Bald mehr Brücken aus Stahlfachwerk in Deutschland?
# 22.05.2020
Versuch mit Großbauteilen an Hochschule München bringt neue Erkenntnisse. Materialermüdung erstmals berechenbar. Festschreibung in nationaler Richtlinie und EU-Norm angestrebt
DASt-Richtlinie für Bemessung von Stahlfachwerk fehlt bislang
Brücken aus Stahlfachwerk gelten allgemeinhin als materialsparend und langlebig. Trotz eines größeren Fertigungsaufwands sind sie daher zum Beispiel in den skandinavischen Ländern sowie in Frankreich oder auch den USA weit verbreitet.
In Deutschland hingegen bedarf jede Einzelne bislang noch einer aufwändigen behördlichen Zustimmung. Beispiele liefern in Bayern die Fußgängerbrücke über die Bayerstraße zur Theresienwiese in München oder die Autobahnbrücke nahe Lichtenfels über die A73.
Der Grund für die schwierige Umsetzung der Bauweise in Deutschland ist das Fehlen einer eigenen Richtlinie des deutschen Ausschusses für Stahlbau (DASt) und damit verbundene Bemessungsempfehlungen für Planer und Ingenieure. Speziell die Frage der Materialermüdung an den geschweißten Knoten ist ungeklärt.
Großversuch mit 15 Tonnen schweren Bauteilen
Am Institut für Material- und Bauforschung (IMB) der Hochschule München widmet man sich derzeit der Aufgabe, eben diese Berechnungsregeln und Vorgaben für Bauingenieure zu entwickeln. Dazu werden Versuche mit 15 Tonnen schweren Bauteilen durchgeführt. Es handelt sich um Stahlrohre von 18 Metern Länge mit einem Stahlknoten in der Mitte (siehe Bild).
Aufmerksamkeit der Wissenschaft gilt Schweißnähten
André Dürr, Professor für Stahlbau und Baustatik an der Hochschule München und Leiter der Untersuchung, benennt die konkrete Forschungsfrage: "Wie verhalten sich geschweißte Knotenverbindungen von Fachwerkbrücken in großen Dimensionen, wenn ich etwas schlankere Rohre mit größeren Blechdicken verwende?"
Versuchsanordnung simuliert Einwirkung durch Verkehrsschwingungen
Die zunehmende Verkehrsbelastung schlägt sich für Bestandsbrücken in der Zahl der Lastwechsel und der Schwingbreite zwischen geringster und höchster Belastung nieder. In dem Großbauteilversuch brachten so genannte Unwuchterreger an beiden Enden der Gurte die Konstruktion zum Vibrieren und dann in ihrer Eigenfrequenz zum Schwingen.
Langsames Risswachstum erstmals berechenbar
Der erste Riss konnte nach Angaben des Forschers erst nach einer relativ langen Versuchsdauer festgestellt werden. Dieser zunächst vier Zentimeter große Riss am Gurt wuchs bis zum Versuchsende auf 41 Zentimeter recht langsam.
Die Wissenschaftler sprechen in diesem Fall von einem "gutmütigen" Risswachstum, welches gewünscht ist, um Zeit zu gewinnen für das Beobachten und Reparieren von Riss und Brücke. "Die Konstruktion muss trotz des Risses noch drei bis sechs Jahre halten und darf nicht zum schlagartigen Versagen führen", so Dürr.
Ziel der Untersuchung ist die künftige Bemessung der Brücken auf die gängige Lebensdauer von hundert Jahren. Die bisherigen Ergebnisse widerlegten die Annahme, dass ein doppelt so starkes Gurtrohr auch die doppelte Lebensdauer bedeutet. "Diesen fehlenden Größenfaktor konnten wir bestimmen und können künftig damit rechnen", zeigt sich André Dürr erfreut.
Erfolgreiche Forschung zur Materialermüdung wird fortgesetzt
Im nächsten Schritt sollen nun Regelungen für Stahlfachwerkbrücken basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen in den Ausschuss für Stahlbau in Deutschland eingebracht und später auch in europäische Normen umgesetzt werden.
Am Institut für Material- und Bauforschung der Hochschule München steht dazu das nächste Forschungsprojekt bereits an. Untersucht werden soll die Verwendung von modernem hochfestem Stahl für noch schlankere Brückenkonstruktionen.
Breit angelegtes Forschungsprojekt zur Stahlanwendung
Die beschriebenen Forschungen wurden unter dem Titel "Wirtschaftliche Auslegung von ermüdungsbeanspruchten, geschweißten Rundhohlprofilknoten unter Berücksichtigung der erforderlichen Schweißnahtqualität" im bundesweiten Programm zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert (IGF-Vorhaben 18883 BG / P1163). Federführend war die Forschungsvereinigung Stahlanwendung aus Düsseldorf.
Die Universität Stuttgart entwickelte in dem Projekt Methoden und Regelungen zur Berücksichtigung der Schweißnahtausführung bei der Berechnung. Das Forschungszentrum Ultraschall in Halle wiederum entwickelte eine Methode, um optisch nicht sichtbare, innere Einschlüsse in den Gurten trotz der gekrümmten Form mit Ultraschall festzustellen.