Hochwasserschutz: Deich in Schläuchen braucht weniger Platz
# 04.06.2021
Forschungsverbund testet alternative Bauweise mit Versuchsdamm. Sensoren liefern Daten zur Bauwerksanalyse. 1,5 Millionen Euro Förderung für Dreijahresprojekt
EU fördert Hochwasserschutz durch Forschungsinvestition
Bei der Forschung und Entwicklung im Bereich Hochwasserschutz kooperiert die Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe mit der RWTH Aachen und der Gütersloher Firma topocare.
Gemeinsam arbeitet man an dem Projekt "InnKubaTubes", welches seit 2019 bis 2022 mit insgesamt rund 1,5 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert wird.
Bei einem Großversuch am Kieswerk in der Stadt Lage hat das Forschungsteam die neue Deichbaulösung erstmals unter realen Bedingungen getestet. Hauptbestandteile sind jeweils 20 Meter lange Schläuche, die neben- bzw. übereinandergestapelt werden können.
Umwickeltes Bodenmaterial ergibt Deichbauwerk
Gegenüber konventionellen Bauweisen benötigt der neuartige Deich eine geringere Breite, was Fläche und Material spart. Darüber hinaus sind steilere Böschungsneigungen möglich und er ist überströmungssicherer, kann also nicht brechen.
Beliebiges Füllmaterial wird maschinell verpackt
Durch das Verpacken könne laut Projektleiter Carsten Schlötzer vom Fachbereich Bauingenieurwesen der TH OWL quasi jeder lose Stoff genutzt werden. "Wir sind nicht wie im konventionellen Deichbau darauf angewiesen, einen Boden mit besonderen Eigenschaften zu nehmen, den man teuer anliefern lassen muss", so der Professor.
Sensoren erlauben Blick ins Deichinnere
Pro Stunde schafft die Maschine bis zu 100 Meter. "Den Versuchsdamm zu bauen, hat allerdings zwei Tage gedauert", erklärt topocare-Geschäftsführer Simon Jegelka. Grund sei der Umstand, dass man hier für die recht kurzen Schläuche immer vor und zurückfahren und sich richtig positionieren musste.
Im Damm enthaltene Sensoren messen Feuchtigkeit, Wasserstand, Druck, Verformung, Setzung und Neigung der Schläuche. Mit Hilfe der Daten kann das Team einen digitalen Zwilling des Deichs erzeugen und so am Computer sehen, was im Deich passiert. Geplant ist, dieses Modell mit einer Simulation zu verknüpfen, mit der man verschiedene Szenarien digital durchspielen kann.
Versuchsdeich hält dicht
Bisher begutachten Deichläufer die Deiche, allerdings nur von außen. Mit dem neuen System könnten die smarten Bauwerke selbst einen Alarm auslösen, wenn etwas nicht stimmt oder eine Wartung notwendig wird. Damit könnte in Zukunft der Unterhaltungsaufwand für die Betreiber geringer ausfallen, blickt Projektleiter Schlötzer voraus.
Aus einem alten Container hat das Forschungsteam in seiner Versuchshalle am Kreativ Campus in Detmold einen Hochwassersimulator gebaut. Dieser steht vor dem Versuchsdeich und eine alte Feuerwehrpumpe flutet ihn mit Wasser aus dem See des Kieswerks. Das Wasser strömt über den Deich, der dicht hält, wie geplant.
Angehende Bauingenieure forschen mit
An dem Projekt sind Studierende beteiligt, die unter anderem mehrere Bachelorarbeiten zu einzelnen Themenbereichen wie der Sensorik des Deichs verfasst haben.
Stefan Langer ist einer von ihnen. Er hat am Fachbereich Bauingenieurwesen der TH OWL seinen Bachelor- und Masterabschluss gemacht und sich im Rahmen seiner Masterarbeit mit den gefüllten Textilschläuchen beschäftigt.
Inzwischen ist Langer wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt "InnKubaTubes". "Das Beste ist, zu sehen, wie man das, was man im Studium für die Klausuren gelernt hat, jetzt auch praktisch anwenden und gebrauchen kann", sagt der Bauingenieur. "Außerdem hat diese Bauweise einen großen Nutzen: Sie ist standsicherer und vielseitig anwendbar."
Forscher sehen Alternative zu konventionellen Dammsystemen
Die TH OWL bringt in dem Projekt ihre Expertise in der Geotechnik ein, die RWTH Aachen ihr Know-how im Wasserbau und die Firma topocare im Maschinenbau. Im Laufe des Projektes wurden bislang zwei Dämme gebaut und die Verlegetechnik optimiert.
"Ich glaube, dass wir mit unseren ganzen Vorarbeiten und dem Projektergebnis nachweisen können, dass wir eine ressourcenschonende, nachhaltige und sichere Alternative zum konventionellen Dammsystem entwickelt haben", zeigt sich Projektleiter Schlötzer nach gut zwei Drittel der Laufzeit zufrieden.
Neue Dammbauweise auch für Lärmschutz denkbar
Im letzten Drittel soll noch ein technisches Regelwerk erstellt werden, um die neue Technik praxistauglich zu machen. Zusammen mit dem Werre-Wasserverband wollen die Forscher oberhalb von Bünde an der Else zudem ein Hochwasserrückhaltebecken nach der neuen Methode bauen.
"Um im Falle eines Hochwassers eine Welle zu kappen, sollen darin direkt neben dem Fluss 330.000 Kubikmeter Wasser eingelagert und dann, wenn der Pegel des Flusses wieder fällt, nach und nach wieder abgegeben werden können", sagt Schlötzer.
Er kann sich noch weitere vielfältige Einsatzmöglichkeiten für die Erdschläuche vorstellen: "Wir sind nicht nur auf Hochwasserschutz fokussiert. Die Technik könnte beispielsweise auch für den Lärmschutz genutzt werden."
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