Eine neue Industrie entsteht: Wie Deutschland seine Wasserstoffinfrastruktur aufbaut
Wasserstoff soll ökologische Wärmewende ermöglichen
Um ihre Klimaschutzziele zu erreichen, treibt die Bundesregierung neben der allgemeinen Energiewende die sogenannte Wärmewende voran. Mit Inkrafttreten der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) Anfang 2024 wurde dazu der Umstieg auf erneuerbare Energien beim Heizen bis 2045 verpflichtend.
In Berlin knüpft man in diesem Zusammenhang unter anderem große Erwartungen an den erneuerbaren Energieträger Wasserstoff. Dieser soll laut Nationaler Wasserstoffstrategie künftig das fossile Erdgas, welches derzeit über 50 Prozent der Wärmeversorgung leistet, ersetzen.
Bislang gibt es jedoch noch keine Wasserstoffinfrastruktur, weder für die Produktion, noch für den Transport. Sowohl Lieferanten als auch potenzielle Kunden, wie Stahl- oder Zementwerke, zögern mit Investitionen, weshalb die Bundesregierung nun massive Förderungen auf den Weg gebracht hat.
EU-Kommission: Bundesregierung darf Wasserstoffindustrie subventionieren
Die EU-Kommission stimmte unlängst den staatlichen Beihilfen für einen staatlichen "Wasserstoffhochlauf" in Höhe von drei Milliarden Euro zu. Bis 2032 soll damit ein 9.700 Kilometer langes deutsches Wasserstoff-Kernnetz entstehen. Dieses soll das nicht nur das Rückgrat des Fernleitungsnetzes für Wasserstoff in Deutschland bilden, sondern Teil einer europäischen Wasserstoff-Grundstruktur sein.
Konkret sollen Unternehmen in Form von staatlichen Garantien unterstützt werden, durch die sie günstige Darlehen erhalten können. Damit könnten Verluste, mit denen zu Beginn des Projekts gerechnet wird, gedeckt werden. Die staatliche Förderbank KfW soll Darlehen gewähren, deren Zinsen unter den Marktsätzen liegen. "Die Darlehen sind bis 2055 zurückzuzahlen, wobei Höhe und Zeitpunkt der Rückzahlungen angepasst werden an den erwarteten allmählichen Anstieg der Nachfrage nach Wasserstoff", so die EU-Kommission.
Fernleitungsnetzbetreiber: Wasserstoff-Kernnetz kostet 20 Milliarden Euro
Die deutschen Fernleitungsnetzbetreiber (FNB) schätzen die Gesamtkosten für das Kernnetz auf knapp 20 Milliarden Euro. Es soll grundsätzlich vollständig über Gebühren der Nutzer finanziert werden. Folgende Fernleitungsnetzbetreiber sind bislang an der Planung und dem Ausbau des Wasserstoff-Kernnetzes beteiligt:
- bayernets GmbH, München
- Ferngas Netzgesellschaft mbH, Schwaig
- Fluxys Deutschland GmbH, Düsseldorf
- Fluxys TENP GmbH, Düsseldorf
- Gascade Gastransport GmbH, Kassel
- Gastransport Nord GmbH, Oldenburg
- Gasunie Deutschland Transport Services GmbH, Hannover
- GRTgaz Deutschland GmbH, Berlin
- Lubmin-Brandov Gastransport GmbH, Essen
- NEL Gastransport GmbH, Kassel
- Nowega GmbH, Münster
- Ontras Gastransport GmbH, Leipzig
- Open Grid Europe GmbH, Essen
- terranets bw GmbH, Stuttgart
- Thyssengas GmbH, Dortmund
Laut FNB könnten für das neue Kernnetz gut 60 Prozent bestehende Erdgas-Röhren umgewidmet werden, zum anderen Teil seien Neubauten nötig. Der genaue Verlauf der Leitungen muss noch von der Bundesnetzagentur genehmigt werden. Bis Mitte September soll das geschehen, mit großen Änderungen wird nicht gerechnet. Schon kommendes Jahr soll durch erste Abschnitte Wasserstoff fließen.
Energiepark in Sachsen-Anhalt leistet Wasserstoff-Pionierarbeit
Im Energiepark Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt will man zu den Ersten gehören, die Wasserstoff durch eine Bestandsleitung durchbringen. Projektleiterin Cornelia Müller-Pagel meint, erst dann werde man auch wissen, was der Betrieb für Herausforderungen bringt. Die Grundlagen, die sie hier schafften, würden allen Netzbetreibern, die sich am Wasserstoff-Kernnetz beteiligen, dienlich sein.
In Bad Lauchstädt wird von der Elektrolyse Mitteldeutschland GmbH (EMG) Wasserstoff in einer eigenen Produktionsanlage (Elektrolyseur) hergestellt. EMG hat mit der Ontras Gastransport GmbH einen Kapazitätsvertrag unterzeichnet. Auch bei diesen rechtlichen Abstimmungen wird Pionierarbeit geleistet, etwas Ähnliches gab es in Deutschland bisher nicht.
Ontras stellt in Bad Lauchstädt eine 25 Kilometer lange Pipeline auf Wasserstoff um. Laut FNB-Plan wird Ontras in Ostdeutschland einen bedeutenden Teil des Wasserstoffnetzes betreiben. Pressesprecher Ralf Borschinsky sprach gegenüber dem MDR von der größten Investition der Firmengeschichte.
Das Projekt mit dem Namen "Green Octopus Mitteldeutschland" wird mit 157 Millionen Euro gefördert. Das Unternehmen müsse dabei erst investieren, hinterher die Kosten einreichen und bekomme diese dann anteilig vom Fördermittelgeber ersetzt, so Borschinsky.
Für den großangelegten Ausbau seiner Wasserstoffaktivitäten sucht Ontras aktuell personelle Verstärkung (siehe Stellenanzeige). Das nachweislich familienfreundliche Unternehmen legt dabei einiges für Bewerbende in die Waagschale, unter anderem eine finanzielle Beteiligung am Unternehmenserfolg, Zuschüsse für Mittagessen und Kindergarten sowie einen Familienservice inklusive Backup-Kita bei Betreuungsengpässen.
Während man also potenziellen Mitarbeitenden schon heute ein gutes Angebot machen kann, bleibt gegenüber Industriekunden, die zunächst noch keinen Anschluss ans Kernnetz bekommen, nur die Bitte um Vertrauen: "Das Ganze ist ein dermaßen dynamischer Prozess, da wird es auch Entwicklungen geben, die wir heute noch gar nicht vorhersehen“, so Ontras-Sprecher Ralf Borschinsky.
Wasserstoffinfrastruktur zunächst nicht flächendeckend
Tatsächlich steht die deutsche Wasserstoffindustrie gerade erst am Anfang. Gedulden muss man sich deshalb auch beim Stahlwerk Thüringen (SWT). Am Standort in Unterwellenborn enden zwei Gasleitungen, eine soll 2028 Wasserstoff bringen. SWT setzt auf den erneuerbaren Energieträger. In Mecklenburg-Vorpommern wurde hingegen ein Netzabschnitt aus Kostengründen wieder gestrichen, was dortige Betriebe verärgert hat.
Bei thyssenkrupp in Duisburg soll ab 2027 die erste Wasserstoffanlage in der Stahlfertigung in Betrieb gehen. "Natürlich vertrauen wir der Bundesregierung, dass sie eine Versorgung mit Wasserstoff aufbaut", sagt Matthias Weinberg, Leiter des Zentrums Metallurgie bei thyssenkrupp. "Ansonsten würden wir diese neue Anlage ja nicht bauen."