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Deutsche Baupolitik 2023: Wenn der Wille zum Wandel auf realpolitische Investitionsscheu trifft

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 16. Aug. 2023

Bauwirtschaft und Politik: Der Ton wird rauer

Eigentlich war für die deutsche Bauwirtschaft in den letzten Jahren alles in Butter: Die Auftragsbücher voll, die Beschäftigungszahl deutlich erhöht und auch das mit der technologischen Transformation bekam man, wenn auch langsam, irgendwie immer besser hin. Sogar ein eigenes Bundesministerium sprang nach der letzten Wahl heraus.

Lindner
Für seine Aussagen am Tag der Bauindustrie 2023 wurde Christian Lindner vom Präsidenten des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB) Peter Hübner noch gelobt. Inzwischen übt Hübner am Finanzminister und dessen Investitionspolitik offene Kritik. Quelle: Maren Strehlau / Dirk Bleicker / HDB

Inzwischen aber fühlen sich die Vertreter der Branche mehr und mehr verpflichtet, nicht nur vor einer düsteren Zukunft ihrer Branche zu warnen sondern die in ihren Augen unzureichend agierende Bundesregierung direkt zu attackieren.

Der Geschäftsführer der Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen (BVMB) Michael Gilka schimpft dabei bereits seit Monaten unter anderem wahlweise über "Bürokratiewahn" und "Bürokratiemonster". Hinzu kämen rückläufige Aufträge, steigende Kosten und wenig Planungssicherheit.

In das gleiche Horn stoßen beispielsweise auch der Baugewerbeverband und die Handwerkskammern in Hessen. Nun platzte es auch aus dem Präsidenten des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB) Peter Hübner heraus.

Hauptverbandspräsident sieht Arbeitsplätze in Gefahr

Gegenüber der "Bild"-Zeitung warf er sowohl Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ("Wir haben einen Wirtschaftsminister, der sich nicht um die Wirtschaft kümmert.") als auch Bundesfinanzminister Christian Lindner ("Der Finanzminister sieht offenbar keine Notwendigkeit, den Wohnungsbaumotor anzuschmeißen.") Untätigkeit vor. Zehntausende Arbeitsplätze seien deshalb in Gefahr.

Hübners Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller wollte bei seiner Einschätzung der aktuellen Konjunkturlage zuletzt noch nicht derart schwarz malen. Zwar seien die Aufträge und Umsätze besonders im Hochbau stark eingebrochen. Für das laufende Jahr gehe man aber von einer Stagnation der Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe aus. "Die Bauunternehmen werden vor allem versuchen, den Abgang in die Rente auszugleichen", so Müller.

Bauindustrie bekennt sich zu Klimaneutralität ab 2045

Noch im Juni war die Stimmungslage im Hauptverband gegenüber der Bundespolitik gar nicht so düster. Beim offiziellen Tag der Bauindustrie wurde Finanzminister Lindner hofiert und für klare Worte gelobt. Thematisch ging der Blick über die graue Gegenwart hinaus ins Jahr 2045. Die bis dahin von der Bundesregierung angestrebte Klimaneutralität Deutschlands wurde als verbindliche Maßgabe allgemein anerkannt und akzeptiert.

Um dies zu erreichen, müsse die Kooperation aller Beteiligten gelingen und die "Baustelle 2045" ganz anders aussehen als heute, hieß es. Gemeinsam mit dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hatte der HDB deshalb das Fraunhofer-Institut beauftragt, eine Roadmap für den Weg zur klimaneutralen "Baustelle 2045" zu erstellen.

Die Studie benennt und sortiert notwendige Maßnahmen, zeigt Wechselwirkungen auf und ordnet Verantwortlichkeiten mit entsprechenden Zeitplänen zu: Von der Projektausschreibung und -vergabe, über das technische Regelwerk, Forschung und Entwicklung, den Baumaschinenfuhrpark, notwendige Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen bis hin zum zirkulären Bauen.

Hübner: Transformationsansätze noch nicht in allen Köpfen durchgesetzt

"Unsere Roadmap zur klimaneutralen Baustelle zeigt, wie komplex, herausfordernd und zeitkritisch die vor uns liegende Aufgabe ist. Mit den meisten Maßnahmen müssen wir dringend heute anfangen, wenn sich die Wirkung vor 2045 einstellen soll", unterstrich Peter Hübner die Eigenverantwortung seiner Branche am Tag der Bauindustrie deutlich.

Am Ende gehe es um einen radikalen Paradigmenwechsel, weg vom "Silo-Denken" und hin zu einem integrierten Ansatz bei Planung und Bau, kooperativen Vergabe- und Vertragsmodellen und digitalisierten Prozessen. "Ansätze, die banal und selbstverständlich klingen, sich aber noch nicht in allen Köpfen durchgesetzt haben. Sie müssen zum Leitbild für die Baustelle 2045 werden", so der Hauptverbandschef.

Dieser eher konstruktiv-kooperative Ton und die signalisierte Bereitschaft zum Wandel ist aktuell erst einmal der offenen Konfrontation mit dem Gesetzgeber gewichen. Ein Grund dafür sind die in den Augen der Bauindustrie sowohl bislang als auch perspektivisch zu geringen öffentlichen Investitionen, auch und gerade im Bereich Verkehrswegebau.

2023: Investitionen in Verkehrswegebau um 800 Millionen Euro gesunken

Letzter bereitete dem Strabag-Vorstand Peter Hübner bereits im Juni große Sorgen, da 2023 in der Investitionslinie Verkehr des Bundes für Straßen, Schienen und Wasserwege mit 18,6 Milliarden Euro knapp 800 Millionen Euro weniger zur Verfügung stünden als im Vorjahr. Ein deutlicher Rückgang, der durch steigende Preise vervielfacht werde.

Baukonjunktur_2023

Ähnlich problematisch sehe es bei den Kommunen aus, die nach wie vor etwa 60 Prozent der öffentlichen Baunachfrage stellen. Zwar planten die Kommunen für 2023 mit einem Investitionsplus von 4,4 Prozent. Durch steigende Preise ergibt sich laut HDB jedoch ein reales Minus und damit ein tendenziell weiter steigender Investitionsrückstand.

Wohnen, Verkehr, Baustoffe: Lange Forderungsliste für öffentliche Hand

Bei aller Kritik dürfte am Ende die Einsicht wiederkehren, dass Politik und Bauwirtschaft für das Erreichen ihrer Ziele aufeinander angewiesen sind. Hübner selbst hat dies immer wieder beschrieben. Die Bauunternehmen auf der einen Seite seien sich ihrer Schlüsselrolle für den Klimaschutz bewusst und würden sie "engagiert" annehmen.

Die notwendigen Investitionen der Bauindustrie in Personal und Technik setzten voraus, dass die öffentliche Hand auf der anderen Seite Investitionen in leistungsfähige Verkehrswege verstetigt, eine Balance aus Förderung und Anreizen für bezahlbares Wohnen findet und Maßnahmen gegen die anhaltende Regulierungsflut ergreift, um eine schnelle Zulassung von Innovationen und neuen Baustoffen sowie weniger Bürokratie zu erreichen.

"Dadurch", so Peter Hübner, "kann die Politik nicht nur dem Bau und seinen 930.000 Beschäftigten eine Perspektive geben. Mit jedem in den Bau investierten Euro stärkt sie auch den Standort Deutschland."