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Bauausführung: Wann der Auftraggeber nicht kündigen darf

Verfasst von: RA Prof. Dr. jur. Günther Schalk
Veröffentlicht am: 22. Mai 2023
Kategorie:

Auftraggeber grundsätzlich immer kündigungsberechtigt

Der Auftraggeber einer Bauleistung kann während der Ausführung der Baufirma grundsätzlich jederzeit kündigen, ob er einen Grund dafür hat oder nicht. Wenn dem Auftraggeber beispielsweise die Farbe der Bagger nicht mehr gefällt, kann er der Baufirma kündigen.

Baustellenlicht
Auftraggeber sind nicht immer dazu berechtigt, den Vertrag ​​mit
einem Bauunternehmen zu kündigen. Foto: Martin Jäger / Pixelio

In diesem Fall muss dann der Auftraggeber allerdings die „große Kündigungsvergütung“ zahlen, weil es sich dann um eine so genannte freie Auftraggeberkündigung handelt. Er muss also dem Bauunternehmer nicht nur für die erbrachten Leistungen die Vergütung zahlen, sondern auch für die durch die Kündigung nicht mehr ausgeführten Leistungen.

Bezüglich letzterer muss sich der Auftragnehmer nur anrechnen lassen, was er sich infolge der Kündigung an Aufwendungen erspart hat, also zum Beispiel Betriebskosten, Kauf von Baustoffen etc. Der entgangene Gewinn und vielfach auch die Personalkosten wird der kündigende Auftraggeber allerdings zu ersetzen haben, wenn die Baufirma nicht so schnell das Personal auf einen neuen anderen Auftrag umsetzen kann.

Ausführungsmängel innerhalb gesetzter Frist zu beseitigen

Anders ist das, wenn der Auftraggeber einen Kündigungsgrund hat. Dann kann er außerordentlich kündigen und muss nur die erbrachte Leistung vergüten. Wenn in dem Vertrag die VOB/B wirksam vereinbart ist, gibt es für die Zeit der Ausführung eine Kündigungsmöglichkeit für den Auftraggeber nach § 4 Abs. 7 VOB/B. Darin ist folgendes geregelt:

  1. Leistungen, die schon während der Ausführung als mangelhaft oder vertragswidrig erkannt werden, hat der Auftragnehmer auf eigene Kosten durch mangelfreie zu ersetzen.
  2. Hat der Auftragnehmer den Mangel oder die Vertragswidrigkeit zu vertreten, so hat er auch den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
  3. Kommt der Auftragnehmer der Pflicht zur Beseitigung des Mangels nicht nach, so kann ihm der Auftraggeber eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels setzen und erklären, dass er nach fruchtlosem Ablauf der Frist den Vertrag kündigen werde (§ 8 Absatz 3).

Leistet der Bauunternehmer also mangelhaft, kann der Auftraggeber nach dieser Vorschrift die Baufirma schon während der Ausführungszeit vor die Tür setzen, wenn er ihr das vorher unter Fristsetzung noch einmal angedroht hat.

Das ist durchaus ein scharfes Schwert, das viele Baufirmen in der Praxis oft nicht auf dem Schirm haben und dann entsprechend überrascht sind, wenn plötzlich das Kündigungsschreiben des Auftraggebers auf dem Tisch des Hauses liegt.

Individuelle VOB/B-Vereinbarung für Kündigungsregelung entscheidend

Der Bundesgerichtshof hat nun allerdings ein Urteil gefällt (19.01.2023, VII ZR 34/20), das durchaus aufhorchen lässt. Hier der Leitsatz:

Ist die VOB/B nicht als Ganzes vereinbart worden, hält § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B (2002) ebenso wie die hierauf rückbezogene Bestimmung in § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) bei Verwendung durch den Auftraggeber der Inhaltskontrolle nicht stand.

Die Kündigungsregelung in § 4 Nr. 7 Satz 3 i.V.m. § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 VOB/B (2002) benachteiligt den Auftragnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB und ist daher unwirksam.

In dem konkreten Fall ging es um die Herstellung einer Straßenbahntrasse. Die Baufirma hatte für rund drei Millionen Euro netto Straßen- und Tiefbauarbeiten auszuführen. Laut Leistungsverzeichnis waren unter anderem Straßenborde mit einer Rückenstütze aus Beton B 25 nach Zeichnung herzustellen. Der Auftraggeber beanstandete, dass der Beton nicht die vertragsgemäße Qualität aufweise. Die Baufirma war anderer Meinung und verweigerte eine Mängelbeseitigung.

Fall eskaliert wegen 6.000 Euro Mängelbeseitigungskosten

Obwohl die Beseitigung der behaupteten Mängel insgesamt lediglich 6.000 Euro gekostet hätte, eskalierte der Fall so weit, dass der Auftraggeber den kompletten Vertrag kündigte nach § 4 Nr. 7 VOB/B (es galt die VOB 2002, in welcher der heutige § 4 Abs. 7 noch § 4 Nr. 7 hieß).

Man könnte nun meinen, dass das eine relativ einfache Geschichte sei. Dennoch hat sie die Rechtsprechung über drei Instanzen beschäftigt: Die erste Instanz ging von einer freien Kündigung (also eine ohne berechtigenden Grund) aus. Die Berufungsinstanz nahm dagegen eine berechtigte Kündigung nach § 4 Nr. 7 i.V.m. § 8 Nr. 3 VOB/B an. Der BGH kam zu dem letztlich doch überraschenden Ergebnis, dass die Kündigung des Auftraggebers komplett unwirksam war.

VOB/B als Ganzes wie Allgemeine Geschäftsbedingungen zu betrachten

An dieser Stelle muss man etwas tiefer einsteigen: Die Parteien hatten in dem Vertrag die VOB/B vereinbart. Bei der VOB/B handelt es sich letztlich um nicht mehr als um Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), also vom Wert her wie das „Kleingedruckte“ auf der Bestellung im Elektromarkt beim Kauf eines neuen Kühlschranks.

AGB, also vorformulierte Klauseln, die jemand mehrfach gegenüber Vertragspartnern so verwendet, unterliegen einer besonderen Kontrolle nach §§ 305 ff. BGB. Diese soll sicherstellen, dass der Vertragspartner nicht über den Tisch gezogen wird. Die VOB/B genießt allerdings einen besonderen Schutz, sobald sie als Ganzes ohne Änderungen vereinbart wurde.

Teilweise Nichtgeltung der VOB/B macht Inhaltskontrolle notwendig

Genau das war hier laut Bundesgerichtshof aber nicht der Fall. Dabei haben die Richter sehr genau hingesehen. Die Parteien hatten nicht etwa besonders gravierende Änderungen gegenüber dem Text der VOB/B vorgenommen. Es reichte aus, dass § 2 Nr. 3 VOB/B für Mengenmehrungen/-minderungen nicht gelten sollte und dass Abschlagszahlungen entgegen der Vorgabe der VOB/B nur mit 90 Prozent bedient werden sollten. Zwischenergebnis: Die VOB/B war nicht unverändert als Ganzes vereinbart. Damit unterlagen alle Regelungen der VOB/B der AGB-Inhaltskontrolle.

Im Rahmen dieser Inhaltskontrolle kam der BGH zu dem Ergebnis, dass die Regelung in § 4 Nr. 7 VOB/B den Bauunternehmer über Gebühr benachteilige, weil selbst kleinste Mängel den Auftraggeber zu einer Kündigung während der Ausführung berechtigten. Im vorliegenden Fall hatte der Auftraggeber ja gekündigt wegen eines Mangels im Gegenwert von rund 6.000 Euro gegenüber gut drei Millionen Euro Auftragswert.

Laut BGH müsse ein zusätzlicher Umstand vorliegen, der dazu führe, dass eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses dem Auftraggeber nicht zumutbar ist. Eine mangelhafte Ausführung könne, nachdem der Auftragnehmer grundsätzlich die Dispositionsfreiheit habe, wie er ausführt, nur dann zu einem Kündigungsgrund führen, wenn der Mangel entweder gravierend ist oder weitere Umstände hinzutreten, die eine Fortsetzung des Vertrags für den Auftraggeber unzumutbar machen. Das, so der BGH, war hier nicht der Fall. Die Kündigung war damit unwirksam.

Fazit: Kündigung bei unvollständig vereinbarter VOB/B unwirksam

Was heißt das für die Praxis? In der Praxis sollte ein Bauunternehmen, wenn es eine Kündigung während der Ausführung erhält, genau hinschauen und noch besser einen Fachanwalt prüfen lassen, ob tatsächlich die VOB/B unverändert als Ganzes vereinbart wurde.

Das ist in vielen Bauverträgen nämlich nicht der Fall, ohne dass jemand darauf stößt. Ist das der Fall, hat die Baufirma eine gute Chance, die Kündigung während der Ausführung als unwirksam zurückweisen zu können.