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Die Haftung des Bauingenieurs im Vergleich zu anderen Berufsgruppen

Alpen: Jährliche Brückeneinstürze durch Hochwasser oder Murgang

Traggerüst_Brücke
Am 15. Juni 2016 stürzte das 20 Meter hohe Traggerüst für die Betonschalung
zum Bau der Autobahnbrücke Schraudenbach ein. Foto: Störfix / Wikimedia

Als am 4. April 2023 im schweizerischen Poschiavo (Graubünden) eine Fußgängerbrücke im Bau einstürzte, wurden vier Arbeiter verletzt. Die Überführung muss komplett neu gebaut werden.

Auch sonst gehen in der Schweiz regelmässig Brücken verloren. Praktisch jedes Jahr wird eine Brücke durch Hochwasser oder Murgang im alpinen Raum, in der Regel auf untergeordneten Straßen und Wegen, zerstört.

In vielen anderen Ländern sieht es nicht besser aus. 2022 gab es unter anderem Brückeneinstürze in Italien, Rumänien, Spanien oder den USA. Weltweit, wie in Deutschland 2021, werden jährlich bei großflächigen Hochwassern Dutzende, wenn nicht Hunderte Brücken zerstört. Wie beim Einsturz der Brücke in Poschiavo sind nur in den wenigsten Fällen Todesopfer zu beklagen. Dies ist in weniger als fünf Prozent aller Brückeneinstürze der Fall. Gleichwohl besteht immer die Gefahr des Verlustes von Leib und Leben.

Bauingenieure haften in der Schweiz in solchen Fällen 20 Jahre, wobei der Nachweis der Verjährung durch den Ingenieur vor Gericht zu erbringen ist. In Deutschland haftet man dafür, soweit bekannt, den Rest seines Lebens. Ein aktuelles Beispiel: Am 3. Mai 2023 informierte die Tagesschau darüber, dass zwei Bauingenieure in Verbindung mit dem Einsturz eines Traggerüstes beim Bau einer Autobahnbrücke (Schraudenbach, Nordbayern) zu Haftstrafen verurteilt wurden. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch der Fall des Einsturzes der Eislaufhalle in Bad Reichenhall im Jahr 2006 (15 Todesopfer) und die anschließende Diskussion um die Prozesskosten. Ein anderes Beispiel ist der Brückeneinsturz bei der Umfahrung Wieselburg 2020 in Österreich.

Bauingenieure haften lange mit erheblichen Risiken

Generell ist festzustellen, dass Bauingenieure über lange Zeiten mit erheblichen persönlichen Risiken haften. Wie verhalten sich diese Haftungsbedingungen der Bauingenieure im Vergleich zu den jüngsten Geschehnissen in und um die Schweizer Großbank Credit Suisse? Mithilfe der durch das Schweizer Bundesamt für Bevölkerungsschutz veröffentlichten Grenzkosten für die Rettung von Menschenleben kann aus den gesamtgesellschaftlichen Verlusten der Credit Suisse ein hypothetischer Verlust an Menschenleben berechnet werden. Zurzeit betragen die Grenzkosten circa sieben Millionen Schweizer Franken.

Man kann nun die Bezahlung der Bauingenieure auf die Haftungsdauer und die Wahrscheinlichkeit des Einsturzes eines Bauwerks mit Todesfolge über das gesamte Arbeitsleben normieren. Genauso kann man die Einkünfte verantwortlicher Personen der Credit Suisse auf die hypothetisch verlorenen Menschenleben und die Haftungsdauer normieren. Dabei wird man feststellen, dass die normierte Bezahlung extreme Unterschiede aufweist. Diese extremen Unterschiede einer haftungsadäquaten Bezahlung betreffen übriges nicht nur die Bauingenieure, sondern viele andere Berufsgruppen im exekutiven Bereich.

Grenzkosten und hypothetische Opferzahlen in vielen Bereichen üblich

Die Frage der Grenzkosten wurde im Übrigen auch während der Zeiten der Covid-Pandemie sehr intensiv diskutiert (siehe z.B. Basler Zeitung vom 6. April 2020). Die Berechnung hypothetischer Opferzahlen ist auch in anderen Bereichen durchaus üblich. So werden hypothetische Opferzahlen durch Stickoxide vom deutschen Bundesumweltamt berechnet.

Angehende Bauingenieure nehmen die beschriebenen Risiken zwar instinktiv wahr, sie können sie jedoch nur selten quantifizieren. Als Hochschulprofessor rechne ich deshalb mit meinen Studenten aus, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, während des Arbeitslebens mit einem eingestürzten Bauwerk in Verbindung zu kommen. Die Zeit dafür nehme ich mir in der Vorlesung zum Thema Bauwerksschäden.

(Redaktionelle Anmerkung: Teilen Sie uns gerne Ihre Meinung oder Frage zum Thema "Haftung im Bauingenieurwesen" an redaktion@bauingenieur24.de oder im Forum mit.)