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Überdimensionierung: Bauen wir zu sicher?

  • Veröffentlicht von Marc (inaktiv) am 26. Dez. 2012 10:36
  • Neueste Antwort:vor 11 Jahren
Hallo,

ich würde gerne mal ein etwas heikles Thema anschneiden. Ich arbeite in der Schweiz als Statiker in einem Ingenieurbüro (Habe mein FH Studium vor gut 3 Monaten abgeschlossen). Soviel ich weiss sind in der Schweiz die DIN-Normen (oder Eurocodes) bindend. Man muss streng nach diesen Normen arbeiten. Dies sieht in der Schweiz anders aus. Die Normen sind "nur" als Empfehlung anzuschauen und sind nicht bindend. Das heisst, dem Ingenieur ist es erlaubt von den Normen abzuweichen. Natürlich arbeiten die meisten Ingenieure trotzdem nach den Normen, da sich diese bewährt habe und bei einem Rechtsstreit ist es sicherlich vorteilhaft, wenn man argumentieren kann, dass man sich auf die Normen abgestützt hat.

Ich denke jedoch, dass eine Dimensionierung nach der Norm zu unnötigen Überdimensionierungen führt. Das zeigt sich ja daran, dass praktisch nie was passiert und wenn trotzdem ein Schaden (im schlimmsten Fall Einsturz) stattfindet, ist dies in der Regel auf ausführungstechnische Mängel zurückzuführen. Man erhöht ja die Einwirkung mit dem Faktor 1.4 (etwa Mittelmass der veränderlichen und ständigen Lasten) und auf der Widerstandsseite vermindert man das Ganze etwa um den gleichen Faktor (Bei Holz noch bedeutend grösser, da die Streuung sehr gross ist).

Dazu kommt bei Stahl noch, dass man zur Dimensionierung die Fliessgrenze annimmt, aber in Wirklichkeit, erhöht sich die Festigkeit danach nochmals (auch wenn dann gewisse reversible Verformungen auftreten). Weiter gilt es zu bedenken, dass bei statisch unbestimmten Systemen ein lokales überschreiten des Widerstandes nicht automatisch zu einem Einsturz führt. Denn duktile Baustoffe wie Stahl haben die gutmütige Eigenschaften Schnittkräfte umzulagern. Aus dieser Betrachtung bin ich eigentlich überzeugt, dass man die Bemessungsschnittkräfte mit gutem Gewissen um 1.3-1.4 abmindern kann, und man immer noch gut schlafen kann.

Vielleicht muss man dann gewisse Abstriche bei der Gebrauchstauglichkeit machen und es könnten ein paar Risse mehr zum Vorschein kommen. Heute wo der ressourcenschonende Umgang die Runden macht, wäre dies ein Grund mehr die Bauwerke nicht unnötig zu überdimensionieren. Weiter könnte ich dadurch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ingenieurbüros erzielen, da ich dem Bauherr sagen könnte, dass ich in der Lage bin, Material einzusparen. Würde mich interessieren wie ihr das Ganze sieht!

4 Kommentare

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    • Veröffentlicht von: Magnus (inaktiv)
    • 30. Dez. 2012 23:28
    Das wir sehr sicher bauen, glaube ich auch. Allerdings ist dieses Sicherheitsstreben nicht allein auf den Baubereich beschränkt, sondern überall vorzufinden, zum Beispiel fährt alle Welt im Auto mit Gurt, hat einen Airbag und einen Seitenaufprallschutz. Kinder gehen nicht alleine zur Schule, sondern werden bevorzugt mit dem Auto gebracht. Ich denke diese Liste läßt sich noch deutliche verlängern.

    Eine pauschale Abminderung der Schnittgrößen halte ich nicht für sinnvoll, weil dies nunmal dem geforderten und allgemein akzeptierten Sicherheitsniveau entspricht. Die Normen bieten aber auch Möglichkeiten mit den plastischen Reserven zu rechnen, der Aufwand wird dann nur deutlich höher, deshalb mache ich das nur, wenn vorher etwas schief gelaufen ist und man das dann noch retten will.
    • Veröffentlicht von: Doktorand (inaktiv)
    • 2. Jan. 2013 13:02
    Lieber Marc,
    deine Argumentation mit den ausführungstechnischen Mängeln als Haupteinsturzursache kann ich nicht unterstützen. Es mag sein, dass in den Normen viele Sicherheiten drin sind, aber das ist auch gut so. Wenn man Sicherheiten wegnimmt, steigt die Anforderung an die Fähigkeiten des Statikers und da mangelt es oft gewaltig. Ich habe mehrere Jahre im Büro geprüft und haarstreubendes gesehen. Das bei der Planung nicht soviel schief läuft wie bei der Ausführung liegt m.E. an dem Prüfingenieursystem in Deutschland, dass bei schwierigen und kritischen Bauvorhaben viele Fehler vermeidet.

    Aus primärer statischer Sicht ist vieles "überdimensioniert", doch hat das Material auch andere Aufgaben (Dauerhaftigkeit, Brandschutz, usw.) oder gibt es aussergewöhnliche Lastfälle, die bei einer Standardbemessung nicht drin sind oder kaum erfasst werden können. Und unter uns gesagt: ob ich jetzt ein paar 8er Eisen einspare ändert am Preis eines Gebäudes nichts. Wenn man sparen will, muss man das gesamte Konzept (Konstruktion & Bauablauf) robust und durchdacht planen und man darf bloß keinen umplanwütigen Architekten haben.
    • Veröffentlicht von: bauinghel (inaktiv)
    • 6. Jan. 2013 11:09
    Hallo Marc,
    meine beiden Vorredner haben schon die richtigen Argumente angeführt. Hinzufügen möchte ich: Ein normgerecht überdimensioniertes Tragwerk bietet Umbaureserven. Umbauten werden selten vollständig erfasst bezüglich Änderung Kraftfluss. Es beginnt doch schon wenn die Haustechniker in den Neubau kommen - im Schlepptau immer die Kernbohrer, Die VOB kennt die Vergütungsregelung zum Durchtrennen der Eisen! Im Betonbau gehts ja noch, aber bei Ziegeleinhangdecken mit Aufbeton bohrt man üblicherweise auch ohne Nachzudenken! (Danke für die nutzlose Mattenbewehrung).

    Nachhaltiges Bauen bedeutet auch das die Tragwerke später bei Nutzungsänderungen Umbauten vertragen. Strangsanierungen, anderes Heizsystem, neue Medienkabel, usw - wir denken wieder an die Durchbrüche und Bohrungen? Dann fällt mir noch ein Lastfall ein der sich bei bestem Bemühen nicht exakt vorhersagen lässt: Baugrundbewegungen - von Baubeginn bis Nutzungsende.

    Gruss hel
    • Veröffentlicht von: Ole (inaktiv)
    • 8. Jan. 2013 11:14
    Bei der Dimensionierung von Beton oder Stahl oder eben Stahlbeton wird mit Festigkeiten gerechnet, die das eingesetzte Material auf jeden Fall erreichen muss. Ich lasse seit 20 Jahren Probewuerfel anfertigen und wir testen auf meinen Baustellen in Auszuegen den Stahl und die Bewehrung von jedem x-ten LKW Stichprobenartig. Der normale Probewuerfel hat nach 7 Tagen meistens schon 80% und nach 28 Tagen 115 bis 125% der Festigkeit manchmal, wenn das Labor langeweile hat, testen wir auch mal Wuerfel die 10 Jahre alt sind und unser Rekord liegt bei 138%. Bei Baustahl ist es aehnlich. Die allermeisten Staehle liegen 10% oder mehr drueber.

    Die Produzenten bauen diese Sicherheit ein, damit sie im Fall des Versagens auf jeden Fall nicht in Regress genommen werden. Nur sehr sehr selten kommt es vor, das ein Wuerfel oder der Baustahl vorzeitig oder auch nur im Grenzfall versagt. Deshalb jetzt nicht der Norm zu folgen halte ich fuer sehr leichtsinning.

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