der Stahlverbundbau eingesetzt wird.

Liegen stark abweichende Stützweitenverhältnisse vor oder sind andere unterschiedliche Randbedingungen für die Brückenerstellung vorhanden, wie z.B. Vorlandbereiche in Verbindung mit Flußquerungen, oder sollen Lasten verstetigt werden, so ist eine Kombination von Stahl- und Spannbeton mit Stahl bzw. Stahlverbund denkbar.

Manche Brückenbauwerke werden durch die hybride Bauweise erst machbar. Zudem spricht für diese Bauweise eine hohe Wirtschaftlichkeit, die natürlich Folge der Optimierung ist.


Kopfbolzendübel zur Spannungsübertragung im Brückenbau

Abb. 4 und 5 - Stahlträger an der Koppelstelle / Blick in den Querträger
Abb. 4 und 5 - Stahlträger an der Koppelstelle / Blick in den Querträger

Das am häufigsten verwendete Verbindungsmittel zwischen Stahl und Beton ist der Kopfbolzendübel.

Wegen allgemeiner Unsicherheiten in der Behandlung der Zugtragfähigkeit von Kopfbolzen wurde in den aktuellen "Richtlinien für Stahlverbundträger" auf eine Berechnungsmöglichkeit der Zugtragfähigkeit verzichtet.

Daher werden Kopfbolzen insbesondere im Brückenbau nur zur Übertragung von Querkräften eingesetzt. Diese Art der Spannungsübertragung findet bei der Kopplung der Baustoffe Beton und Stahl Anwendung.


Kraftweiterleitung im Beton ohne Armierung unmöglich

Abb. 6 und 7 - Kopplungsstelle Querträger mit Lasteinleitungsblechen
Abb. 6 und 7 - Kopplungsstelle Querträger mit Lasteinleitungsblechen

Abbildung 1 zeigt ein Beispiel einer solchen Kopplungsstelle. Hier werden die Unter- und Obergurte sowie das Stegblech der Stahlträger so mit Kopfbolzen versehen, dass eine Lastübertragung für die jeweilige Kraftwirkung (Zug, Druck und Querkraft) möglich wird.

Ein besonderes Problem stellt dabei die Weiterleitung der Kräfte im Beton dar. Hierfür sind entsprechend geeignete Armierungen erforderlich. Eine sorgfältige konstruktive Durchbildung ist dabei unumgänglich, da aufgrund der räumlichen Enge und des hohen Bewehrungsgrades für verschiedenartige Bewehrungen und unterschiedliche Bewehrungsrichtungen eine hohe Passgenauigkeit nötig ist.

Neuere Entwicklungen aus dem Verbundbau – siehe hierzu auch die in EuroCode 4 angegebenen Verbundmittel oder z.B. Lochanker (Perfobond) – könnten dazu führen, derartige konstruktive Details günstig zu beeinflussen.


Kopplung an Querträgern und an Momentennullpunkten

Eine weitere Frage zur Verbindung der unterschiedlichen Bauteile besteht in der Auswahl der Kopplungsstelle. Hier sind im wesentlichen zwei Stellen denkbar: zum einen die Kopplung über Querträger im Stützenbereich und zum anderen im Bereich von Momentennullpunkten.

Die Querträgerkopplung bietet dabei die Möglichkeit, nahezu alle Arten von Bauteil- bzw. Querschnittstypen zu koppeln. Prädestiniert sind hier insbesondere offene und plattenartige Profile und auch Fertigteile für die Betonseite.

Bei vorgespannten Kastenträgerbrücken bietet sich die Kopplung in den Momentennullpunkten an. Bei diesen Kopplungen werden Längszugkräfte sinnvollerweise durch Spannglieder übertragen. Gerade mit externer verbundloser Vorspannung ist diese Konstruktion vorteilhaft anwendbar, da die Spannglieder die Querschnittsflächen nicht direkt kreuzen.

Die Anwendung hybrider Tragwerke in Form von Kopplungen von Spannbetontragwerken und Stahlverbundtragwerken soll nunmehr am Beispiel der Isarbrücke in Dingolfing, der Donauquerung in Vilshofen, anhand einer Bogenbrücke in Mannheim und schließlich am Beispiel eines Sondervorschlags für die Nibelungenbrücke in Regensburg erläutert werden.


Anwendungsbeispiel 1: Isarbrücke Dingolfing

Dieses in den Jahren 1999 und 2000 erstellte Brückenbauwerk überführt die neu trassierte Umfahrung Ost der niederbayerischen Kleinstadt Dingolfing mit Regel-Straßenquerschnitt RQ 11,5 über die Isaraue sowie die Isar selbst. Dies geschieht in verhältnismäßig geringem Höhenabstand zum bestehenden Gelände weitgehend in einer Geraden im Grundriss, die am südlichen Ende in eine schwache Rechtskrümmung übergeht. Das Bauwerk ist ein 9-feldriges Durchlauftragwerk als Deckbrücke mit einer Gesamtlänge von 296 m.

Der Ausschreibungsentwurf sah bei Stützweiten zwischen 25 und 46 m ein Überbautragwerk mit Hohlkastenquerschnitt und 2,30 m Konstruktionshöhe vor. Dieses sollte entweder durch im nachträglichen Verbund liegende interne Spannglieder längs vorgespannt werden oder alternativ nach Bietervorschlag vorzugsweise auch mit externen Spanngliedern ausgerüstet werden. Die Unterbauten waren als tiefgegründete Pfeilerscheiben sowie als flach gegründete Kastenwiderlager konzipiert.


Kombination von zwei Vorlandbrücken mit Spannbetonfertigteilträgern

Im Zuge der Angebotsbearbeitung wurde der Ausschreibungsentwurf, bei dem die gesamte Überbaukonstruktion mit ihrem relativ steifen Tragwerk durch die Spannweite des einzigen längeren Feldes mit 46 m Länge bestimmt wurde, als unwirtschaftlich eingestuft. Der Überbau wäre dabei abschnittsweise auf Lehrgerüst mit einer Vielzahl von Koppelstellen herzustellen gewesen, wobei insbesondere die Überwindung der Isar eine erhebliche Erschwernis dargestellt hätte.

Die Suche nach einer zugleich wirtschaftlicheren und gefälligen Sondervorschlagslösung führte zur Kombination von zwei mehrfeldrigen Vorlandbrücken mit Spannbetonfertigteilträgern auf paarweise angeordneten Rundstützen mit Stahlverbundträgern in den beiden Flußfeldern. Alle Abschnitte wurden zur vollen Durchlaufwirkung miteinander gekoppelt. Die sich nach Oberflächenstruktur und Farbgestaltung optisch abhebenden Flußfelder unterstreichen in gelungener Weise die funktionale und geometrische Sonderheit der beiden Brückenöffnungen über der Isar.


Aufwendige Schalungssysteme durch Stahlverbundtragwerke vermeidbar

Die hervorgehobene Position des Mittelpfeilers in der Isar wird durch das Anwachsen der Konstruktionshöhe vom Regelmaß 1,70 m auf 2,30 m in Flussmitte besonders betont. Diese Vergrößerung der Bauhöhe ist zugleich statisch hilfreich vor allem während der Bauphase als Zweifeldsystem.

In dieser Phase wurde die Hybridbauweise durch Anordnung einer Stahlbetonbodenplatte über dem Mittelpfeiler - späterer Doppelverbund also - in einem weiteren Detail vorteilhaft angewendet. Die Wahl des Baustoffs Stahl im abschnittsweisen Wechsel zu den Spannbetonträgern ermöglichte hier trotz vergrößerter Spannweiten bis 42 m die harmonische Fortführung des Tragwerks über den Fluss hinweg und eine einheitliche Kranmontage der Träger vom Standplatz am Ufer aus.

Der wirtschaftlichen Anwendung von Stahlverbundtragwerken gerade auch im Wechsel mit konventionellen Querschnittsformen des Stahlbeton- und Spannbetonbaus kommt die Zulässigkeit von vorgefertigten Schalungsplatten entsprechend dem Allgemeinen Rundschreiben Straßenbau Nr. 42/1998 (ARS 42/98) sehr entgegen, weil damit aufwendige Schalungssysteme oder Schalwagenkonstruktionen vermieden werden.

Im Ausführungsbeispiel wurden beidseitig auskragende Schalungsplatten mit 10 cm Stärke eingebaut, die in Brückenquerrichtung mit vollem Querschnitt statisch mitwirken. Zur Aufnahme der Längsdruckkräfte des Verbundsystems steht im wesentlichen die 23 cm dicke Ortbetonergänzung zur Verfügung. Der Verbund erfolgte über 175 mm lange Kopfbolzendübel, Ø 22 mm, die sich auf ausgesparte Bereiche in den Schalungsplatten konzentrieren.

Die biegesteife Anbindung des 2-feldrigen Stahlverbundtragwerks an die Vorlandbereiche war aus folgenden Gründen erwünscht:

  • statische Entlastung der großen Brückenfelder
  • Vermeidung zusätzlicher Fugenübergangskonstruktionen
  • horizontale Koppelung des Gesamttragwerks, dessen Bewegungsfestpunkt durch die Anordnung von längs festen Lagern auf dem Mittelpfeiler in der Isar liegt.


Zeitpunkt zum Ausbetonieren für Konstruktion bedeutsam

Die Querträger über den Uferpfeilern (Achsen 40 und 60) sind die Übergangszonen zwischen den unterschiedlichen Tragwerkssystemen. Die Querträger stellen eine reine Stahlbeton-Konstruktion dar und bestehen aus einem vorgefertigten 35 cm dicken Unterteil, auf das die Spannbetonfertigteilträger wie auch die Stahllängsträger direkt aufgelegt wurden.

Die Querträgerstege, in denen die Kraftüberleitung im wesentlichen stattfindet, wurden nachträglich ausbetoniert. Mit dem Aushärten werden die Teilsysteme statisch gekoppelt, so dass der Frage, zu welchem Zeitpunkt ausbetoniert wird, eine wichtige Bedeutung zukommt.

Bei der Isarbrücke Dingolfing wurde dieser Zeitpunkt so gewählt, das die Fahrbahnplatten der Vorlandbrücken bis kurz vor die Übergangsquerträger fertiggestellt waren, während auf den Stahlträgern nur die Schalungsplatten der Fahrbahntafel ausgelegt waren.

Durch die Kopplung der Systeme vor dem Betonieren der Ortbetonergänzung auf den Flußfeldern wurden die Stahlträger infolge Teileinspannung der Enden entlastet und damit leichter ausgebildet. Zum Ausgleich mussten jedoch die aus der Teileinspannung resultierenden Biegezugkräfte konstruktiv aufgenommen und weitergeleitet werden.


Zugkräfte über horizontale Zungenbleche und Schlaufenbewehrungen abgenommen

Die Zugkräfte wurden über horizontale, mit Kopfbolzendübeln besetzte Zungenbleche in Höhe der Obergurtflansche in die Querträger eingetragen und dort über Schlaufenbewehrungen innerhalb der Fahrbahnplatte abgenommen. Um diese frühzeitig wirksam werden zu lassen, wurden nicht nur die Querträgerstege ausbetoniert, sondern ein mitwirkender Plattenstreifen von etwa 2 m Feldlänge und integrierter Stützbewehrung mitbetoniert.

Auch die Biegedruckkräfte wurden über untere Zungenbleche und Kopfbolzen ausgeleitet, die Querkräfte über entsprechende Vertikalbleche in Verlängerung der Stege. Die Ortbetonergänzungen in den Flußfeldern wirken dann auf das vervollständigte 9-Feld-Durchlaufsystem ohne Stahlverbund, alle Ausbau- und Verkehrslasten sowie Zwangseinwirkungen auf das endgültige Verbundsystem.



QUELLEN UND VERWEISE:

Hybride Tragwerke - Teil 2/2