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Die Zeit drängt – Warum die bisherigen Antworten auf den Klimawandel nicht ausreichen

Verfasst von: Prof. Dr.-Ing. Dr.-Ing. E.h. Manfred Curbach
Veröffentlicht am: 14. Apr. 2023

Bisheriger Klimawandel gefährdet bereits Menschenleben

Die Beobachtung, dass der Begriff des Klimawandels in Veröffentlichungen, auf Konferenzen und in Reden im Bauwesen immer häufiger vorkommt, hat nicht nur den Grund darin, dass das Bauwesen einen übergroßen Anteil an CO2 ausstößt und damit einen großen Teil der Verantwortung für den Klimawandel trägt.

Tatsächlich muss deshalb bei jeder sich bietenden Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich das Bauen schnell und radikal ändern muss, um den Klimawandel idealerweise auf einen mittleren Temperaturanstieg von 1,5 °C zu begrenzen (was schon jetzt äußerst ambitioniert ist).

Der Klimawandel hat aber noch eine zweite Komponente, die nicht weniger bedeutsam ist. Es geht um den bisher stattgefundenen Klimawandel und die daraus entstandenen Konsequenzen. Die mittlere Temperatur ist von 1880 bis 2020 bereits um mehr als 1,2 °C angestiegen, wobei dies unter anderem zu einem spürbaren Anstieg von Extremwetterereignissen geführt hat.

Die immer häufigeren Starkregen führen zu lokalen und überregionalen Überflutungen mit daraus resultierenden Schäden und Zerstörungen unserer gebauten Umwelt und damit zu akuten Gefährdungen für Menschenleben. Gleiches bewirkt die zunehmende Intensität und Häufigkeit von Stürmen. Langanhaltende Dürren führen zu einer deutlichen Senkung der Grundwasserspiegel, zur Austrocknung der Böden auch in größeren Tiefen und damit zu unplanmäßigen und unregelmäßigen Setzungen von Gebäuden, die dadurch oft große Schäden erfahren. Die Erhöhung der Durchschnittstemperatur führt aber auch dazu, dass sich in Regionen, die ehedem im Zustand des Dauerfrosts lagen, durch die Tauvorgänge Steine und Steinformationenlösen können, die ihrerseits durch Impakt Menschenleben gefährden.

Verfügbare Antworten auf den Klimawandel reichen noch nicht aus

Mit anderen Worten: Der bereits stattgefundene und der sich in den folgenden Jahren unvermeidbar weiter einstellende Klimawandel fordert uns heute heraus und die bisher verfügbaren Antworten reichen bei weitem nicht aus, um die Sicherheit der Menschen mindestens auf dem Level zu halten, das wir heute haben.

Zudem sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass Umfang, Größe und Häufigkeit von Extremwetterereignissen bei einer globalen Temperaturerhöhung von 2 °C nicht etwa doppelt so stark sind wie bei einer Temperaturerhöhung von 1 °C. Die Effekte aus der Temperaturerhöhung entwickeln sich nichtlinear, werden also bei 2 °C eventuell viermal so extrem sein wie bei 1 °C. Was einmal mehr deutlich macht, dass die Begrenzung auf 1,5 °C zwar ambitioniert sein mag, aber zwingend erreicht werden muss, und dass die Zeit mehr drängt, als wir dies wahrhaben wollen.

Um all dies zu schaffen, brauchen wir deutlich mehr Ideen und deren Umsetzung für das erforderliche Neue Bauen. Und wir brauchen die klügsten Köpfe aus allen Bereichen, die mit dem Bauwesen zu tun haben. Dies gilt heute, aber umso mehr in den nächsten 30 Jahren.

Aktuelle Probleme des Bauwesens als große Herausforderungen benennen

Doch was lesen junge Leute heute, wenn sie sich auch nur näherungsweise mit dem Bauen beschäftigen? Da ist die Rede von in die Höhe schnellenden Preisen, von dramatischem Wohnungsmangel, von immer schlechter werdender Bausubstanz unserer Brücken und von der starken Umweltbelastung durch das Bauen. Das ist nicht gerade werbend für unsere Branche.

Da all diese Probleme tatsächlich vorhanden sind und auch von niemandem geleugnet werden, gilt es einmal mehr, diese Entwicklungen tatsächlich als Herausforderung zu bezeichnen (und nicht nur, weil grundsätzlich die Tendenz zu bestehen scheint, Probleme pauschal als Herausforderung zu bezeichnen, obwohl es einen Unterschied zwischen beiden Begriffen gibt). Und die Benennung dieser Herausforderungen sollten wir mit einer Werbekampagne für unser Fach verbinden. Denn woher sollen all die kreativen Köpfe kommen, die mit uns den Klimawandel begrenzen helfen und die die Auswirkungen des bisher stattgefundenen Klimawandels reduzieren können?

Die Motivation ist klar: Wir wollen uns gemeinsam dafür einsetzen, dass wir uns eine Welt bewahren, die ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. Dafür brauchen wir die besten jungen Leute, die sich für ein Bauingenieurstudium entscheiden. Aber woher sollen diese jungen Menschen wissen, welche Aufgaben und Herausforderungen vor uns liegen, wenn wir es ihnen nicht sagen?

Werbung für das Bauingenieurwesen muss immens sein

Wir müssen unsere bisherigen Erfolge deutlicher, öfter, intensiver präsentieren, in Texten und Bildern. Dabei könnten wir uns ein Beispiel nehmen am „Verkauf“ der Bilder des James-Webb-Teleskops. Wir müssen unser Handeln sichtbar machen und unseren Beruf, unsere Berufung, unsere Chancen, unsere Bedeutung, unsere Aufgabe, unsere Verantwortung zeigen, damit wir junge Menschen erreichen und sich diese berufen fühlen, die Herausforderungen der Zukunft beim Bauen zu meistern.

Deshalb wiederhole ich den Aufruf zu einer Werbekampagne, die gemeinsam von den Unternehmerverbänden, den Hochschulen und Universitäten und der öffentlichen Hand getragen wird. Und der Umfang dieser Werbekampagne sollte mit der Größe unsere Aufgaben korrelieren, also immens sein. Und auch hier besteht der gleiche Zeitdruck wir bei den Herausforderungen selbst.

Oder wie groß muss der Leidensdruck in unserer Baucommunity eigentlich noch werden?

Manfred_Curbach
Manfred Curbach ist Institutsdirektor und
Professor für Massivbau an der Technischen Universität Dresden.
Foto: Ulrich van Stipriaan