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Den Eisberg bezwingen: Sichtbarkeit als Fundament zur Fachkräftegewinnung

Verfasst von: Franziska Hain
Veröffentlicht am: 15. Nov. 2023

Der Fachkräftemangel wird von 70 Prozent der deutschen Bauunternehmen als größte wirtschaftliche Bedrohung eingestuft (DIHK-Umfrage Juni 2023). Experten* prophezeien, dass sich die Lage in den nächsten Jahren noch drastisch verschärfen wird. Die klassische Personalarbeit hat dieser Herausforderung kaum noch etwas entgegenzusetzen, denn Stellenanzeigen allein werden das Problem des Fachkräftemangels nicht beheben.

(*Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Beitrag das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter.)

Eisberg_Modell
Bild 1: Eisberg-Modell im Recruiting. Quelle: Recruiting Report 2023 [1]

Egal wie gut ausformuliert die Anforderungen und wie individuell die Benefits sind oder wie zukunftsorientiert der neue Arbeitsplatz erscheint. Mit einer Stellenanzeige spricht man immer zuallererst Arbeitsuchende an. Diese sind aber gerade nun mal kaum vorhanden.

Chance für Ingenieurunternehmen: Passiv suchende Fachkräfte ansprechen

Tatsächlich sind nur circa zehn Prozent aller potenziellen Kandidaten aktiv auf der Suche nach einer neuen Stelle und die Zahl sinkt jährlich [1] (Bild 1). Knapp 50 Prozent der qualifizierten Fachkräfte sind in einem festen Arbeitsverhältnis, schauen sich aber um und wären durchaus offen für Angebote.

Laut Forsa-Umfrage vom Januar 2023 liegt die Wechselbereitschaft in Deutschland aktuell bei 37 Prozent. Über ein Drittel der Beschäftigten würde also bei einem passenden Angebot den Job wechseln.

Personalgewinnung = Marketing

Um diese Wechselwilligen "unterhalb der Wasseroberfläche" zu erreichen, müssen Ingenieurbüros neue Wege beim Recruiting gehen und dabei aktiver und sichtbarer werden.

Es muss ein Perspektivwechsel aufseiten der Arbeitgeber vollzogen werden: Besonders in der hoch spezialisierten Baubranche bewirbt sich mittlerweile das Unternehmen bei den Kandidaten und nicht mehr umgekehrt. Deshalb sollten Ingenieurbüros beim Recruiting immer folgende Frage im Hinterkopf haben: Warum soll sich der/die Kandidat/in für uns entscheiden?

Um diese Entscheidung positiv zu beeinflussen, gilt es Methoden aus dem Marketing bei der Fachkräftesuche einzusetzen. Denn letztendlich versucht sich das Ingenieurbüro mit seinen Projekten und Positionen an dieser Stelle zu verkaufen – nur eben nicht an Auftraggeber. Um potenzielle Bewerbende bestmöglich zu erreichen, sollte ein stärkerer Fokus der Maßnahmen auf Online-Marketing, Social Media und der Direktansprache liegen.

Wege in die (digitale) Sichtbarkeit: Die Website

Die eigene Website ist ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Baustein für eine erfolgreiche Recruiting-Strategie. Sie dient als Ziel von Werbe- und Stellenanzeigen, Informationsquelle und Aushängeschild. Wenn ein Ingenieurbüro potenziellen Interessenten keine oder eine veraltete Website anbietet, wird es schwierig, aus diesen Interessenten Bewerbende zu machen. Es erweckt nur den Eindruck, dass das Büro entweder nicht mit der Zeit geht oder keine Ressourcen bzw. keinen Sinn für eine professionelle Außendarstellung hat.

Eine gute Website sollte die folgenden Kriterien erfüllen (siehe Bild 2):

  • Technik: Grundvoraussetzung ist die einwandfreie Funktionalität. Das heißt, es dürfen keine Fehlermeldungen auftreten. Wenn ein Link ins Leere geht, sollte eine individuelle 404-Fehlerseite dargestellt werden. Bilder und Videos auf Websites müssen sichtbar bzw. abspielbar sein. Alle Buttons und Links sollten funktionieren und die Ladezeiten dürfen nicht zu lang sein.
  • Rechtssicherheit: Eine Website muss ein Impressum und eine Datenschutzerklärung enthalten. In den meisten Fällen muss ein Cookie-Consent-Banner vorhanden sein. Und für eine sichere Verbindung muss ein SSL-Zertifikat (das kleine Schloss vor der URL in der Browserleiste) integriert sein. Darüber hinaus sollten auch die weiteren Vorgaben der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) eingehalten werden.
Website
Bild 2: Kriterien für eine gute Website. Quelle: Hain 
  • Suchmaschinenoptimierung (Search Engine Optimization – SEO): Technische und inhaltliche Aspekte der SEO müssen umgesetzt sein, um z. B. bei Google von potenziellen Kandidat: innen gefunden zu werden. Zur technischen SEO gehören u. a. Ladezeit, mobile Optimierung und SSL-Zertifikat. Unter inhaltlicher SEO werden Punkte wie Texte, Keywords, interne Verlinkungen, Bilder-SEO und Offpage Optimierung zusammengefasst.
  • Aktualität: Die Website sollte regelmäßig geprüft und aktualisiert werden. Sind z. B. Ansprechpartner und Daten noch korrekt? Frische Inhalte wie Blogbeiträge, Referenzen oder News können sich außerdem positiv auf das Google-Ranking auswirken.
  • Nutzererfahrung (User Experience): Die Website sollte ein modernes Design und eine übersichtliche Struktur (nicht zu viele Menüpunkte mit möglichst wenigen Unterpunkten) haben. Schriften müssen gut lesbar und die Navigation eindeutig sein. Besonders Buttons und Links sollten hervorgehoben werden. Besucher müssen sich schnell orientieren können und die Informationen finden, die sie erwarten bzw. benötigen.

Unterseite "Karriere": Plattform für Ihr Recruiting

Wenn das Hauptziel einer Website die Fachkräftegewinnung ist, darf eine dezidierte Karriereseite nicht fehlen (Bild 3). Auf dieser Unterseite sollten klare und detaillierte Beschreibungen der vakanten Positionen, einschließlich Anforderungen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten enthalten sein. Für Rückfragen bietet es sich an, zu jeder Stelle konkrete Ansprechpartner: innen mit direkter Kontaktmöglichkeit zu nennen.

Damit Bewerbende einen Einblick in die Unternehmenskultur bekommen, sollten auf der Karriereseite auch Hintergrundinformationen sowie eine Mission und eine Vision des Ingenieurbüros beschrieben werden. So erfährt man, was das Büro auszeichnet und welche Werte es vertritt.

Karriereseite
Bild 3: Beispiel für eine Karriere-Website. Quelle: www.mark-ingenieure.de

Nicht fehlen dürfen außerdem Informationen über Vergütungspakete, Zusatzleistungen, Weiterbildungsmöglichkeiten und andere Benefits. Um beiden Seiten Aufwand und Zeit zu sparen, sollten Ingenieurbüros hier Offenheit und Transparenz zeigen. Durch Bewertungsportale wie kununu und glassdoor lässt sich sowieso (fast) nichts mehr verheimlichen.

Weiterhin liefert die Karriereseite im Idealfall eine Übersicht über die verschiedenen Abteilungen, Teams und Positionen im Ingenieurbüro. So können sich Bewerbende ein besseres Bild von ihrem zukünftigen Arbeitsplatz machen. Statements von Mitarbeitenden, am besten mit Fotos und/oder Videos, vermitteln zusätzlich authentische Einblicke und machen das Büro nahbar.

Eine digitale Bewerbung per E-Mail ist heutzutage Standard. Noch besser ist ein Online-Bewerbungsformular für Direktbewerbungen, das auf der Karriereseite integriert wird. Mit wenigen Klicks können Interessenten so einen ersten Kontakt zum Ingenieurbüro herstellen. Ist mit der Website die Basis für ein strategisches Recruiting geschaffen, sollten weitere Maßnahmen für die Fachkräftesuche eingesetzt werden.

Social Recruiting: Neue Wege der Personalgewinnung

Unter Social Recruiting versteht man den Einsatz von Social Media und digitalen Netzwerken, um qualifizierte Bewerbende anzusprechen. Es ist eine moderne und effektive Methode, um potenzielle Kandidaten zu identifizieren, zu rekrutieren und zu engagieren. Dabei werden verschiedene Plattformen wie LinkedIn (Bild 4), Facebook oder Instagram genutzt, um eine möglichst große Reichweite und Sichtbarkeit zu erzielen.

Social Recruiting ist besonders gut für die Ansprache von passiven Kandidaten, also denjenigen "unterhalb der Wasseroberfläche" geeignet. Durch das Teilen von Einblicken in Unternehmenskultur, Arbeitsumgebung und das Leben der Mitarbeitende können Ingenieurbüros eine authentische Vorstellung ihrer Arbeitsweise vermitteln und gezielt ein Image aufbauen. Sie können außerdem Fragen beantworten und direkt mit potenziellen Kandidaten interagieren, bevor diese sich bewerben.

Social_Media
Bild 4: Beispiel für ein LinkedIn-Profil. Quelle: Hain

Um Social Recruiting erfolgreich umzusetzen, müssen Ingenieurbüros eine klare und langfristige Strategie entwickeln und verfolgen. Diese sollte das Erstellen von ansprechenden Inhalten, das Verwalten der Profile inkl. Interaktion, das Aktivieren von Mitarbeitende als Markenbotschafter und das kontinuierliche Monitoring der Leistung beinhalten.

Es ist wichtig, eine konsistente und professionelle Präsenz auf den Plattformen zu haben, um einen positiven Eindruck bei potenziellen Kandidaten zu hinterlassen. Deshalb ist es ratsam, sich auf ein oder zwei soziale Netzwerke zu konzentrieren.

Durch das zusätzliche Schalten von bezahlten Anzeigen (Social Ads) kann die Reichweite innerhalb kurzer Zeit signifikant erhöht und das Netzwerk erweitert werden. Ohne Anzeigen kann der Aufbau einer aktiven Community bis zu einem Jahr dauern.

Um das für das eigene Büro geeignete soziale Netzwerk zu identifizieren, sollte man seine Wunschkandidaten sehr genau kennen. Daraus kann man ableiten, auf welcher Plattform sie aktiv sind.

Für Unternehmen bieten die Social-Media-Plattformen auch sehr gute Analysemöglichkeiten. Die erweiterte Suche von LinkedIn ermöglicht bspw. das Filtern nach Fähigkeiten, Erfahrungen, Standort und anderen Eigenschaften der Seitenbesucher. 87 Prozent der Personalverantwortlichen suchen so bereits aktiv nach talentierten Kandidaten.

Fazit: Ingenieurbüros und Bauunternehmen müssen sich innovativer Recruiting-Methoden bedienen

Ingenieurbüros und Bauunternehmen müssen ihre traditionellen Recruiting-Ansätze überdenken und sich innovativer Methoden bedienen. Viele Fachkräfte sind zwar nicht aktiv auf der Suche, jedoch durchaus bereit für einen Jobwechsel.

Daher gilt es, durch strategisches Personal-Marketing Sichtbarkeit zu erzeugen und Interesse zu wecken. Eine professionelle Online-Präsenz und das Social Recruiting sind dabei Schlüsselfaktoren für den Erfolg. So können attraktive Arbeitgeber im Bauingenieurwesen den Eisberg bezwingen und das Fachkräftepotenzial "unterhalb der Wasseroberfläche" erreichen.

Literatur:

[1] Vogel Research (2023) Recruiting Report 2023. Wer bewirbt sich zukünftig bei wem? Berlin: HRtbeat GmbH; Würzburg: Vogel Communications Group GmbH & Co.KG.

(Dieser Beitrag ist in der Ernst & Sohn Sonderpublikation "Attraktive Arbeitgeber im Bauingenieurwesen" im November 2023 in gedruckter Form erschienen.)