Gescheiterte Schlichtung: IG BAU kündigt Streiks an / Bauindustrie und Baugewerbe betroffen
(zuletzt aktualisiert am 08.05.2024 um 19:25 Uhr)
Arbeitgeber lehnen Schlichterspruch ab, IG BAU reagiert prompt
In der deutschen Bauwirtschaft stehen die Zeichen auf Streik. Nachdem die regulären Tarifverhandlungen im April gescheitert waren, wurde ein Schlichterspruch von der Arbeitgeberseite abgelehnt. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) kündigte daraufhin am 3. Mai 2024 an, es werde nun "massiv" gestreikt werden.
Als Begründung der Ablehnung verwiese Uwe Nostitz, Vizepräsident des Zentralverbandes Deutsches Baugewerbe (ZDB) und Verhandlungsführer der Arbeitgeber, auf "schwere Mängel" im Schlichterspruch. Dies betreffe etwa die einheitliche Festlegung aller Ausbildungsvergütungen im ersten Ausbildungsjahr. Konkret sah der Vorschlag des Schlichters Rainer Schleger eine Bezahlung in Ost wie West in Höhe von 1.080 Euro vor.
Unterschiedliche Lesart bezüglich Ausbildungsvergütung
Nach Ansicht der Arbeitgeber hätte dies bei den technisch-kaufmännischen Bereichen zur Folge, dass die Ausbildungsvergütung im 2. Ausbildungsjahr unter der des 1. liegt. "Das ist ein klarer Verstoß gegen § 17 Absatz 1 Berufsbildungsgesetz, der für jedes Ausbildungsjahr steigende Ausbildungsvergütungen zwingend vorschreibt. Dieser Fehler hätte vermieden werden können, wäre der Schlichter unserem Vorschlag, auch die Vergütung der übrigen Ausbildungsjahre zu erhöhen, gefolgt", sagt Uwe Nostitz.
Die IG BAU hatte zuvor Gegenteiliges angegeben. In einer Pressemitteilung vom 19. April 2024 hieß es, "die anderen Lehrjahre werden ähnlich angehoben". Hier scheinen beide Tarifparteien eine unterschiedliche Lesart des Schlichterspruchs zu vertreten. Der IG-Bau-Vorsitzende Robert Feiger nimmt den Schlichter ausdrücklich in Schutz: "Ich kenne keinen Schlichtungsspruch, der quasi schon ein fertiger Tarifvertrag war", so Feiger gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (rnd). Dem Schlichter vorzuwerfen, er habe nicht sauber gearbeitet, halte er daher für "sehr verwegen".
Die Arbeitgeber stoßen sich darüber hinaus an der vorgeschlagenen Ost-West-Angleichung, wonach laut Nostitz ab dem nächsten Jahr der Lohn in der Lohngruppe 1 im Osten höher wäre als im Westen. Das sei ein "absurdes Ergebnis". Jutta Beeke, Vizepräsidentin des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie und alternierende Vorsitzende der Verhandlungskommission, ergänzte diesbezüglich, dass man bei der Ost-West-Angleichung kaum vorangekommen sei.
Auch der von der Gewerkschaft geforderte Respekt sei ihrer Meinung nach auf der Strecke geblieben. So gab es durch den vorgeschlagenen Festbetrag in einigen Lohngruppen zu hohe, in anderen dafür nur relativ geringe Erhöhungen. "Das können wir als Arbeitgeber so nicht verantworten. Fair ist eine einheitlich prozentuale Erhöhung für alle", so Beeke. Nicht nachvollziehbar sei des Weiteren der Verzicht auf eine tarifliche Entgeltumwandlung, etwa die Möglichkeit von Firmenrad-Leasingangeboten, als attraktiven Vergütungsbestandteil. Im Wettbewerb um Fachkräfte sehen sich die Bauarbeitgeber als tariftreue Unternehmen dadurch im Nachteil. "Hier wurden Chancen vertan", lautet Beekes Fazit.
Arbeitgeberseite: Hoffnung rettet keine Existenzen
Neben den rechtlichen Mängeln verkennt der Schlichterspruch nach Einschätzung der Arbeitgeberverbände die aktuellen Konjunkturfakten. "Über alle Sparten hinweg verzeichnen wir eine real negative Umsatzentwicklung. Der Wohnungsbau steckt zudem in einer tiefen Krise. Diese baukonjunkturelle Realität spiegelt sich leider in dem tendenziell sehr hohen Schlichterspruch nicht wider, wohl aber die Hoffnung auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Hoffnung allein rettet aber keine Existenzen in der Krise", so Uwe Nostitz.
Sowohl Jutta Beeke als auch Uwe Nostitz betonen, dass die Arbeitgeberseite weiter verhandlungs- und gesprächsbereit sei, um Streiks zu vermeiden und Schaden von der Branche abzuwenden. Die IG BAU schlägt nach dem Nein der Arbeitgeber nun jedoch einen ganz anderen Ton an. IG-Bau-Chef Feiger kündigte noch am gleichen Tag der Ablehnung einen harten Arbeitskampf an. Bestreikt werden soll demnach sowohl die Bauindustrie wie auch das Baugewerbe, große Unternehmen genauso wie kleine Handwerksbetriebe.
Unverständnis über Schlichtungsablehnung trotz mehrheitlicher Arbeitgeberzustimmung
Für Unverständnis bei der IG BAU sowie neutralen Beobachtern sorgt indes der Umstand, dass es innerhalb der Arbeitgeberverbände sehr wohl eine Mehrheit für den Schlichtungsspruch gegeben habe. Letztlich sei laut Feiger die Zustimmung jedoch daran gescheitert, dass in einem der beteiligten Verbände das nötige Quorum, also die Anzahl der Stimmen, die erreicht sein muss, damit eine Abstimmung Gültigkeit erlangt, bei über 80 Prozent lag.
Nach Einschätzung des Gewerkschaftsbosses bestand auf Arbeitgeberseite offenbar tatsächlich eine Zustimmung von vier Fünftel, was jedoch nicht ausreichte. "Der Kompromiss hätte auch uns einiges abverlangt", so Feiger. Man sei sich aber der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusst gewesen und habe daher der Schlichtung zugestimmt.
"Jetzt haben nicht wir, die IG BAU, den Streik zu verantworten, sondern die Bauunternehmen selbst. Sie müssen nun den Bauträgern erklären, warum das Haus nicht fristgerecht fertig wird, sie müssen nun den Autofahrer*innen erklären, warum der Stau vor der Autobahnbaustelle jetzt zwei statt nur einer halben Stunde dauert, sie müssen nun der Politik erklären, dass noch mehr CO² emittiert werden muss, weil die Anlagen für Erneuerbare Energien nicht weitergebaut werden“, so Feiger wörtlich.
IG BAU: Stimmung auf dem Bau liegt weit unter null
Grundsätzlich stellt der Gewerkschaftschef fest, dass die Stimmung auf dem Bau "weit unter null" liege. Die Baubeschäftigten seien sauer, sie vermissten "jeglichen Respekt und jegliche Anerkennung" der Unternehmen. "Die würden am liebsten schon heute Nachmittag mit dem Arbeitskampf beginnen."
Als Ziel des bevorstehenden Arbeitskampfes wird indes nicht mehr der Schlichtervorschlag angegeben. Gestreikt werde jetzt vielmehr wieder für die ursprüngliche Forderung: 500 Euro mehr im Monat über alle Lohngruppen hinweg. Robert Feiger zeichnet ein düsteres Bild: "Ich garantiere: Die Ablehnung des Schlichterspruchs wird den Bauunternehmen noch auf die Füße fallen, denn jetzt kann es nur teurer werden."
Im Bauhauptgewerbe arbeiten laut Gewerkschaft aktuell rund 930.000 Frauen und Männer in 80.000 Betrieben. Angesichts dieser Zahlen sei ein Streik logistisch und strukturell deutlich anspruchsvoller als etwa bei der Bahn, gestand Robert Feiger dem rnd. Er sieht darin jedoch kein Hindernis für einen wirkungsvollen Arbeitskampf: "Wir wissen, wo es den Arbeitgebern wehtut."
Arbeitgeberverbände empfehlen Bauunternehmen freiwillige Entgeltanhebungen ab 1. Mai 2024
Inzwischen (Stand. 08.05.2024) haben die beiden Arbeitgeber-Spitzenverbände HDB und ZDB den Bauunternehmen freiwillige Entgeltanhebungen rückwirkend zum 1. Mai dieses Jahres empfohlen. Konkret schlagen sie fünf Prozent mehr im Westen und sechs Prozent mehr im Osten vor. Für die unterste Lohngruppe 1 ist eine Mindestanhebung auf bundeseinheitlich 14 Euro vorgesehen.
Die Ausbildungsvergütungen sollen im 1. Ausbildungsjahr einheitlich auf 1.000 Euro ansteigen, für die Ausbildungsvergütungen in den 2., 3. und 4. Ausbildungsjahren sind unterschiedliche Erhöhungen vorgesehen, die laut Arbeitgeberverbände "ausnahmslos und deutlich über dem gescheiterten Schlichtungsspruch liegen".
"Die Mitarbeiter sollen nicht unter dem Tarifkonflikt zu leiden haben. Sie haben eine Entgeltsteigerung verdient", so Uwe Nostitz vom ZDB. "Wir haben dabei aber auch Verständnis für die Unternehmen, die aufgrund ihrer schwierigen wirtschaftlichen Situation diese Empfehlung nicht eins zu eins umsetzen können."
Die Tarifempfehlung soll eine vorübergehende Lösung sein, mit der die Arbeitgeberseite zeigen will, dass sie zu ihren Zusagen und Angeboten stehe. "Wir streben nach wie vor eine schnelle Lösung des Tarifkonflikts an und stehen für entsprechende Gespräche bereit", sagt Jutta Beeke vom HDB.
In seiner Reaktion auf die Empfehlung der Arbeitgeber macht IG BAU-Chef Feiger noch einmal deutlich, dass nun gestreikt werde. Und ergänzt: "Natürlich stehen wir für Verhandlungen bereit, wenn ein Angebot im Volumen oberhalb des Schlichterspruches auf meinem Schreibtisch liegt."