Falsche Berechnung: Gericht kassiert Toleranzen bei Kostenschätzung
# 26.10.2021
Ungefähre Mengenangaben in Leistungsphasen 2 und 3 nicht mehr zulässig. Problem der Gliederungstiefe bei DIN 276/2018-Anwendung bleibt ungeklärt. Nachvollziehbare Planungsberatung mindert Haftungsrisiko
OLG Hamm: Mengenangaben in Kostenschätzung müssen korrekt sein
Um die Toleranzen bei Kostenermittlungen ranken sich viele Gerüchte. Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat vor nicht allzu langer Zeit mit rechtskräftiger Entscheidung einige dieser falschen Annahmen als solche enttarnt.
Hart sind die Aussagen, dass bei unrealistischen Mengenansätzen (z. B. falscher Ansatz für Kubikmeter BRI als Berechnungsgröße) der Kostenschätzung keine Toleranz mehr zugebilligt wird und dass auch schlichte Fehler, wie vergessene Mehrwertsteuer, nicht Bestandteil möglicher Kostentoleranzen sind (OLG Hamm, Urteil vom 15.03.2018, Az. 21 U 22/17, rechtskräftig durch Zurücknahme der NZB, BGH, Beschluss vom 29.08.2018, Az. VII ZR 87/18).
Planer sollten sich in punkto Kostenermittlung professionell aufstellen, um Haftungsrisiken, die aus Kostenabweichungen resultieren, zu vermeiden. Im Tagesgeschäft sollte darauf geachtet werden, dass die Berechnungen der Mengenansätze in der Kostenschätzung korrekt sind. Diese Anforderung gilt unberührt von der Gliederungstiefe. Dies betrifft zum Beispiel folgende Werte:
- Bezugsmengen (z. B. m³ BRI, m² BGF) in den Leistungsphasen 2 und 3
- Mengenangaben (z. B. m² Fassadenfläche, m² Deckenfläche)
- Abwicklungsfläche Lüftungsleitungen in m² (gemäß DIN 276/2018 beim Entwurf TA)
- Mengenangaben (z. B. m² Innenwandfläche)
Mengenermittlungen: Gliederungstiefe bei DIN 276/2018-Anwendung überhaupt leistbar?
Besonders brisant wird das vor dem Hintergrund, dass die "neue" DIN 276/2018 nicht nur eine aktualisierte, sondern insbesondere in wesentlichen Teilen eine tiefere Gliederung der Kostengruppen in den Leistungsphasen 2 und 3 empfiehlt.
Wird also vereinbart, dass die DIN 276/2018 anzuwenden ist, stellt sich die Frage, ob die dortige fachliche Gliederungstiefe der konkreten Kostengruppen mit den so zugeordneten Mengenermittlungen je Kostengruppe überhaupt leistbar ist oder ob nur Annahmen und Erfahrungswerte möglich sind.
Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, dass vorzeitige Projektbeendigungen bzw. komplette Umplanungen wegen des gestiegenen Kostendrucks zunehmen, ist hier das Planerrisiko offensiv unter die Lupe zu nehmen.
Toleranzen für Kostenkennwert in Euro weiter zulässig
Zunächst ist festzuhalten, dass die Planungsvertiefung stufenweise erfolgt. In der Leistungsphase 2 (und teilweise auch in der Leistungsphase 3) liegen also längst noch nicht alle Einzelansätze aller Kostengruppendetails vor.
Zwar werden Toleranzen für die Kostenkennwerte in Euro/Einheit nach wie vor zugestanden. Dies gilt aber nicht mehr für die Mengenansätze als wesentlichem Anteil der Kostenermittlungen.
Hier gilt es, Mängel bei der Mengenermittlung zu vermeiden und auch keine Anhaltswerte zugrunde zu legen sowie den Auftraggeber darauf hinzuweisen, wenn die entsprechenden Mengen noch nicht ermittelbar sind.
DIN 276/2018 gliedert in Leistungsphase 3 tiefer als HOAI
Je tiefer die Kostengruppengliederung wird, desto mehr und detailliertere Mengenansätze werden erforderlich. Hinzu kommt, dass nachvollziehbar sein muss, ob die Mengen zutreffen oder nicht. Das bedeutet, dass die Herleitung verfügbar sein muss.
Außerdem ist zu beachten, dass die DIN 276/2018 Vorschläge zur Gliederungstiefe der Kostenarten (Kostenschätzung bzw. -berechnung) enthält, die detaillierter sind als nach den Grundleistungen der HOAI erforderlich (siehe dortige Grundleistungen mit je unterschiedlichen Mindestanforderungen).
Beispiel 1: Kostengruppe 300 (Empfehlung DIN 276/2018)
- KGr. Nr. 311: Herstellung Baugrubenrauminhalt / Erdbaurauminhalt (in m³) – Hinweis: Rauminhalt einschließlich der Arbeitsräume und Böschungen
- KGr. Nr. 312: Umschließung (in m²) – Hinweis: Umschlossene Begrenzungsflächen der Baugrube
- KGr. Nr. 313: Wasserhaltung (in m³) – Hinweis: Zu entwässernder Rauminhalt einschließlich der Arbeitsräume und Böschungen
Beispiel 2: Kostengruppe 400 (Empfehlung DIN 276/2018)
- KGr. Nr. 431: Zuluftleitungen / Lüftung (in m²) – Hinweis: Abwicklungsfläche der Luftleitungen
- KGr. Nr. 431: Abluftleitungen / Lüftung (in m²) – Hinweis: Abwicklungsfläche der Luftleitungen
- KGr. Nr. 431: Einzelraumlüfter (St.) – Hinweis: Anzahl der Einzelraumlüfter
Diese Auszüge aus wenigen Kostengruppen zeigen, dass die Gliederungstiefe nur möglich ist, wenn die vereinbarten Leistungen im eigenen Leistungsbild und die erforderlichen Fachbeiträge der anderen Planungsbeteiligten das auch fachlich einschließen.
Um an dieser Stelle Mangelvorwürfe und Zusatzaufwand zu minimieren, sollte mit dem Auftraggeber im Vorfeld der jeweiligen Kostenermittlung eine objektspezifische und realistisch erreichbare Gliederungstiefe vereinbart werden, welche der fachlichen Planungsvertiefung entspricht.
Im Zweifel Schätzungen als Besondere Leistungen anbieten
Verlangt der Auftraggeber dennoch vorab eine Gliederungstiefe, welche zum Beispiel mit der Planungsvertiefung der Leistungsphase 2 nicht vereinbar ist, können Planer anbieten, für Kostengruppen (siehe Beispiele), die noch nicht detailliert sind, im Rahmen von Besonderen Leistungen Vorabermittlungen als Schätzungen vorzunehmen, die im Verlauf der Planungsvertiefung dann von den konkreten Ansätzen ersetzt werden.
Diese Leistungen (z. B. vertiefte Kostenschätzung anhand gesonderter Mengeneinschätzungen für Einzelkostengruppen relevanter Bauteile in Lph 2 oder vertiefte Kostenberechnung in Lph 3) werden immer öfter beauftragt, um in frühen Projektphasen die voraussichtlichen Kosten besser beurteilen zu können.
Geht der Auftraggeber darauf nicht ein, sollten man ihn zur eigenen Disposition darauf hinweisen, dass die von ihm (in den jeweils betreffenden Kostengruppen, was je Projekt einzeln zu prüfen ist) verlangte Gliederungstiefe der Kostenschätzung es allenfalls ermöglicht, "grobe Vorabmengenansätze" zu verwenden, für die noch keine exakten Planungsgrundlagen vorliegen, die später ggf. anhand der dann erzielten Planungen geändert werden müssen.
Grundsatz: Kostenberechnung kann nicht tiefer gehen als Planung ermöglicht
Weiter sollte kommuniziert werden, dass Fachbeiträge (z. B. Baugrund- oder Schadstoffgutachten bzw. nicht umfassend beauftragte Fachplaner) noch zum Teil offen sind, und alle diesbezüglichen Mengenangaben zu den Kostenansätzen ebenfalls nur als grobe Voreinschätzung getroffen werden können.
Im Ergebnis kann die Gliederungs- und Berechnungstiefe nicht tiefgehender sein, als es die Planung an sich ermöglicht. Dieser Grundsatz gilt für alle Leistungsbilder. So ist zum Beispiel im Leistungsbild Tragwerksplanung in Leistungsphase 2 die Besondere Leistung "Vorläufige nachprüfbare Berechnung der Gründung" ggf. erforderlich, um diesbezügliche Mengenansätze in einer Tiefgründung, Baugrubensicherung oder Gründungsplatte bereitstellen zu können.
Projektabbruch als neues Schadenersatzrisiko
Fehler bei der Kostenermittlung können bei der aktuellen Kostensituation und -dynamik in letzter Konsequenz dazu führen, dass der Auftraggeber das Projekt abbricht und vom Planer Schadenersatz verlangt. So war es auch im eingangs erwähnten Fall vor dem OLG Hamm.
Der private Auftraggeber musste sein Wohnbauvorhaben infolge der Rechenfehler beim Mengenansatz (m³ BRI) der Kostenschätzung vorzeitig abbrechen. Er verlangte daraufhin Schadenersatz für diejenigen Kosten, die bei rechtzeitiger Kenntnis des zutreffenden Budgets (zutreffende Kostenschätzung) vermeidbar gewesen wären.
Dies waren nach Ansicht des Gerichts alle Kosten, die nach Vorlage der unzutreffenden Kostenschätzung im weiteren Projektverlauf (unnötigerweise) ausgelöst wurden. Nur die Kosten (inkl. anteiliger Honorare), die bis zur Kostenschätzung angefallen waren, gelten als notwendige Kosten.
OLG-Fall: Fehlerhafte Kostenschätzung zog enorme Schadenskosten nach sich
Alle weiteren Kosten, die nach der Vorlage der Kostenschätzung angefallen sind, stellen also Schadenskosten dar, die bei zutreffender Kostenschätzung hätten vermieden werden können. Solche Schadenskosten sind zum Beispiel die Honorare für alle Planer- bzw. Beraterleistungen ab der Leistungsphase 3 sowie die Aufwendungen für Ausführungsleistungen (z. B. Gründung und Rohbau).
Fehler bei der Kostenermittlung müssen nicht immer gleich einen Projektabbruch nach sich ziehen. Sie können sich aber für ein Planungsbüro wirtschaftlich wie ein Projektabbruch anfühlen. Das gilt zum Beispiel, wenn der Bauherr die bisherige Planung nach Bekanntwerden zusätzlicher Kosten in der Leistungsphase 3 verwirft und eine komplett andere Planung verlangt oder aus einem einheitlichen Projekt drei Bauabschnitte werden, die auf sechs Jahre verteilt werden.
Vorläufige Kostenschätzung als unverbindliche Alternative
Die Beratung in der Leistungsphase 2 zur Kostenschätzung ist sehr bedeutend für den Projektverlauf und darf angesichts der derzeitigen Kostensituation am Bau und der häufigen auftraggeberseitigen Umdispositionen nicht unterschätzt werden.
Planer sollten ihre Auftraggeber sehr übersichtlich informieren, damit diese alle Kostendispositionen sofort treffen kann. Nur dann werden Mängelrügen, grundlegende Projektumstellungen oder andere Erfordernisse (wie z. B. umfangreiche Planungsänderung) nicht zum Schaden ablaufen.
Sollte es nicht gelingen, eine vollständige und sachgerechte Kostenschätzung zu erarbeiten, ist zu prüfen, ob eine Kostenermittlung mit entsprechender Begründung als "Vorläufige Kostenschätzung" etikettiert werden kann. Dem Auftraggeber gibt man so zu verstehen, wie wenig verbindlich die Kostenschätzung ist. Ein solches Vorgehen würde den Beratungsaufgaben eines Planers entsprechen.
Fazit: Fehlende Toleranzen bei Kostenschätzungen machen Beratung noch bedeutsamer
Mengenansätze bei Kostenschätzungen genießen keine Toleranzspielräume. Lediglich beim Kostenkennwert/Menge gibt es Toleranzen. Die Annahme, dass es bei der Kostenschätzung für alle angewendeten Werte übergreifend eine Toleranz von circa 25 Prozent gilt, ist Geschichte.
Die Gerichte differenzieren zwischen Rechenfehler (= Mangel) und Toleranz. Diesem Risiko kann man als Planer durch umfassende Beratung zur Sinnhaftigkeit einzelner Mengenermittlungen im Zuge der Kostenschätzung und der Hinwirkung auf rechtzeitige Beauftragung aller (!) erforderlichen weiteren Fachleistungen leicht und effektiv begegnen.
Insbesondere bei beratungsresistenten Auftraggebern kommt es hier auf Nachhaltigkeit und Beharrlichkeit an. Alles muss nachvollziehbar sein, dann gibt es kein Haftungsrisiko.
QUELLEN UND VERWEISE:
Kostensteigerung: Wie Planer die Haftung auf den Bauherrn übertragen
Planungsbüro professionell (PBP)