Zum Hauptinhalt springen

Beschlossene VgV-Änderung: Planungsbranche befürchtet das Schlimmste

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 21. Juni 2023

Seit 2016 in Kraft: Neu gefasste Vergabeordnung (VgV) soll Wettbewerb in der EU stärken

Mit der Neufassung der Vergabeverordnung (VgV) des Bundes im Jahr 2016 wurde die umfassende Umgestaltung des europäischen Vergaberechts in Deutschland Realität. Die bis dahin gültige Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen VOF trat außer Kraft.

Bundesrat_VgV
Am 16. Juni 2023 wurde eine Anpassung des Vergaberechts bzw. der
Vergabeverordnung (VgV) durch den Bundesrat beschlossen. Foto: Jan Köhler / Pixelio

Ein Kernziel der Vergabeverordnung bzw. der ihr zugrunde liegenden EU-Richtlinien war und ist die Bekämpfung von Wettbewerbs­beschränkungen innerhalb der Europäischen Union.

Die Maßgabe, öffentliche Aufträge, darunter Planungsleistungen für Baumaßnahmen, ab einer gewissen Größe europaweit auszuschreiben, führt dabei immer wieder zu Kontroversen.

Erreicht der addierte Gesamtwert den maßgeblichen EU-Schwellenwert (zur Zeit 215.000 Euro), sind alle Planungsleistungen europaweit auszuschreiben. Bislang galt laut § 3 Absatz 7 VgV (zweiter Satz), dass bei der Vergabe von Planungsleistungen für die Auftragswertschätzung der geschätzte Gesamtwert aller Lose nur bei Losen über gleichartige Leistungen zugrunde zu legen war. Dies hatte zur Folge, dass für einen großen Teil der öffentlichen Aufträge über Planungsleistungen die für den sogenannten Unterschwellenbereich geltenden Regeln anzuwenden waren.

Sonderregelung für Planungsleistungen wird gekippt

Mit der am 16. Juni 2023 durch den Bundesrat beschlossenen "Verordnung zur Anpassung des Vergaberechts an die Einführung neuer elektronischer Standardformulare ("eForms") für EU-Bekanntmachungen und an weitere europarechtliche Anforderungen" wurde die nur für Planungsleistungen geltende Sonderregel im § 3 Absatz 7 VgV (zweiter Satz) gestrichen. Dasselbe gilt für die entsprechenden Regelungen in der Sektorenverordnung (SektVO) und in der Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV).

In der Folge könnten zahlreiche Planungsaufträge der öffentlichen Hand für Vorhaben auch mit einem eher niedrigen Bauvolumen den strengeren Regeln des Oberschwellenbereichs einschließlich der Pflicht zur europaweiten Ausschreibung unterliegen.

Im Vorfeld der Entscheidung des Bundesrates hatten sich Bundes- und Landesingenieurkammern vehement gegen eine Streichung der betreffenden Vorschriften eingesetzt und darauf hingewiesen, dass die aktuelle Änderung zu bürokratischem Mehraufwand für alle Beteiligten und Verzögerungen von Projekten führen wird.

Der Freistaat Bayern hatte daraufhin in der Sitzung des Bundesrates am 25.11.2022 einen Entschließungsantrag und zuletzt am 13.06.2023 einen Plenarantrag gestellt, um daran festzuhalten, dass bei der Auftragswertermittlung für Planungsleistungen im Rahmen öffentlicher Bauprojekte nur solche Planungsleistungen zusammengerechnet werden, die "gleichartig" sind.

Bundesingenieurkammer bedauert Bundesratsbeschluss

"Leider hat der Bundesrat entgegen unserer Empfehlungen einer Änderung der Vergabeverordnung zugestimmt", zeigt sich der Vorsitzende des Arbeitskreises Vergabe der Bundesingenieurkammer Werner Weigl enttäuscht. "Wir erwarten massive Verwerfungen im deutschen Planungsmarkt. Daher werden wir uns entschieden dafür einsetzen, dass die negativen Auswirkungen so gering wie möglich ausfallen. Die Gespräche laufen im Hintergrund auf allen Ebenen", so Weigl.

Er und andere Kritiker der Änderung der Vergabeverordnung befürchten, dass die Vergabeverfahren in der Folge sowohl für die Auftraggeber wie für die Auftragnehmerseite deutlich aufwändiger werden und damit erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen, was zu vermehrten Total- und Generalunternehmervergaben führen könnte. Die Folge wäre laut Kammern und Verbände der planenden Berufe eine Existenzgefährdung für die mittelstandsgeprägte Planungswirtschaft in Deutschland.

Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission führt erneut zu Änderungen einer Verordnung für die Baubranche

Der geplanten Änderung der VgV liegt ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission zugrunde, die in der bisher gültigen deutschen Regelung einen Verstoß gegen die europäischen Vergaberichtlinien sieht. Dem letztlichen Wegfall der in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) festgelegten Mindestsätze war ab 2015 ebenfalls ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission vorausgegangen. Am Ende entschied der europäische Gerichtshof (EuGH) 2019 zugunsten einer Anpassung der HOAI.

Die Planerverbände hatten hinsichtlich der drohenden Anpassung der Vergabeverordnung zuletzt noch geltend gemacht, dass den zu erwartenden negativen Auswirkungen kein erkennbarer Vorteil im Sinne einer Stärkung des europäischen Binnenmarkts gegenüberstehe, und gefordert, dass sich auch in dieser Sache der EuGH mit dem Thema befassen sollte. Mehrere Bundesländer hatten sich dem angeschlossen, blieben aber bei der entscheidenden Abstimmung im Bundesrat in der Minderheit. Die Bundesregierung hatte die beanstandete Regelung bislang verteidigt, lehnt eine Auseinandersetzung vor dem EuGH aber ab. Nach Vorstellung der Bundesregierung soll das Verfahren noch vor der Sommerpause abgeschlossen sein.

Kammern und Kommunalverbände sehen Gefahr für Planende und Behörden

"Wir bedauern es sehr, dass nach dem Bundestag auch der Bundesrat den Weg dafür frei gemacht hat, den gut funktionierenden Planungsmarkt in Deutschland massiv zu gefährden", meint Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. Auch Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, befürchtet massive Auswirkungen auf die planenden Berufe und eine Vielzahl dringend benötigter Bauprojekte in Deutschland.

"Es ist überaus bedauerlich, dass sich sowohl Bund als auch die Länder gerade in diesen herausfordernden Zeiten nicht schützend vor die kleinen und mittleren Büros stellen. Diese bilden bislang das Rückgrat der deutschen Planungslandschaft und werden vor dem Hintergrund von Bau- und Energiewende dringender denn je benötigt. Eine qualitativ hochwertige und flächendeckende Leistungserbringung kann jedoch nur unter fairen Rahmenbedingungen gewährleistet werden", so Bökamp.

Die Kommunalen Spitzenverbände wiesen darauf hin, dass insbesondere die Kommunen als größte öffentliche Auftraggeber häufig aufgrund fehlender Kapazitäten mit der neuen Situation überfordert sein werden.

Stellungnahme der Kammern und Verbände ohne Wirkung

In einer offiziellen Stellungnahme hatten sich zuletzt folgende 18 Interessenvertretungen der planenden Berufe bezüglich des fraglichen Referentenentwurf der Bundesregierung geäußert:

  • Bundesarchitektenkammer
  • Bundesingenieurkammer
  • Bund Deutscher Architektinnen und Architekten
  • Bund Deutscher Baumeister Architekten und Ingenieure
  • Bund Deutscher Innenarchitekten
  • Bund Deutscher Landschaftsarchitekten
  • Bundesverband Freier Berufe
  • Bundesverband der öffentlich bestellten Vermessungsingenieure
  • Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik
  • DAI Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine
  • Deutsche Akdademie für Städtebau und Landesplanung
  • Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung
  • Förderverein der Bundesstiftung Baukultur
  • Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung
  • Vereinigung freischaffender Architekten Deutschlands
  • Verband Beratender Ingenieure
  • Verband Deutscher Vermessungsingenieure
  • Zentralverband der Ingenieurvereine