Bausoll: Planänderung ist keine Änderungsanordnung
Planänderungen Teil der täglichen Baupraxis
Dass ein Bauvorhaben so abgewickelt wird, wie es ursprünglich einmal geplant und beauftragt war, ist bekanntlich nicht Standard. Sehr häufig kommt es aus den verschiedensten Gründen dazu, dass im Laufe der Ausführung von Bauleistungen noch einmal etwas geändert wird.
Entweder wird eine Änderung erforderlich, weil Randbedingungen anders sind als ursprünglich angenommen. Vielleicht stellt sich auch heraus, dass der Baugrund vom Vertrag abweicht oder aber der Auftraggeber hat es sich einfach anders überlegt.
Eine Kernfrage ist in diesem Zusammenhang regelmäßig, wann wirklich eine solche Änderung vom Auftraggeber wirksam gegenüber der Baufirma angeordnet wurde. Ein alltäglicher Fall in der Praxis: Der Auftraggeber übergibt dem Bauunternehmen irgendwann im Laufe der Bauausführung geänderte Pläne. Ist das bereits eine Änderungsanordnung? Hier liegt viel Streitpotenzial.
Es kommt immer wieder vor, dass eine Baufirma vor Gericht einen Nachtrag wegen einer geänderten oder zusätzlichen Leistung einklagt und der Auftraggeber sich dann damit verteidigt, dass er ja überhaupt keine entsprechende Anordnung erteilt habe.
Fall: Baufirma errichtete tragende Wand umsonst
In einem konkreten Fall des Oberlandesgerichts (OLG) Schleswig (Urteil vom 09.12.2022 – 1 U 29/21; BGH, Beschluss vom 25.10.2023 – VII ZR 247/22, NZB zurückgewiesen) hatte ein öffentlicher Auftraggeber Rohbauarbeiten für den Neubau eines Schulgebäudes mit einer Sporthalle vergeben.
In verschiedenen Positionen des Leistungsverzeichnisses war die Herstellung von Stahlbetonunterzügen „nach der Statik“ vorgesehen. In weiteren Positionen war das Mauern tragender Innenwände beschrieben inklusive einer Zulage für das Mauern der letzten Schicht nach dem Ausstrahlen der Stahlbetondecke bzw. -balken. Aus der Statik ergab sich, dass es sich bei den Stahlbetonunterzügen überwiegend um nichttragende obere Wandabschlüsse handeln sollte.
Die Baufirma und spätere Klägerin erstellte zunächst die sogenannten Unterzüge als nichttragende Betonbauteile und stützte sie ab, bis die tragende Wand darunter aufgemauert war und kündigte in einer Baubesprechung Mehrkosten und eine Behinderung an. Sie verlangte schließlich eine Mehrvergütung von rund 250.000 Euro per Nachtrag. Argument: Bei einem Unterzug handele es sich um eine selbsttragende Konstruktion, die die Last der Decke aufnehme und einen Freiraum überbrücke.
Baufirma erhält Leistungsverzeichnis ohne Statik
Aus dem Leistungsverzeichnis sei nicht erkennbar gewesen, dass es sich tatsächlich um nicht tragende Balken als oberen Wandabschluss habe handeln sollen. Die Statik habe der Baufirma bei der Erstellung des Angebots nicht vorgelegen, sondern wurde unstreitig erst später übergeben. Erst durch die Anweisung des Statikers vor Ort habe sich die danach vorgesehene Bauweise ergeben.
Im Leistungsverzeichnis sei vorgesehen gewesen, dass zunächst die Decken und die Balken herzustellen und erst dann die tragenden Wände aufzumauern gewesen seien, so die Baufirma. Sie habe in ihrer Kalkulation zunächst die Herstellung der Unterzüge und deren Notabstützung, dann die Herstellung der Decken vorgesehen.
Stattdessen seien die Schalung für die Decken und die Unterzüge in einem Arbeitsgang herzustellen gewesen, was einen Mehraufwand bedeutet habe, da die Schalung länger habe vorgehalten werden müssen und kein Wechsel von einem Bauteil zum anderen möglich gewesen sei. Die Unterzüge hätten bis zur Aushärtung der Wände abgestützt werden müssen. Es habe sich eine bauzeitverlängernde Leistungsminderung ergeben.
Unter anderem habe beim Mauern um die Stützen herum gearbeitet werden müssen. Die Arbeiten seien entgegen der Kalkulation in den strengen Winter 2009/10 (kein Schreibfehler – Gerichtsverfahren dauern…) gerückt. In den später von der Beklagten übergebenen Bauzeitplänen liege zudem eine Beschleunigungsanordnung gegenüber dem Bauzeitplan aus der Vorbemerkung zum Leistungsverzeichnis.
Die beklagte Auftraggeberin behauptete, im LV sei von Stahlbetonunterzügen die Rede, weil die Bewehrung in die Decke einbinde, was bei Balken nicht immer der Fall sei. Es handle sich dabei um den Sprachgebrauch im Betonbau. Die gewünschte Bauweise habe sich neben der Statik auch aus Plänen ergeben.
Reihenfolge der Arbeiten ergab sich aus Bauzeitplänen
Die Statik habe der Klägerin bei Angebotsabgabe und Beauftragung vorgelegen, was ihr Geschäftsführer eingeräumt habe. Es sei zunächst die Wand zu erstellen, dann die Decke und der Unterzug zu schalen gewesen. Ein zusätzlicher Leistungsaufwand sei nicht angefallen. Die Reihenfolge der Arbeiten ergebe sich auch aus den Bauzeitplänen der Beklagten und der Klägerin.
Aus dem Bauzeitplan in der Vorbemerkung zum Leistungsverzeichnis ergebe sich, dass der Rohbau bis Dezember 2009 so weit habe abgeschlossen sein sollen, dass die vorgesehenen Folgegewerke hätten tätig werden können. So sei ein Fenstereinbau ohne Verblendmauerwerk nicht möglich. Für die Ausbaugewerke sei ein geschlossener Bau notwendig gewesen.
Das OLG Schleswig schlug sich auf die Seite des Bauherrn und erklärte:
- Die Anordnung einer Änderung des Bauentwurfs kann in der Übergabe geänderter Pläne liegen. Es ist nicht notwendig, dass der Auftraggeber dabei den Willen hat, das beschriebene Leistungssoll zu ändern. Er kann auch davon ausgehen, die geforderte Ausführung gehöre zur vertraglichen Leistung und sei mit den vereinbarten Preisen abgegolten.
- Notwendig ist jedoch, dass der Auftragnehmer die Erklärung oder das Verhalten des Auftraggebers als Änderungsanordnung auffassen darf. Der Auftragnehmer muss annehmen dürfen, dass dem Auftraggeber bewusst ist, dass er etwas anderes will als ursprünglich vereinbart.
- Muss der Auftragnehmer erkennen, dass der Auftraggeber die Leistungsbeschreibung anders versteht als er, hat er den Auftraggeber darauf hinzuweisen, dass er bei seiner Kalkulation von anderen Voraussetzungen ausgegangen ist und durch die vorgesehene Ausführung ein Mehraufwand entstehen wird. Nur dann darf er in der Übergabe geänderter Pläne eine Änderungsanordnung sehen.
Gericht: Änderung des Bauentwurfs ist keine automatische Anordnung
Für den konkreten Fall kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass doch eine Änderung des Bauentwurfs vorgelegen habe. Nach dem ursprünglichen Leistungsverzeichnis aus den Vergabeunterlagen habe der Bauunternehmer von einer anderen Art der Ausführung der Unterzüge ausgehen dürfen, als diese dann mit der nachträglich vom Auftraggeber vorgelegten Statik vorgegeben wurde.
Allerdings fehlte es nach Ansicht des Gerichts an der erforderlichen Anordnung, um einen Anspruch nach § 2 Abs. 5 VOB/B auszulösen. Eine solche Anordnung könne auch konkludent, also durch schlüssiges Verhalten, erfolgen – beispielsweise eben dadurch, dass der Auftraggeber geänderte Pläne übergibt. Er müsse dabei auch nicht zwingend den Willen haben, die geschuldete Leistung abzuändern.
Zwingend erforderlich sei allerdings, dass der Bauunternehmer nach seinem objektiven Empfängerhorizont diese Planübergabe als Änderungsanordnung auffassen darf. Das sei hier allerdings nicht der Fall gewesen. Im Urteil heißt es dazu: "Es ist (…) nicht ausreichend, dass der Klägerin die Statik übergeben worden ist und sie unstreitig danach bauen sollte."
Falsche Begriffsauffassung führt zu unberechtigtem Nachtrag
Die Besonderheit des Falles liegt darin, dass auf Seiten der Beklagten das Leistungsverzeichnis anders verstanden wurde als auf Seiten der Klägerin. Es war für die Klägerin erkennbar, dass die Statik hinsichtlich der Ausführungsart der Unterzüge nie geändert worden war. Sie habe erkennen müssen, dass der Begriff anders verwendet worden sei als er gemeinhin zu verstehen ist.
In dieser Situation hätte die Baufirma dem Auftraggeber deutlich machen müssen, dass sie bei ihrer Kalkulation von anderen Voraussetzungen ausgegangen war und durch die vorgesehene Ausführung nunmehr erheblicher Mehraufwand entstehen werde. Nur dann hätte sie in der Übergabe der Statik oder in dem Zulassen der Fortsetzung der Arbeiten eine Änderungsanordnung sehen dürfen.
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