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Holz, Lehm, Stroh: Alte Baustoffe im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 18. Aug. 2023

Nachhaltigkeitsstreben bringt jahrtausendealte Baumaterialien wieder in Mode

Holz, Lehm und Stroh werden seit Jahrtausenden als Baumaterial verwendet. Mit der Industrialisierung und vor allem der Entwicklung des Stahlbetons traten die traditionellen Baustoffe in den Hintergrund, ohne jedoch dabei ihre baukulturelle Aura zu verlieren. Das gesamtgesellschaftliche Nachhaltigkeitsstreben unserer Zeit und der damit einhergehende bewusstere Umgang mit Baumaterialien aller Art bringt sie wieder in Mode.

Strohballenbau
Für das Bauen mit Stroh fehlen bislang die statisch-konstruktiven und bauphysikalischen Grundlagen. als Foto: Bauhaus-Universität Weimar

Baut man heute mit Holz, Naturstein, Lehm oder Stroh, sind die Anforderungen natürlich ganz andere als in der vorindustriellen Ära. Zwar wurden auch schon früher sehr anspruchsvolle Bauwerke, wie Sakralbauten oder Brücken, mit besonderer Höhe und Spannweite realisiert. Inzwischen sind aber unzählige weitere Bedingungen, unter anderem hinsichtlich des Brandschutzes oder des Dämmwerts, hinzugekommen.

Anforderungen an Baustoffe seit der Industrialisierung enorm gestiegen

Um diese erweiterten Eigenschaften auch für Bauwerke aus alten und nachwachsenden Baustoffen zu gewährleisten, findet im Moment einiges an Forschung und Entwicklung statt. In Leipzig beispielsweise soll ein eigenes Holzbauforschungszentrum der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) ab Sommer 2024 einen modernen Rahmen für Spitzenforschung im Holzbau bieten.

Das Zentrum steht künftig im Innovationspark Bautechnik Leipzig/Sachsen im Stadtteil Engelsdorf gleich neben dem ebenfalls zur HTWK Leipzig gehörenden Carbonbetontechnikum, welches 2022 eröffnet wurde. An der HTWK ergründet die Forschungsgruppe FLEX unter der Leitung des Professors für Tragwerkslehre Alexander Stahr seit knapp zehn Jahren ressourcenschonende Baumethoden, verknüpft das Zimmerei-Handwerk mit digitalen Werkzeugen und erforscht Möglichkeiten der additiven Fertigung und des Recyclings.

Stahr ist auch Projektleiter für das Holzbauforschungszentrum, welches eine Grundfläche von 1.000 Quadratmetern einnehmen wird. „In der Haupthalle planen wir eine frei konfigurierbare Arbeitsfläche, die von universell verwendbaren Industrierobotern über ein Kransystem angesteuert werden kann. Daneben wird es eine modern ausgestattete Tischlerei sowie ein additives Fertigungslabor mit unterschiedlichen 3D-Druck-Technologien geben“, so Stahr.

Holzbauforschung in Sachsen für effizientere Fertigung und wirtschaftlichen Strukturwandel  

Neben dem Kernforschungsthema, parameter-basierte Fertigungssysteme für einen effizienten, individuellen und nachhaltigen Holzbau zu entwickeln, sehen die Verantwortlichen einen umfassenden Forschungs- und Transferbedarf in den Bereichen Informatik, Mathematik, Maschinenbau, Automatisierungstechnik und Wirtschaft. "Das Prinzip der interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb der Hochschule wird damit zu einem wesentlichen Grundbaustein des Projekts."

Die intensivierte Holzbauforschung in Leipzig dient nicht zuletzt auch einem wirtschaftspolitischen Zweck. Nach dem vollzogenen Kohleausstieg soll damit der Weg des Strukturwandels in Mitteldeutschland durch die Stärkung der regionalen Holzwirtschaft geebnet werden. Die sächsische Staatsregierung bzw. der Freistaat Sachsen fördern daher entsprechende Initiativen zum Bauen mit Holz.

Strohballen_Druck
Ausgehend von experimentellen Untersuchungen
sollen die Mindestanforderungen für Strohballen
festgelegt werden, um sie als lasttragendes Bauteil
in der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung
zu klassifizieren. Foto: Thomas Müller /
Bauhaus-Universität Weimar

Im Nachbarbundesland Thüringen wird derweil verstärkt zum Bauen mit Stroh geforscht. Konkret geht es an der Bauhaus-Universität in Weimar um den Strohballenbau. Fehlende Standards in Produktion und Genehmigung erschweren bislang die breite Markteinführung.

Im Projekt "Lastabtragender Strohballenbau für landwirtschaftliche Nutzbauwerke und Wohngebäude" (kurz: "LaStrohBau") werden deshalb statisch-konstruktive und bauphysikalische Grundlagen für die Bemessung und Nachweisführung von lasttragendem Strohballenmauerwerk erarbeitet.

Strohballen: Vom Wärmedämmstoff zum zugelassenen lasttragenden Bauteil

Ausgehend von experimentellen Untersuchungen sollen Mindestanforderungen an Verdichtungsgrade, Feuchtigkeitsgehalt, Zusammensetzung etc. festgelegt und Strohballen als lasttragendes Bauteil in der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung klassifiziert werden. Bislang gilt nur die Zustimmung im Einzelfall sowie die Nutzung als Wärmedämmstoff.

An dem Forschungsprojekt sind die Professur Modellierung und Simulation – Konstruktion der Fakultät Bauingenieurwesen, die Materialforschungs- und -prüfanstalt (MFPA) Weimar sowie der Fachverband Strohballenbau Deutschland e.V. neben weiteren assoziierten Partnern beteiligt. Der Freistaat Thüringen unterstützt die Entwicklung des Strohballenbaus sowie den Aufbau eines Expertennetzwerks, unter anderem auch bei der am 11. und 12. September 2023 an der Bauhaus-Universität stattfindenden Fachtagung "StrohBallenBauTage".

Lehmsteinmauerwerk für 13 Meter hohe Gebäude zugelassen

Wie Holz und Stroh wird auch Lehm aufgrund seiner ökologischen Eigenschaften als Baustoff der Zukunft gehandelt. Für die flächendeckende Anwendung fehlten bislang verbindliche Regelwerke sowie die Möglichkeiten der Serienproduktion. Eine dieser Hürden wurde inzwischen genommen. Mit Erscheinen der DIN-Norm 18940 im Juni 2023 ist die Anwendung von tragendem Lehmsteinmauerwerk bis einschließlich Gebäudeklasse 4 zulässig. Dazu zählen Gebäude, die maximal 13 Meter hoch sind.

Bleibt also noch die Frage der wirtschaftlichen industriellen Herstellung. Hier hakt es noch, wie Stefan Kimm-Friedenberg weiß. „Für den Neubau stehen aktuell keine tragenden Lehmsteine zur Verfügung“, sagt der Geschäftsführer der Kimm GmbH & Co. KG, einem Baustoffhersteller aus dem hessischen Wabern.

Bisher kämen Lehmsteine laut Kimm-Friedenberg nur kleinformatig und vorwiegend im Denkmalschutz zum Einsatz. „Die bestehenden manufakturartigen Herstellungsweisen sind zu zeit- und kostenintensiv, um wirtschaftlich im Vergleich zu industriell hergestellten Kalksandsteinen konkurrenzfähig zu sein“, so die Einschätzung des Experten.

Forschungsprojekt soll hohe Qualität von Lehmsteinen nachweisen

In einem Forschungsvorhaben soll die industrielle Herstellung von großformatigen Lehmsteinen für tragendes Mauerwerk bei gleichbleibender Produktqualität nachgewiesen werden. Das Baustoffunternehmen Kimm ist daran beteiligt. „Mit formgepressten Lehmsteinen wollen wir eine wirtschaftliche und ökologische Alternative zu den etablierten Mauerwerksteinen aus Ziegel, Kalksandstein und Beton anbieten“, so Kimm-Friedenberg.

Als Vorbild dient dabei ein bereits etabliertes Formpressverfahren der Kalksandsteinindustrie. Mehr als 80 Kalksandsteinwerke in Deutschland verfügen über die entsprechende Infrastruktur. Die derart hergestellten Lehmsteine sollen bereits in der Produktion mittels optischer Sensoren geprüft und bewertet werden.

Lehmbau
Ein Formpressverfahren der Kalksandsteinindustrie könnte auch für die Serienproduktion von Lehmsteinen genutzt werden. Foto: Kimm GmbH & Co. KG

Forschungspartner für das Vorhaben ist das Clay Expert Center der oben bereits erwähnten Materialforschungs- und -prüfanstalt (MFPA) Weimar. Die Beteiligten sehen in dem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Vorhaben ein großes Potenzial, da allein 70 Prozent der Wohnungen in Deutschland in Mauerwerksbauweise errichtet werden.

Ziel des Vorhabens ist auch die Erarbeitung einer Ökobilanz für dieses neue Produktionsverfahren als Grundlage für eine Umweltproduktdeklaration (EPD) für formgepresste Lehmsteine. Diese soll Planenden und Ausführenden eine gesicherte Datengrundlage für die Errichtung von nachhaltigen Bauten aus Lehm liefern.

Die dafür erhobenen Daten ermöglichen eine vergleichende Bewertung mit anderen Wandbaustoffen wie Ziegel und Kalksandstein. Zum Wissenstransfer will das Clay Expert Center Weiterbildungsformate für Fachkräfte aus der Architektur und dem Ingenieurwesen entwickeln und anbieten.

Nationale Förderung: Bauen mit Holz, Stroh und Lehm im Schatten des Carbonbetons

Die beschriebenen Forschungsprojekte zeigen, dass das wirtschaftliche Bauen mit Holz, Lehm oder Stroh in Deutschland ernsthaft vorangetrieben wird.

Ein nationales Förderprogramm mit einer vergleichbaren Dimension wie beim Innovationsbaustoff Textil- bzw. Carbonbeton (Fördersumme: 45 Millionen Euro in sechs Jahren) ist indes noch nicht in Sicht, Treiber sind vorrangig die Bundesländer bzw. einzelne Hochschulen und die freie Wirtschaft.

Die angekündigte Holzbauinitiative der Bundesregierung deutet immerhin in eine ähnliche Richtung.