Die unterschätzte Gefahr: Warum Unternehmer im Bauwesen ihre Zahlen lieben lernen sollten
Aus verschiedenen Gründen – zum Beispiel ein Mangel an Zeit und/oder ökonomischen Kenntnissen – vernachlässigen viele Unternehmenslenker die ihnen zur Verfügung stehenden betriebswirtschaftlichen Informationen und konzentrieren sich lieber auf die Umsatzsteigerung – mit verheerenden Folgen für die Profitabilität.
Wir beginnen mit einer Fallstudie über einen Sanierungsauftrag eines Unternehmens aus der Baubranche. Die Firma konnte im Vergleich zu seinen direkten Wettbewerbern den höchsten Umsatz erzielen und diesen über viele Jahre kontinuierlich steigern.
Die Buchhaltung war mit einem langjährigen Mitarbeiter besetzt, der nach eigenem Bekunden mit den buchhalterischen Besonderheiten der Projektarbeit vertraut war. Man arbeitete seit vielen Jahren mit einer Steuerberatungsgesellschaft zusammen, die auch andere Mandanten aus der Baubranche betreute.
Für die Projektkosten- und Preiskalkulation verwendete das Unternehmen eine maßgeschneiderte Software, die mit Expertenannahmen und den Ist-Kosten des Unternehmens gefüttert wurde. Die Blaupause für die Projektkalkulation wurde von der Steuerberatungsgesellschaft in Zusammenarbeit mit einer Unternehmensberatung erstellt.
Alles schien in Ordnung zu sein, bis die Jahresabschlüsse aufgrund der Überschreitung der gesetzlichen Größenklassen erstmals von einem Wirtschaftsprüfer geprüft wurden. Dabei wurden gravierende Unstimmigkeiten festgestellt, die zu einer Korrektur des Jahresabschlusses führten. Darüber hinaus mussten erkennbare Risiken und drohende Verluste aus Vorjahren berücksichtigt werden.
All dies führte zu einem derart hohen Jahresfehlbetrag, dass sich die Frage der Insolvenzverschleppung stellte und der Unternehmer von einem Tag auf den anderen mit möglichen zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen konfrontiert war.
Sind Steuerberater und Buchhalter "Unternehmensberater"?
Dabei hätte ein Blick in die Betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) genügt, um zu erkennen, dass die magere Umsatzrendite stets deutlich unter den Annahmen der Projektkalkulation lag und somit etwas nicht stimmen konnte. Warum der Steuerberater nicht schon vor Jahren einen entsprechenden Warnhinweis gegeben hat, bleibt ein Rätsel.
Das eigentliche Problem ist aber ein anderes: Die Einschätzung des Wirtschaftsprüfers traf den Unternehmer völlig unerwartet. Er hatte das Thema "Zahlen" im weitesten Sinne gedanklich an andere ausgelagert und glaubte, sich nicht weiter darum kümmern zu müssen. Er vertraute darauf, dass die Annahmen richtig waren und die Software mit den richtigen Kosten gefüttert wurde.
Ich berate und begleite seit mehr als 30 Jahren Unternehmen und für mich steht fest: Das Phänomen, dass ein mittelständischer Unternehmer die Zahlen seines Unternehmens nicht wirklich kennt und sich eher blind auf seine Steuerberatung und/oder Buchhaltung verlässt, ist eher die Regel als die Ausnahme.
Das erkennt man zum Beispiel daran, dass auf die Frage "Warum sind die Ausgaben auf dem Konto XY im Vergleich zur Vorperiode explodiert?" die Antwort "Weiß ich nicht, muss ich mir erst mal anschauen" kommt.
Relevante Informationen aus Daten extrahieren
Die Gründe für dieses Phänomen sind vielfältig. Sie beginnen vielleicht damit, dass es in Deutschland wohl zum guten Ton gehört, damit zu prahlen, dass man in der Schule schlecht in Mathe war und auch heute nicht viel mit Zahlen anfangen kann. Die selbst erfüllende Prophezeiung, die damit in Gang gesetzt wird, ist sicher nicht zu unterschätzen. Glasige Augen beim Anblick von Zahlen sind dann vorprogrammiert.
Und sie können damit enden, dass mit dem Einzug der EDV in die Unternehmen – und erst recht mit der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung der Prozesse – der Unternehmer mit Unmengen von "Daten" überschwemmt wird. Die berüchtigten Zahlenfriedhöfe. Er steht allein vor der Aufgabe,
- herauszufinden, ob die Daten verlässlich sind und
- daraus für sich "relevante Informationen" abzuleiten.
1) Die Datenqualität
Die Frage nach der Verlässlichkeit der Daten, auf deren Grundlage Entscheidungen getroffen werden, war, ist und bleibt ein Dauerthema:
a) Welchen Mehrwert erhofft man sich von der Erhebung der Daten und wurden dafür die richtigen Daten erhoben?
b) Wurden die Daten richtig erhoben?
c) Wurden die Daten fehlerfrei in das System eingegeben bzw. übermittelt?
Ein Beispiel für a) ist die Berechnung der "Forderungslaufzeit in Tagen". Diese wird typischerweise vom Rechnungsdatum bis zum Zahlungseingang berechnet. Sinnvoller wäre es m. E., die Tage zwischen Leistungserbringung und Zahlungseingang zu erfassen. Denn nur so kann ggf. das Problem erkannt und behoben werden, dass sich viele KMU regelmäßig viel zu viel Zeit lassen, um eine Rechnung zu erstellen und zu versenden.
Ein Beispiel für b) wäre eine Kundenbefragung mit Suggestivfragen. Anstatt herauszufinden, was der Kunde wirklich meint, erhält man die Antworten, die man hören wollte.
Was c) betrifft, so sind die Buchhaltungsvorgänge sehr anfällig dafür. Ich kann die Fälle an einer Hand abzählen, in denen ich nicht auf durchaus gravierende Fehler in den Buchungsvorgängen eines Unternehmens gestoßen bin – egal ob intern oder extern gebucht.
Getreu dem Motto "Wo Müll reinkommt, kommt auch Müll raus" sind die BWA und der Jahresabschluss daher immer mit Vorsicht zu genießen. Schon aus diesem Grund ist es unerlässlich, dass der Unternehmer ein Gefühl für die Richtigkeit seiner Zahlen entwickelt. Denn er ist es, der für die Richtigkeit haftet, wie das obige Sanierungsbeispiel zeigt.
2) Von "Daten" zu "relevanten Informationen"
Früher suchte sich der Unternehmer die für ihn relevanten Informationen und sammelte die entsprechenden Daten. So ließ er sich zum Beispiel den täglichen Auftragseingang von einem Mitarbeiter vorlegen. Alle anderen Informationen, die ebenfalls relevant gewesen wären, blieben verborgen. Denn man kann nicht wissen, was man nicht weiß, wenn man keine Informationen hat.
- Im obigen Fall fehlte dem Unternehmer unter anderem die Information, dass die den Kunden in Rechnung gestellten Arbeitsstunden signifikant niedriger waren als die von den Arbeitern auf den Baustellen geleisteten Arbeitsstunden.
Im Gegensatz dazu erzeugen heute die EDV-Systeme selbstständig große Datenmengen und leiten daraus alle möglichen Informationen ab. Ein System kann so eingestellt sein, dass es einen Standardbericht generiert, der den Auftragseingang nach verschiedenen Dimensionen – Kundentyp, Region, Produktgruppe, Betreuer, Auftragsmonat – aufbereitet. Ob diese Informationstiefe einen Nutzer findet, der sich freiwillig damit auseinandersetzt und sie darüber hinaus als relevant erachtet, bleibt abzuwarten.
Ist "Umsatz" eine relevante Information?
Die Information, die Unternehmer typischerweise als relevant ansehen, ist der Umsatz, und das Hauptaugenmerk liegt auf dessen Steigerung. Diese Sichtweise greift jedoch viel zu kurz.
Zum einen, weil Umsatz nicht gleich Zahlungseingang ist. Erst/nur mit dem tatsächlich eingehenden Geld kann das Unternehmen seine offenen Rechnungen begleichen.
- Ein Unternehmen, das seine Finanzen nicht im Griff hat, kann zwar volle Auftragsbücher und buchhalterische Gewinne, aber dabei gleichzeitig einen tiefroten operativen Cashflow haben. Ein solches Unternehmen lebt und wächst auf Pump und ist damit dem Wohlwollen der Hausbank ausgeliefert.
Und zweitens: Selbst wenn mit dem Geldeingang sicher und zeitnah gerechnet werden kann, gilt: Ein Unternehmen lebt streng genommen nicht vom Geldeingang, sondern davon, dass der Auftrag mit dem realistischen Aufwand, der hoffentlich der Auftragskalkulation zugrunde lag, abgearbeitet werden kann.
- Im obigen Fall wurde bei der Projektkalkulation der zu erwartende Lohnaufwand anhand einer im System hinterlegten Formel im Verhältnis zum geplanten Materialeinsatz berechnet. Diese Vorgehensweise setzt voraus, dass die Aufträge immer ähnlich groß und komplex sind, was hier nicht der Fall war. Außerdem hatten die "Experten" bei der Erstellung des Kalkulationssystems einen erheblichen Kostenblock übersehen, der in der Preiskalkulation nicht berücksichtigt wurde.
Wenn der Auftragsbestand stimmt, der Ertrag aber nicht, dann rächt sich die fehlende Datenanalyse bitter und viele sind schnell mit ihrem Latein am Ende: Woran erkenne ich die Gründe für die fehlende Umsatzrendite und wie kann ich das Problem beheben?
Der gängige Ansatz zur Lösung des Problems: Das Streben nach noch mehr Umsatz. Das eigentliche Problem und seine nachhaltige Lösung liegen aber oft viel tiefer, nämlich in der Produkt- bzw. Preispolitik, die dringend überdacht werden sollte.
Unzureichende Produkt- und Preispolitik im Mittelstand
Denn die Stärke der KMU, ihre Flexibilität, wird leicht zu ihrer Schwäche, wenn sie keine Produktpolitik definieren. Sie versuchen dann immer das zu liefern, was der Kunde verlangt. Ohne sich ihrer unternehmerischen Grenzen bewusst zu sein und ohne zu wissen, welche Aufträge sie besser nicht annehmen sollten.
- Die Kulanzleistungen des obigen Unternehmens waren enorm. Sie hatten keine vertragliche oder gesetzliche Grundlage, sondern dienten der Kundenbindung – und wurden von den Kunden exzessiv in Anspruch genommen.
Bei der Preispolitik fehlt es oft an einer ordentlichen Kalkulation. Im schlimmsten Fall hat sich der Unternehmer bei der Festlegung seiner Produktpreise einfach an anderen Marktteilnehmern orientiert – ohne zu kalkulieren, ob er mit den realistisch zu erwartenden Erlösen auskommen wird.
Im günstigsten Fall hat er zwar kalkuliert, dabei aber statt realistischer, kalkulatorischer Kosten die gebuchten Kosten des Unternehmens im Allgemeinen und die gebuchten Personalkosten im Besonderen berücksichtigt.
Sollten Personalkosten als "Flatrate" behandelt werden?
Die Problematik dieses Ansatzes liegt darin, dass die Personalkosten fatalerweise oft als „Flatrate“ wahrgenommen werden: Ein Pauschalpreis, der unabhängig vom Umfang der Nutzung bezahlt wird. Je mehr Leistung man für einen bestimmten Preis erhält, desto billiger wird es. Folgerichtig wundern sich viele Vorgesetzte, warum der Mitarbeiter pünktlich Feierabend machen will, obwohl noch viele dringende Aufgaben zu erledigen sind.
Tatsächlich kauft das Unternehmen aber ein Zeitkontingent, zum Beispiel 40 Stunden pro Woche, zu einem festen Stundensatz ein. Das ist ein großer Unterschied, denn nun stellen sich ganz andere Fragen:
- Was macht der Mitarbeiter in/mit dieser Zeit?
- Wie effektiv und effizient nutzt das Unternehmen die zur Verfügung gestellte Zeit?
Benötigt ein externer Dienstleister 40 Stunden für eine Leistung, die eigentlich nur vier Stunden dauern sollte, fällt die Diskrepanz spätestens bei der Rechnungsstellung auf.
Benötigt hingegen ein angestellter Mitarbeiter über mehrere Wochen verteilt 40 Stunden für die gleiche Leistung, fällt dies unter Umständen niemandem auf. Auch dieses Phänomen korreliert positiv mit mangelnder Zahlen- bzw. Datenanalyse.
- Dazu ein Beispiel eines Unternehmers, der es belohnte, wenn seine Mitarbeiter geschäftig wirkten und Überstunden leisteten. Dies veranlasste einen Vertriebsmitarbeiter, die Produktmaske aufzurufen, die Produktdetails handschriftlich auf ein Blatt Papier zu schreiben und anschließend in ein Word-Angebotsdokument einzutippen und aufwendig zu formatieren. Stattdessen hätte er die Produkte per Mausklick im System auswählen und automatisch ein Angebotsschreiben generieren können. Aus wenigen Minuten Zeitaufwand wurden so viele Stunden geschäftig aussehendes Arbeiten.
Fazit: Unkenntnis der Unternehmenszahlen birgt erhebliche Risiken für KMU
Das Phänomen, dass viele Mittelständler die Zahlen ihres Unternehmens nicht wirklich kennen, ist weit verbreitet und birgt erhebliche Risiken. Die Geschichte des Sanierungsfalls zeigt eindrücklich, wie gefährlich es ist, das Verständnis der eigenen Unternehmenszahlen blind an andere outzusourcen. KMU können verschiedene Maßnahmen ergreifen, um ihre Situation zu verbessern. Folgende fünf Punkte möchte ich dabei betonen:
- Verbesserung des Finanzwissens und -verständnisses: Unternehmer sind gut beraten, einen Dienstleister in Anspruch zu nehmen, der ihnen hilft, ein Gefühl für ihre Zahlen zu entwickeln und nach und nach individuelle Kennzahlen zu erarbeiten, die es ihnen ermöglichen, Unstimmigkeiten in den Abläufen frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen einzuleiten.
- Aktive Beteiligung an der Finanzplanung und -analyse: Ein grundlegendes Verständnis von Buchhaltung und Finanzmanagement ist für eine effektive Unternehmensführung unerlässlich. Statt sich ausschließlich auf Buchhalter oder Steuerberater zu verlassen, sollten sich Unternehmer aktiv an der Finanzplanung und -analyse beteiligen. Dazu gehört die regelmäßige Überprüfung von BWA, Budgets und Finanzprognosen.
- Stärkung der internen Kontrollsysteme: Die Sicherstellung der Datenqualität und die Umwandlung von Daten in relevante Informationen, auf deren Basis finanzielle Entscheidungen getroffen werden, ist ein zentrales Thema für jedes Unternehmen. Ein effektives internes Kontrollsystem kann dabei helfen, Fehler und Betrug zu verhindern. Dazu gehört auch die Implementierung von Gegenkontrollen, um sicherzustellen, dass keine einzelne Person unkontrollierte Macht über die Finanzen hat.
- Fokussierung auf nachhaltiges Wachstum: Nicht der kurzfristige Umsatz oder Gewinn sollte im Vordergrund stehen, sondern die langfristige, nachhaltige Umsatzrentabilität auf der Grundlage solider kaufmännischer Praktiken. Die Umsatzrentabilität eines Unternehmens erfordert korrekte Kalkulationen und eine durchdachte Produkt- und Preispolitik.
- Förderung einer Kultur der finanziellen Eigenverantwortung: Es führt zu Fehlschlüssen, wenn Arbeitsentgelte als "Flatrate" betrachtet werden. Sinnvoll ist es, den realistischen Arbeitsaufwand zu kennen und diesen, bewertet mit realistischen Marktpreisen, in die Produkt- und Preispolitik einfließen zu lassen. Dafür ist es wichtig, eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der jeder Mitarbeiter ein Grundverständnis für die finanziellen Aspekte des Unternehmens hat und sich seiner Rolle in Bezug auf die Produktivität und Umsatzrentabilität des Unternehmens bewusst ist.
Kourosh Ghaffari...
...hat über 20 Jahre als (Investment-)Banker Unternehmenskunden in finanzwirtschaftlichen Fragen beraten. Später hat er durch seine Arbeit als gesamtverantwortlicher Geschäftsführer eines Großhandels- und Logistikunternehmens bestimmte Themen bewusster wahrgenommen, die inhabergeführten Unternehmen in Familienbesitz eigen sind.
Aufgrund dieser Erfahrungen hat er die Chance erkannt, eine vakante Nische Im Beratermarkt zu besetzen und hat daher 2011 gbcc ins Leben gerufen.
Mit seiner A.D.L.E.R.-Methode unterstützt er Unternehmen bei der Lösung von komplexen Problemsituationen, über Abteilungsgrenzen und Verantwortlichkeiten hinweg, sowohl Sachthemen als auch zwischenmenschliche Interaktionen betreffend.
Immer gilt es für ihn zu beantworten: Wie ist das Problem entstanden? Welche Faktoren halten es aufrecht? Welche Handlungsoptionen stehen zur Verfügung?