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Deklarationsverbot für Bauprodukte: Anforderungsdokumente statt Ü-Zeichen

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 28. Dez. 2017
Kategorie:

# 02.01.2018

Bauverbände wollen bauordnungsrechtliche Eignung privatrechtlich gewährleisten. Bundesingenieurkammer unterstützt Übergangslösung bis zur Harmonisierung aller europäischen Normen. Kritik an neuer Richtlinie zur Energieberatung

Bauverbände reagieren auf Urteil des Europäischen Gerichtshofes

Damit die Wahl der Bauprodukte weiterhin den Anforderungen an ein Bauwerk genügt, sollen so genannte Anforderungsdokumente das bisher genutzte Ü-Zeichen ersetzen. Foto: Rainer Sturm / Pixelio
Damit die Wahl der Bauprodukte weiterhin den Anforderungen an ein Bauwerk genügt, sollen so genannte Anforderungsdokumente das bisher genutzte Ü-Zeichen ersetzen. Foto: Rainer Sturm / Pixelio

In einer gemeinsamen Erklärung hat zum Ende des letzten Jahres ein breites Bündnis von Bauverbänden ein neues System zur Ausschreibung und Bestellung von Bauprodukten vorgestellt. Mit diesem Verfahren sei "sicheres Bauen in Deutschland auch weiterhin möglich", so die Initiatoren, da es bis zur vollständigen Harmonisierung der europäischen Normen die Einhaltung und den Nachweis bauordnungsrechtlicher Anforderungen an ein Bauwerk erlaube.

Warum wurde ein solches Vorgehen notwendig? Hintergrund ist, wie so oft, ein Gerichtsurteil, in diesem Fall seitens des Europäischen Gerichtshofes. Das Urteil C-100/13 vom 16. Oktober 2014 stellt klar, dass an europäisch harmonisierte, CE-gekennzeichnete Bauprodukte keine zusätzlichen staatlichen nationalen Anforderungen gestellt werden dürfen (siehe dazu Quellen und Verweise). Diese Festlegung beinhaltet ein Verbot des in Deutschland gebräuchlichen "Ü-Zeichen" (Übereinstimmungszeichen) bei gleichzeitiger CE-Produktdeklaration.

Gleichzeitig werden mit der Änderung der Landesbauordnungen und der Veröffentlichung der neuen Musterverwaltungsvorschrift "Technische Baubestimmungen (MVV TB)" am 31. August 2017 an europäisch harmonisierte Bauprodukte zukünftig keine zusätzlichen bauordnungsrechtlichen Anforderungen mehr gestellt, sondern vielmehr an das Bauwerk.


Privatrechtliche Anforderungsdokumente sollen Ü-Zeichen ersetzen

Abb. 1: In den Anforderungsdokumenten werden die entsprechenden Leistungsmerkmale eines Bauproduktes sowie dessen Gütesicherung festgelegt. Grafik: BIngK
Abb. 1: In den Anforderungsdokumenten werden die entsprechenden Leistungsmerkmale eines Bauproduktes sowie dessen Gütesicherung festgelegt. Grafik: BIngK

Um trotz des Wegfalls der bisherigen Kennzeichnung die in Deutschland vorgeschriebenen bauordnungsrechtlichen Anforderungen an ein Bauwerk zu gewährleisten, empfehlen Kammern und Verbände, darunter die Bundesingenieurkammer, die Verwendung privatrechtlicher Anforderungsdokumente.

Im Fokus stehen insbesondere solche harmonisierten Bauproduktnormen, die aus bauordnungsrechtlicher Sicht nicht alle notwendigen Produkteigenschaften enthalten (siehe Prioritätenliste des Deutschen Instituts für Bautechnik DIBt).

Nicht relevant sind Bauprodukte, die entweder nach vollständigen, europäisch harmonisierten Produktnormen nur mit dem CE Kennzeichen oder auf der Basis weiterhin gültiger bauaufsichtlicher Zulassungen nur mit dem Ü-Zeichen produziert und ausgeliefert werden sowie bereits alle notwendigen Produkteigenschaften aufweisen.


Anforderungsdokumente legen Leistungsmerkmale fest

In den jeweiligen Anforderungsdokumenten werden bereits bei der Ausschreibung bzw. Beschaffung für das jeweilige Bauprodukt die entsprechenden Leistungsmerkmale sowie dessen Gütesicherung festgelegt, welche zur Erfüllung der Bauwerksanforderungen in Herstellererklärungen oder Gutachten nachzuweisen sind.


Musterdokument gibt einheitliche Gliederung vor

Grafik: BIngK

Das Konzept der Anforderungsdokumente sieht eine einheitliche Gliederung derselben vor (siehe dazu auch Abb. 1). Demnach müssen folgende Punkte darin enthalten sein:

  • Kennnummer zur eindeutigen Nachverfolgung
  • Bauproduktbereich und zugehörige hEN (d.h. harmonisierte europäische Normen)
  • Verwendungszweck
  • Wesentliche Merkmale für die Verwendung in Deutschland, die in der Leistungserklärung entsprechend der CE‐Kennzeichnung mindestens deklariert sein müssen; soweit erforderlich unter Angabe der Prüfnormen/Prüfverfahren
  • Eigenschaften gemäß VV TB für die Verwendung in Deutschland, die kein Bestandteil der Leistungserklärung oder CE‐Kennzeichnung sind
  • Angaben zur werkseigenen Produktionskontrolle/Fremdüberwachung
  • Ausgabedatum
  • Ergänzung notwendig, welche Herstellererklärungen für die fehlenden Produkteigenschaften erforderlich sind
  • Liste der Dokumente, die gemäß den geltenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen als Technische Dokumentation zum Bauprodukt zur Verfügung gestellt werden muss


Öffentliche Fachausschüsse erarbeiten Anforderungsdokumente

Die Anforderungsdokumente werden in Fachausschüssen erarbeitet. Durch eine Beteiligung von öffentlichen und privaten Bauherren, Planern, Produktherstellern, Bauausführenden, Prüfingenieuren usw. soll sichergestellt werden, dass die erforderlichen Produktanforderungen (zur Erfüllung der Bauwerksanforderungen) vollständig erfasst sind. Eine Einspruchsphase gewährleistet die Beteiligung der Öffentlichkeit.

Die erarbeiteten Anforderungsdokumente werden mit der Bauaufsicht der Länder abgestimmt, um ihre Anerkennung als freiwillige technische Dokumentation zu unterstützen. Die Anforderungsdokumente werden kostenlos zur Verfügung gestellt (siehe Quellen und Verweise). In einer Liste wird die jeweilige Gültigkeitsdauer hinterlegt, damit Nutzer Informationen über die Aktualität des Anforderungsdokuments abrufen können.


Bundesingenieurkammer sieht neue Richtlinie zur Energieberatung kritisch

Während das Problem der Baustoffkennzeichnung und -kontrolle erst einmal gelöst zu sein scheint, hat die Bundesingenieurkammer auf einem anderen Feld einen neuen Missstand ausfindig gemacht.

Es geht dabei um die neue Richtlinie über die Förderung von Energieberatungen für Wohngebäude, welche am 1. Dezember 2017 in Kraft trat. Trotz der Stellungnahmen und Gespräche der planenden Berufe mit dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) wurde darin der Kreis der Energieberater erweitert.


Unabhängigkeit der Energieberater nicht mehr vorgeschrieben

Zugelassen sind jetzt alle Energieberater, die über die geforderte fachliche Qualifikation verfügen. Nach der neuen Richtlinie müssen Energieberater nicht mehr unabhängig sein. Es reicht eine Selbsterklärung aus, in der sie sich verpflichten, hersteller-, anbieter-, produkt- und vertriebsneutral zu beraten. Das heißt, die Energieberater selbst müssen nicht mehr "produktunabhängig" und "frei von Lieferinteressen" sein, sondern nur noch ihre Beratung.

Um öffentliche Fördermittel oder Zuschüsse des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) für die energetische Modernisierung von Gebäuden und Wohnhäusern zu erhalten, muss vorab eine unabhängige Energieberatung erfolgen. Diese Unabhängigkeit sieht die Bundesingenieurkammer nun durch die Aufweichung der Unabhängigkeit des Beraters gefährdet.


Nachfrage an Energieberatungen nimmt ab

Als Begründung für die Neuregelung gab das BMWi unter anderem an, dass die Zahl der energetischen Beratungen rückläufig sei. Die gesteckten Klimaschutzziele ließen sich jedoch nur mit einer höheren Zahl an Beratungen und entsprechenden Sanierungsmaßnahmen erreichen, so das BMWi.

Das sei aus Sicht der Bundesingenieurkammer schlicht zu kurz gedacht und sichere keinesfalls eine objektive Einschätzung zum energetischen Sanierungsbedarf eines Gebäudes. Nur ein unabhängiger Berater könne alle Aspekte der Energieeffizienzmaßnahmen übergreifend beurteilen und entsprechend beraten, so die Einschätzung der Bundesingenieurkammer.



QUELLEN UND VERWEISE:

Musterbauordnung 2016 regelt Kennzeichnung von Bauprodukten neu
Anforderungen an Bauprodukte in Deutschland (Anforderungsdokumente)