3D-Betondruck und die digitale Baustelle: Technische Universitäten treiben Bauindustrie 4.0 voran
Digitalisierung der Bauplanung und Fertigung gehen Hand in Hand
Die flächendeckende Digitalisierung des Bauwesens findet auf zwei Ebenen statt. In der Bauplanung ist dies vor allem die konsequente Umstellung auf das Building Information Modeling (BIM), wozu sich immer mehr Beteiligte bekennen bzw. verpflichten.
Auf der Seite der Bauausführung kommen digitale Fertigungsmethoden hinzu. An der Technischen Universität Braunschweig soll hierzu künftig verstärkt geforscht werden. Dazu wird aktuell eine Forschungsinfrastruktur aus verschiedenen digital gesteuerten Großgeräten aufgebaut, welche von den Verantwortlichen als "Digitale Baustelle" bezeichnet wird.
TU Braunschweig erhält sechs Meter hohe 3D-Druckeinheit
Herzstück der Anlage ist die rund sechs Meter hohe 3D-Druckeinheit, mit dem großformatige, individualisierte, ressourcen- und CO2-effiziente Bauteile additiv, also in mehreren aufeinanderliegenden Schichten, hergestellt werden können. Darüber hinaus sollen mehrere robotische Einheiten, ein mobiler Roboter, eine automatisierte Betonmischanlage, das sogenannten Objekttracking sowie immersive Systemen (u.a. eine LED-Wand mit Virtual Reality Technologie) für die Forschung und Entwicklung zur Verfügung stehen (siehe Bild).
Ziel des Projektes "Die Digitale Baustelle – Bauindustrie 4.0 als Schlüssel für eine digitale und nachhaltige Bauwirtschaft" ist es laut TU, digitale Fertigungstechnologien sowie deren Auswirkungen auf Planungs- und Produktionsprozesse unter realen Baustellenbedingungen erforschen und Impulse für die Baupraxis liefern zu können.
"Additive Fertigungstechnologien und insbesondere der 3D-Betondruck sind Schlüsseltechnologien für den Wandel der Bauwirtschaft, denn sie vereinen Ökonomie, Ökologie und soziale Aspekte der Bauproduktion", erklärt Professor Patrick Schwerdtner vom Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb (IBB). Er ist einer der Initiatoren des Projektes und Projektleiter für die Phase der Planung und Beschaffung.
Den 3D-Betondruck und andere additive Fertigungstechnologien erforscht die TU Braunschweig gemeinsam mit der TU München bereits im Sonderforschungsbereich TRR 277 "Additive Manufacturing in Construction" (AMC). Dessen Sprecher Harald Kloft sieht in der Forschungsumgebung der "Digitalen Baustelle" enormes Potenzial, um die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in die Anwendung zu bringen. So sollen die Ergebnisse des AMC im 1:1-Bauwerksmaßstab und unter Realbedingungen in der neuen Anlage erprobt werden.
Bauindustrie 4.0: Durchgehend datenbasiertes Arbeiten angestrebt
Dabei wollen die Forschenden unterschiedliche digitale Technologien vor Ort zusammenführen und im Sinne der Industrie 4.0 vernetzen. Angestrebt werde, hierdurch zukünftig von der Planung über die Herstellung bis zur Montage durchgehend datenbasiert auf der Baustelle arbeiten zu können, erläutert Norman Hack, Professor für Digitale Konstruktion am Institut für Tragwerksentwurf (ITE).
Idealerweise entstehe eine digitale Prozesskette, die den Automatisierungsgrad erhöht, wodurch wiederum ressourceneffizienter gebaut werden könne. Auch lange Transportwege sollen dadurch entfallen, die Bauzeit durch ineinandergreifende Prozesse verkürzt werden. Zusätzlich würden durch den datenbasierten Informationsaustausch Fehler in der Kommunikation vermieden.
BIM-Modell als Basis der digitalen Baustelle
In der Theorie sind alle Komponenten der "Digitalen Baustelle" an der TU Braunschweig bereits klar definiert. Schnittstelle für alle am Produktionsprozess Beteiligten ist das "Digital Engineering Center": In dieser Schaltzentrale sollen sämtliche Informationen im dreidimensionalen BIM-Modell gespeichert und verwaltet werden (inklusive der konventionellen Bauprozesse abseits der additiven Fertigung). BIM soll dabei auch als visuelles Kollaborationstool dienen.
"Hier können wir dreidimensionale Darstellungen unter anderem mit Terminplänen koppeln, um uns Abläufe im zeitlichen Raffer anzuschauen, Daten zu sammeln und zu analysieren", erklärt Patrick Schwerdtner. Das "Digital Engineering Center" soll zudem als Virtual Reality Labor fungieren, in dem zum Beispiel digitale Bauteile in den realen Raum projiziert werden können.
Digital gesteuerte Betonmischanlage und automatische 3D-Vermessungssensorik
Auch die digital gesteuerte Betonmischanlage für den 3D-Druck (Mobile Digital Concrete Plant) verbindet Vorgänge, die bislang in der Regel separat laufen, in einem digital durchgängigen Prozess. "So können Materialherstellung durch Mischen der Ausgangsstoffe, Förderung des Betons durch Pumpen sowie die Bestimmung der Eigenschaften des Frischbetons und die Fließfähigkeit kontrolliert gesteuert werden, damit die gedruckte Geometrie der Struktur und der Verbund der einzelnen Lagen gewährleistet wird", erklärt Dirk Lowke, Professor für Baustoffe.
Für die begleitende und abschließende Qualitätssicherung wollen die Forschenden um Professor Markus Gerke vom Institut für Geodäsie und Photogrammetrie (IGP) auch automatische 3D-Vermessungssensorik und -methodik einsetzen. Damit können sie unter anderem die Ist- und Soll-Geometrie überprüfen sowie Schäden entdecken.
Für Aufnahmen des gesamten Bauwerks zum Abgleich mit den Planungsdaten ist der Einsatz von speziellen Trackingsystemen vorgesehen. Parallel sollen außerdem die Witterungsbedingungen nebst Wind gemessen und somit die Auswirkungen der realen Baustellenbedingungen untersucht werden.
Anwendungsnahe Forschung: Wissenschaft will Impulse für Wirtschaft setzen
Das, was an der TU Braunschweig zunächst als „Digitale Baustelle“ simuliert wird, soll einmal überall Realität werden. "Wir wollen mit unserem Projekt Möglichkeiten für eine zukünftige Baustelleninfrastruktur aufzeigen", so Patrick Schwerdtner. "In Anbetracht der Vielseitigkeit von Bauprojekten und Bauverfahren wird es sicherlich eine Vielzahl von möglichen Konzepten geben. Mit unseren Forschungen wollen wir wesentliche Impulse setzen, auf die man aufbauen kann."
Projektbegleitend sowie in folgenden Forschungsprojekten ist die Einbindung regionaler und überregionaler Baufirmen vorgesehen. Dies sei ein klares Angebot der Wissenschaft an die Wirtschaft, betont Patrick Schwerdtner: "Auf der ‚Digitalen Baustelle‘ verknüpfen wir Grundlagenforschung und anwendungsnahe Forschung miteinander. Die Planungsbüros und Bauunternehmen sollen frühzeitig Kenntnis erlangen von möglichen Zukunftstechnologien und diese Überlegungen auch in ihre Unternehmensstrategie integrieren, da der Transformationsprozess eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt."
Das Projekt "Die Digitale Baustelle – Bauindustrie 4.0 als Schlüssel für eine digitale und nachhaltige Bauwirtschaft" wurde durch fünf Professoren der TU Braunschweig initiiert. Neben dem
- Institut für Bauwirtschaft und Baubetrieb (Professor Patrick Schwerdtner) sind das
- Institut für Tragwerksentwurf (Professor Harald Kloft, Professor Norman Hack), das
- Institut für Baustoffe, Massivbau und Brandschutz (Professor Dirk Lowke) und das
- Institut für Geodäsie und Photogrammetrie (Professor Markus Gerke)
an dem Projekt beteiligt. Die Forschungsinfrastruktur wird mit rund 3,8 Millionen Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert, einschließlich eines Eigenanteils von zehn Prozent. Das niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) setzt die Aufbauförderung im Rahmen der Richtlinie "Innovation durch Hochschulen und Forschungseinrichtungen" um.
Wissenstransfer in Dresden: TU veranstaltet Industrieseminar zum 3D-Betondruck
Neben den Technischen Universitäten in Braunschweig und München treibt auch die TU Dresden das digitale Bauen im Schulterschluss mit der Wirtschaft bzw. der Industrie voran. Mit ihrem "Industrieseminar Beton-3D-Druck" möchte die Hochschule am 5. November 2024 die neuesten Entwicklungen, Technologien und Anwendungen in diesem wachsenden Industriezweig präsentieren.
Planende, Material- und Gerätehersteller, Bauunternehmen, Softwareunternehmen sowie Bauherren geben dabei Einblicke in ihre aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet des Beton-3D-Drucks. Es sollen neueste Projekte vorgestellt und zukünftige Trends diskutiert werden. Im Rahmen einer Fachausstellung können Exponate und Labore besichtigt werden.
Die Befürworter der 3D-Betondrucktechnologie verweisen unter anderem darauf, dass durch den Verzicht auf die Schalung ein kostenintensiver Arbeitsgang wegfalle. Zudem ermögliche der additive Fertigungsprozess die Einsparung von Material, da der Beton nur dort aufgetragen werden kann, wo er auch konstruktiv benötigt wird.
Des Weiteren werde die Arbeitssicherheit verbessert, da die Bauteile automatisiert und nicht mehr handwerklich unter teilweise schwierigen örtlichen Randbedingungen und bei problematischen Witterungsverhältnissen hergestellt werden.