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Gehalt, Nachhaltigkeit, Frauen: Megatrends der deutschen Bauwirtschaft am Beispiel der Unternehmensgruppe Porr

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 28. Mai 2024

Große Bauunternehmen als Gradmesser der Gesamtbranche

Die Bauwirtschaft in Deutschland, bestehend aus den Bereichen der Bauindustrie, des Baugewerbes und dem Bauhandwerk, ist vielschichtig und für manche Beobachter zum Teil unübersichtlich strukturiert. Hinzu kommen die gesonderten Bereiche der Bauplanung sowie sonstige Dienstleistungsunternehmen, wie beispielsweise Bausoftwareunternehmen.

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Bild 1 - Porr Deutschland wurde von der Zeitung Tagesspiegel mit dem "Charity Award 2024" in Gold ausgezeichnet. Die Auszeichnung erhalten Unternehmen, die sich über die gesetzlichen Vorgaben hinaus für Gesellschaft, Soziales und Umwelt engagieren. Foto: Porr AG

Ungeachtet dieser Tatsache lassen sich anhand bestimmter und vor allem großer Branchenvertreter beinah sämtliche aktuellen Themen und Entwicklungen der gesamten Planungs- und Baubranche ablesen, seien es

  • die tarifliche und arbeitsschutzrechtliche Verantwortung für das Personal,
  • die Frage der Beschäftigung von Frauen sowie der Besetzung von Führungspositionen mit Frauen,
  • ein häufig stark expansionsgetriebenes Geschäftsgebaren oder
  • der Wandel zu mehr Nachhaltigkeit und
  • die Notwendigkeit zur digitalen Transformation.

Ein solches für die deutsche oder gar europäische Bauwirtschaft repräsentatives Unternehmen ist die Porr-Gruppe. Deren 20.000 Beschäftigte erwirtschafteten 2023 einen Jahresumsatz von rund sechs Milliarden Euro. Zu den aktuellen namhaften Bauprojekten zählen der Südschnellweg in Hannover, die Hochbrücke Horb sowie die Elbquerung im Rahmen des Infrastrukturgroßprojekts "SuedLink".

Strategie der Porr-Gruppe: Zukäufe sichern Wachstum und Nachhaltigkeitsziele

Das multinationale Firmenkonglomerat steht unter der Leitung des Generaldirektors Karl-Heinz Strauss. Für das Geschäft in Deutschland zeichnet Claude-Patrick Jeutter als technischer Geschäftsführer verantwortlich. Hierzulande wächst das Unternehmen unter anderem durch Zukäufe. Unlängst wurde die Infrastruktur-Sparte in Deutschland mit der Übernahme der baden-württembergischen A. Waggershauser Strassenbau GmbH & Co. KG erweitert (Bild 2). Die etwa 140 Beschäftigten sollen weiterbeschäftigt werden.

Dem Kauf lag laut Porr auch eine bewusste Entscheidung "im Sinne unserer Green and Lean-Strategie" für mehr kreislauffähiges Bauen zugrunde. Neben dem Maschinen- und Fuhrpark sowie einem Asphalt-Mischwerk übernimmt Porr auch die Beteiligung an einer Baustoff-Recyclinganlage. Nach nicht ganz 100 Jahren endet damit die Unternehmensführung der Familie Waggershauser.

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Bild 2 - Porr hat mit dem baden-württembergischen Unternehmen A. Waggershauser Strassenbau auch dessen Asphalt-Mischwerk und die Beteiligung an einer Baustoff-Recyclinganlage übernommen. Foto: A. Waggershauser Strassenbau GmbH & Co. KG

Die bisherigen Eigentümer Mathias und Stefan Waggershauser betonen: "Mit der PORR haben wir einen strategischen Partner gefunden, der die Erfolgsgeschichte unseres Unternehmens in Zukunft fortschreiben und konsequent vorantreiben wird. Wir freuen uns auf neue Perspektiven für das Unternehmen und unsere Mitarbeitenden - ganz im Sinne unserer Philosophie – mit einer ordentlichen Portion Mut und Pioniergeist, einer permanenten Veränderungsbereitschaft und solider Arbeit." Das Beispiel zeigt einen Werdegang, den viele ehemalige familiengeführte Bauunternehmen teilen.

Erste Frau an der Spitze: Iris Ortner seit April Aufsichtsratsvorsitzende der Porr AG

Blickt man von Deutschland Richtung Porr-Stammsitz in Wien, lässt sich an der Spitze des börsennotierten Baukonzerns eine historische Führungsrollen-Rochade feststellen. Seit dem 30. April 2024 hat mit der langjährigen Aufsichtsrätin Iris Ortner erstmals eine Frau den Vorsitz des obersten Firmengremiums inne (Bild 3). Ihr Vorgänger, Karl Pistotnik, trat in die Rolle des Stellvertreters.

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Bild 3 - Iris Ortner ist seit dem 30. April 2024 die neue Aufsichtsratsvorsitzende der Porr AG. Sie ist die erste Frau in dieser Position. Foto: Porr AG

So wie der Zukauf der A. Waggershauser Strassenbau im Kleinen, kann die Wahl Iris Ortners als Aufsichtsratsvorsitzende im Großen als Beleg für ein ernstgemeintes Nachhaltigkeitsstreben der gesamten Porr AG gesehen werden. Ortner ist und bleibt Vorsitzende des firmeninternen Nachhaltigkeitausschusses, zusätzlich übernimmt sie nun auch den Vorsitz im Nominierungs- und im Vergütungsausschuss.

Bei der weiteren Betrachtung der Beteiligungsstrukturen des Porr-Konzerns wird es wieder familiär:  Iris Ortner ist die Tochter des Aufsichtsratsmitglieds und ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Ortner. Zudem leitet sie als Geschäftsführerin die IGO Industries Gruppe, welche im Rahmen ihres Syndikats mit der Strauss-Gruppe als Hauptaktionärin an der Porr AG beteiligt ist.

Porr-Basis: Beschäftigte in Deutschland kämpfen für mehr Geld

Während sich also an der Spitze des Bauunternehmens 2024 bereits bedeutende Veränderungen ergeben haben, kämpft das Personal an der Basis in Deutschland aktuell in Form von dezentralen Streiks für mehr Gehalt. Zwar hat Porr die von den deutschen Arbeitgeberverbänden empfohlene freiwillige Entgelterhöhung mit Meldung vom 16. Mai rückwirkend zum 1. Mai für seine Beschäftigten übernommen.

Eine Woche später wurde dennoch die Porr-Baustelle des Südschnellwegs in Hannover bestreikt. Die IG BAU begrüßte diese Art der betriebsübergreifenden Solidaritätsbekundung, zumal die versprochenen Lohn- und Gehaltserhöhungen deutlich unterhalb der Gewerkschaftsforderung von 500 Euro mehr im Monat lägen.

Neben der wichtigen Frage der Entlohnung trägt Porr wie jedes Bauunternehmen auch hinsichtlich des Arbeitsschutzes große Verantwortung für seine Beschäftigten. Um unter anderen seine Baustellenteams zu schützen, sorgt Porr nach eigener Aussage mit umfangreichen und erprobten Arbeitssicherheitskonzepten für eine frühzeitige Erkennung, Beseitigung und Prävention von Unfallgefahren.

Arbeitssicherheit: Komplizierte Höhenrettung wird auf Porr-Baustelle Neckartalbrücke eingeübt

Sichtbar werden dies Bemühungen an der Baustelle des Infrastrukturgroßprojekts Hochbrücke Horb. Nachdem kürzlich das Überwachungsaudit für die SCCP-Zertifizierung bestanden wurde, ist die Baustelle der bis 90 Meter hohen Neckartalbrücke an mehreren Terminen seit April bis zum Spätsommer 2024 Schauplatz für Rettungsübungen regionaler Feuerwehren (Bild 4). Als "Übungsgeräte" dienen zwei 100-Meter-Kräne und ein 60-Meter-Kran sowie die bis zu 65 Meter hohen Stahl-Hilfskonstruktionen aus dem Brückenbau.

Die Gruppe "Sonderrettung Höhen und Tiefen" Sindelfingen der Werksfeuerwehr Mercedes Benz trainieren an zwei verschiedenen Tagen immer wieder den Umgang zur Rettung von verletzen Personen aus der Höhe, die Handhabung von Geräten und Sicherungssystemen sowie die Organisation von Sicherheitsketten.

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Bild 4 - Auf der Baustelle der Hochbrücke Horb im Neckartal üben regionale Feuerwehren das Szenario "Höhenrettung". Als "Übungsgeräte" dienen zwei 100-Meter-Kräne und ein 60-Meter-Kran sowie bis zu 65 Meter hohe Stahl-Hilfskonstruktionen. Foto: Porr AG

Auch die Höhenrettung hilfloser Personen aus dem Kran gehört zum Programm. Die ortsansässige Freiwillige Feuerwehr Horb hat sich ebenfalls für einen Tag angesagt, um an einem 100-Meter-Kran zu üben. Ende des Sommers ist eine Notrettung mit dem Hubschrauber vom Kran geplant.

Von diesen Höhenrettungstrainings profitieren nach Einschätzung der Beteiligten alle Seiten. So suchten die Feuerwehren immer wieder Standorte, an denen sie ihre Mitglieder für die Höhenrettung aus- und weiterbilden können. Die Helfer werden dadurch erfahrener, was wiederum die allgemeine Arbeitssicherheit der Baubeschäftigten erhöhe (vgl. hierzu …; Anm. d. Red.).

Bauwirtschaft in Deutschland: Nur so stark wie das schwächste Glied

Letztlich zeigt sich am Beispiel der internationalen Porr-Gruppe zum einen die Stärke und Innovationsfähigkeit der gesamten Bauwirtschaft sowohl in Deutschland als auch innerhalb der Europäischen Union. Hinzu kommen die generellen Beziehungsaspekte innerhalb des Verhältnisses großer Arbeitgeber und ihrer Belegschaften, darunter die Themen Gehalt und Arbeitsschutz.

Zum anderen kann der Erfolg der Baukonzerne, trotz seiner hohen Bedeutung für die ganze Branche, nicht gänzlich mit der Alltags- und Wettbewerbssituation vieler kleinerer und regional aktiver Bauunternehmen verglichen werden. Grundsätzlich gilt für die hiesige Baubranche dasselbe wie für die freiheitliche und demokratische Gesellschaft, zu welcher sie stets gehört und in welcher sie agiert: Sie ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied.