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Baulärm-Urteil: Lärmvorbelastung verringert Schutzwürdigkeit des Baustelleneinwirkungsbereichs

Verfasst von: Prof. Dr. jur. Günther Schalk, FA für Bau- und Architektenrecht
Veröffentlicht am: 27. Mai 2024
Kategorie:

Fall: Hotelier beklagt Baustellenlärm in Nachbarschaft

Wann kann oder muss eine Behörde einschreiten, wenn eine Baustelle gefühlt zu laut ist? Dazu gibt es jetzt eine aktuelle Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Sachsen (Beschluss vom 09.10.2023, 1 B 153/23).

Konkret hatte sich ein Hotelier beim örtlichen Bauamt beschwert. Seiner Ansicht nach sei unerträglicher Baulärm in der Nachbarschaft entstanden, der die Hotelgäste in unzumutbarer Form beeinträchtigt habe. Das Bauamt verpflichtete daraufhin den Bauherrn einer Nachbarschaft zu ständigen Lärmmessungen während der Bauausführung.


Baulärm
Das "Merkblatt Baulärm" wird vom Verein zur Förderung fairer Bedingungen am Bau e.V. herausgegeben. Quelle: baulärmportal.de

Das wiederum war dem Hotelier nicht genug. Die Behörde solle gefälligst den Nachbarbauherrn zwingen, die Emissionsrichtwerte der "Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm – Geräuschemissionen" vom 19. August 1970, kurz AVV Baulärm, einzuhalten und ihm ferner aufgeben, jeweils mit einer Woche Vorlauf anzukündigen, welche Arbeiten mit welcher Lärmintensität stattfinden werden. Dazu solle er eine entsprechende Schallemissionsprognose nach der AVV Baulärm vorlegen.

Gerichte bestätigen Ermessensspielraum der Behörden

Das war für die Behörde zu viel des Guten. Sie lehnte dieses Ansinnen des Hotelbetreibers ab. Der zog daraufhin in einem Eilverfahren vor das Verwaltungsgericht Leipzig. Nachdem er dort auch auf die Nase fiel, legte er Rechtsmittel zum Oberverwaltungsgericht (OVG) ein. Auch dort scheiterte er allerdings.

Im Ergebnis bestätigte das OVG, dass die jeweilige Behörde einen Ermessensspielraum habe, welche Anordnungen im Sinne des § 24 des "Gesetzes zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge" bzw. Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) sie konkret treffe. Dieses Ermessen sei nur dann auf Null reduziert (mit der Folge, dass die Behörde einschreiten muss), wenn der Lärm für den Anspruchsteller unzumutbar sei.

Die Messungen des Baulärms nach der gem. § 66 Abs. 2 BImSchG heranzuziehenden AVV Baulärm durch den Bauherrn hätten ergeben, dass die Immissionsrichtwerte nach Nr. 3.1.1 Buchst. c AVV Baulärm in Höhe von 60 dB(A) tagsüber auch im Rahmen von derzeit anstehenden Spritzbetonarbeiten nicht überschritten wurden.

Immissionsrichtwertüberschreitungen: Klare Vorgaben der AVV Baulärm zu Messungen

Diese Werte lägen im Rahmen der für ein Mischgebiet geltenden zulässigen Immissionsrichtwerte, sodass ein Anhaltspunkt für die Annahme von drohenden Immissionsrichtwertüberschreitungen für den wohl innerhalb einer Gemengelage liegenden Hotelbetrieb der Antragstellerin bereits nicht erkennbar sei (vgl. § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG).

Es war laut Gericht auch weder glaubhaft gemacht, dass die Messungen Fehler aufweisen, noch, dass Lärmrichtwertüberschreitungen infolge weiterer Bauarbeiten kurzzeitig zu erwarten sind oder der Bauherr grundsätzlich nicht bereit sei, die geltenden Lärmrichtwerte einzuhalten.

Dass mehrere Monate davor Lärmrichtwertüberschreitungen auftraten, ändere daran nichts. Diese Messungen seien auch nicht nach den Vorgaben der AVV Baulärm ermittelt worden (u.a. fehlte die durchschnittliche Betriebsdauer der Maschinen).

Lärmvorbelastung: Immissionsrichtwert kann nach oben abweichen

Abweichungen vom Immissionsrichtwert nach oben könnten ferner in Frage kommen, wenn die Schutzwürdigkeit des Einwirkungsbereichs der Baustelle im konkreten Fall ausnahmsweise geringer zu bemessen ist, weil beispielsweise eine tatsächliche Lärmvorbelastung – etwa durch Straßenlärm oder andere Gewerbebetriebe – vorhanden sei.

Das OVG stellte allgemein fest:

  1. Die zuständige (Bau-)Behörde kann auch dann gegen schädliche Umwelteinwirkungen, die von einer Baumaßnahme ausgehen, vorgehen, wenn keine Gefahr für Leben und Gesundheit besteht.
  2. Eine Reduzierung des Ermessens bei Geräuschemissionen kommt erst dann in Betracht, wenn diese dem Einwirkungsbereich mit Rücksicht auf dessen durch die Gebietsart und die konkreten tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit nicht mehr zugemutet werden können.
  3. Die in Nr. 3.1.1 AVV Baulärm festgelegten Immissionsrichtwerte entfalten für den Regelfall Bindungswirkung.

In der Ausgabe 2/24 des UnternehmerBriefs Bauwirtschaft findet sich ein Hauptaufsatz zum Thema "Rechtliche Aspekte zum Thema Baulärm" (Anm. d. Red.).


Beiträge wie diesen finden Sie im monatlich erscheinenden UnternehmerBrief Bauwirtschaft UBB (>>> hier kostenfreies UBB-Probeheft 1/24 online lesen). Der UBB ist ein Ratgeber für Führungskräfte in der Bauwirtschaft. Er liefert aktuelle Nachrichten aus den Bereichen Recht, Steuer, Baubetrieb und Technik.