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Bauingenieure als Architekten der digitalen Zukunft – aber bitte mit BIM

Verfasst von: Christoph Berger
Veröffentlicht am: 5. Dez. 2024

Die Bauindustrie befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Wandels. Während früher Pläne per Hand gezeichnet und Projekte in unzähligen Papierdokumenten festgehalten wurden, geschieht dies heute zunehmend mithilfe digitaler Werkzeuge und Methoden. Dabei ist es v. a. die Methode Building Information Modeling (BIM), die den Weg in die Zukunft weist. Unterstützt von den Standards von buildingSMART bietet BIM nicht nur technische Innovationen und eine neue Form der Zusammenarbeit, sondern auch spannende Karrieremöglichkeiten für angehende Bauingenieure. In einer Branche, die seit Jahrhunderten eine Schlüsselrolle spielt, eröffnet die Digitalisierung neue Perspektiven.

Building Information Modeling – weit mehr als eine Software

Bits und Bytes prägen zunehmend unsere physische Welt. Auch das Bauwesen erlebt eine Neuausrichtung. Die Methode Building Information Modeling, kurz BIM, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Mit BIM können Bauwerke über ihren gesamten Lebenszyklus modellbasiert geplant werden.

Anwendertag
Bild 1 - Im Rahmen des jedes Jahr stattfindenden buildingSMART-Anwendertags haben Studierende, Absolventen und Start-ups die Möglichkeit, auf dem buildingSMART Campus ihre Arbeiten, Ideen und Geschäftsmodelle zu BIM einer breiten Fachöffentlichkeit zu präsentieren. Foto: Jens Ahner / buildingSMART Deutschland

Wichtig ist festzuhalten, dass BIM weit mehr als eine Software ist. Es handelt sich um eine integrative Methode, die alle Projektbeteiligten in einem digitalen Modell zusammenführt. Ingenieure, Architekten, Bauunternehmer und Facility Manager arbeiten gemeinsam an einem umfassenden 3D-Modell, welches in Echtzeit aktualisiert wird. Jedes Detail eines Bauprojekts, von den Materialien bis hin zu Zeitplänen und Kosten, wird berücksichtigt und kann kontinuierlich angepasst werden.

Baumeister der Antike als Vorbilder: Bauprojekte ganzheitlich betrachten

Mit BIM wird ein philosophisches Prinzip verfolgt, das schon Aristoteles beschrieb: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Einzelne Pläne oder Materialien fügen sich schwer zu einem großen Ganzen. BIM ermöglicht eine holistische Sichtweise, in der jedes Detail eines Bauprojekts in einem vernetzten Modell zusammenfließt. So wie die Baumeister des antiken Roms Aquädukte und Brücken als Teil eines größeren städtischen Systems sahen, ermöglicht BIM die ganzheitliche Betrachtung jedes heutigen Bauprojekts. Es wird dadurch zu einem Teil eines größeren digitalen Ökosystems.

BIM ermöglicht nicht nur eine exakte Visualisierung von Gebäuden, sondern reduziert auch Fehlerquellen und Kosten. Durch die frühzeitige Erkennung von Problemen können Nacharbeiten minimiert und die Bauzeit optimiert werden. Besonders für angehende Bauingenieure bringt BIM tiefgreifende Veränderungen im Vergleich zum bisherigen Arbeitsalltag älterer Generationen und birgt enormes Zukunftspotenzial.

Open-BIM macht unabhängig

Doch so weitreichend die Vorteile von BIM auch sind, die Methode hat ihre Grenzen. Vor allem dann, wenn es sich um Closed-BIM und nicht um Open-BIM handelt. Closed-BIM bezieht sich auf den Austausch von Bauwerksdatenmodellen innerhalb eines geschlossenen Systems, bei dem alle Beteiligten die gleiche Softwareplattform nutzen.

Open-BIM hingegen ermöglicht es, Daten aus frühen Projektphasen für weitere Aufgaben nutzbar zu machen – und dies über verschiedene Softwarelösungen hinweg, etwa für die Bauausführung, die Fertigung im Bereich des seriellen Bauens oder die Betriebsphase. Ebenso ist es für die Ökobilanzierung hilfreich, wie später noch genauer ausgeführt wird. Darüber hinaus ist Open BIM die Voraussetzung für weitere digitale Technologien, wie Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen, für das Internet of Things, die Robotik und Automatisierung oder die künstliche Intelligenz.

Vorteile für junge Bauingenieure mit digitalen Kompetenzen

Die Digitalisierung im Bauwesen eröffnet jungen Bauingenieuren viele neue Karrieremöglichkeiten. Unternehmen, die bereits auf BIM setzen, suchen nach Fachkräften, die mit der Methode vertraut sind und gleichzeitig das klassische Bauingenieur-Know-how mitbringen (Bild 1). Es geht also nicht nur um technisches Wissen, sondern auch um die Fähigkeit, in interdisziplinären Teams zu arbeiten und digitale Tools effektiv zu nutzen. Die Fähigkeit, mit der BIM-Methode umzugehen, wird so essenziell wie einst die Beherrschung von Zirkel und Lineal.

Im Podcast von buildingSMART Deutschland, dem bSD-Talk, geht es in Folge #15 um das Thema "Frischer Wind in der Ausbildungslandschaft". Diskutiert werden darin die neuen Anforderungen, mit denen Bauingenieure heute im Joballtag konfrontiert werden. Deutlich wird, dass Studierende des Fachs Bauingenieurwesen ingenieurtechnisches Wissen brauchen.

Doch damit nicht genug: Auch Kompetenzen in Richtung Software sind gefragt. Sie sollen kollaborativ und kommunikativ zusammenarbeiten, offen für neue Themen sein und sich diese selbst erarbeiten können. Ergänzend dazu ist es von Vorteil, wenn die Fachkräfte der Zukunft selbst programmieren können und wissen, wie valide Datenmodelle entstehen, die von Maschinen verarbeitet werden können.

buildingSMART und VDI entwickeln BIM-Weiterbildungen

Um sich auf diese neuen Anforderungen vorzubereiten, hat buildingSMART zusammen mit dem Verein Deutscher Ingenieure, kurz VDI, eigens ein Weiterbildungsprogramm entwickelt (Bild 2). Die Schulungen werden nicht von buildingSMART, sondern von gelisteten und anerkannten Schulungspartnern durchgeführt.

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Bild 2 - Aufbau des von buildingSMART Deutschland mitentwickelten Weiterbildungsprogramms "Professional Certification Program". Grafik: buildingSMART Deutschland

Das sog. "Professional Certification Program – Foundation" richtet sich an alle, die sich Basiskenntnisse in Building Information Modeling (BIM) aneignen oder zertifizieren lassen möchten. Diese erste Stufe vermittelt grundlegendes Wissen und ist eine hervorragende Einstiegsoption, um in die Welt von BIM einzutauchen. 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben das Programm inzwischen erfolgreich durchlaufen, es ist damit das relevanteste für den Bereich Building Information Modeling.

Seit Herbst 2022 wird zudem die Professional Certification – Practitioner als Aufbaustufe angeboten. Hier liegt der Fokus auf anwendungsbezogenen BIM-Kompetenzen für die Bereiche BIM-Koordination und BIM-Management. Ein Foundation-Zertifikat ist Voraussetzung für die Teilnahme an dieser praxisorientierten Weiterbildungsmaßnahme. Ab 2025 wird es innerhalb der Practitioner-Stufe auch einen speziellen Schwerpunkt für Infrastrukturprojekte geben – ein Bereich, der zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Für junge Bauingenieure bieten diese Weiterbildungsangebote nicht nur die Möglichkeit, sich wertvolles Fachwissen anzueignen, sondern auch, die eigenen Karrierechancen erheblich zu steigern. Denn in einem Berufsfeld, das stark von digitalen und kollaborativen Arbeitsweisen geprägt ist, werden zertifizierte BIM-Kompetenzen zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil.

Neue Berufsbilder v. a. in innovativen Unternehmen

Derzeit finden Bauingenieure ein besonders attraktives Arbeitsumfeld in Planungs- und Ingenieurbüros, in Bauunternehmen und in der öffentlichen Verwaltung, welche die Digitalisierung aktiv vorantreiben. Eine Vielzahl neuer Berufsbilder steht zur Auswahl: BIM-Manager, Datenanalyst für das Bauwesen oder Experte für digitale Fabrikation sind nur einige dieser neuen Rollen.

Zahlreiche dieser Unternehmen sind Mitglied bei buildingSMART Deutschland, was ihre starke Ausrichtung auf die Standards und die Vernetzung im Bereich der Digitalisierung unterstreicht. Diese Mitgliedschaft ist nicht nur ein Signal für die Innovationsfreude der Branche, sondern kann auch dem Aufbau eines Netzwerks für Studierende dienen.

Für Studierende und Auszubildende ist die Mitgliedschaft bei buildingSMART Deutschland kostenlos. Studierenden bietet sich damit die hervorragende Gelegenheit, bereits im Studium Kontakte zu Unternehmen, Büros und Forschungseinrichtungen der Branche zu knüpfen, von der Expertise der Mitglieder zu profitieren und sich so den Weg ins Berufsleben zu ebnen. In jedem Fall bietet die Mitgliedschaft Orientierung im weiten Feld des vernetzten Planens und Bauens.

BIM als Werkzeug für nachhaltiges Bauen

Die Baukunst der Antike zeichnete sich nicht nur durch das vorhandene Ingenieurwissen aus. Die Bauwerke waren auch Ausdruck von Visionen und Weitblick. Oft waren sie darauf ausgelegt, auch den Bedürfnissen zukünftiger Generationen gerecht zu werden. Ein Anspruch, der gerade mit den heutigen Herausforderungen nicht an Bedeutung eingebüßt hat.

Wer heute Bauingenieurwesen studiert, kann an diese Tradition anknüpfen: Die Projekte, an denen Bauingenieure, Architekten und Planer beteiligt sind, können die Infrastruktur von morgen formen und ganze Städte für künftige Generationen prägen. Ein aktuelles Beispiel: Durch die Simulation verschiedener Szenarien können Bauingenieure mittels BIM die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf Energieverbrauch, CO2-Bilanz und Lebenszykluskosten bereits in der Planungsphase optimieren.

BIM wird so zum Werkzeug für nachhaltiges Bauen und trägt dazu bei, die großen Herausforderungen unserer Zeit, wie den Klimawandel und die Urbanisierung, erfolgreich zu bewältigen. In einer Zeit, in der die Digitalisierung immer schneller voranschreitet, eröffnet sich jungen Ingenieuren die Möglichkeit, den Wandel aktiv und effektiv mitzugestalten, auch und v. a. mit dem Einsatz der BIM-Methode.

Die Digitalisierung der Baubranche dient somit nicht dem Selbstzweck. Wenn der Baubranche immer wieder vorgehalten wird, effektiver, produktiver und effizienter werden zu müssen, dann stimmt das sicherlich. Die Digitalisierung ist aber v. a. Mittel zum Zweck, Bauwerke zu schaffen, die effizienter, nachhaltiger und menschenfreundlicher sind als zuvor. Dazu braucht es Neugier, die Bereitschaft zum Lernen und interdisziplinäres Denken.

Der Autor ist Referent beim buildingSMART Deutschland e.V.


(Dieser Beitrag ist in der Ernst & Sohn Sonderpublikation "Attraktive Arbeitgeber im Bauingenieurwesen" im Dezember 2024 digital sowie in gedruckter Form erschienen.)