Im Gespräch mit Michael Braungart (Cradle to Cradle): Weniger schlecht ist noch lange nicht gut - Teil 2
Michael Braungart hat zusammen mit dem Architekten William McDonough Cradle to Cradle entwickelt. Im Kern geht es bei dem Konzept um das, was gut für uns und unsere Umwelt ist, also ökoeffektiv statt nur -effizient.
Bernhard Hauke (nbau - nachhaltig bauen) hat mit Michael Braungart über Cradle to Cradle und das Bauen gesprochen.
Das "Bauhaus der Erde" möchte mit natürlichen Baustoffen zur Klimarettung beitragen. Deckt sich das mit Ihren Ideen? Wie würde das gehen?
Michael Braungart (MB): Ich habe vor 23 Jahren mal einen Artikel geschrieben "Vom Bauhaus zum Baumhaus", weil es in der Tat neues und anderes Denken braucht. Das bedeutet aber nicht, dass man das Bestehende weiterführt und es gibt gute Gründe, warum die Menschen von natürlichen Baustoffen abgewichen sind. Dahinter steckt natürlich romantisierendes Naturverständnis.
Die Natur braucht uns nicht, wenn wir älter als 30 Jahre sind. Dass wir älter werden, liegt nicht an Mutter Natur, sondern an uns, an Chemie, Physik, Medizin, Hygiene, an Ingenieuren, die in der Lage sind, Prozesse zu beherrschen und Dinge zu gestalten.
Man kann sich an der Natur orientieren, an den Grundprinzipien. Die Natur ist immer reversibel, sie macht keine Chemikalien, die sich beispielsweise in Lebewesen anreichern. Gleichwohl kommen die am schnellsten krebserzeugenden Stoffe und die giftigsten Stoffe aus der Natur. Wenn wir die Natur romantisieren, zerstören wir sie umso schneller und gründlicher. Mit schlechtem Gewissen ist man letztlich nicht freundlich.
Wenn die Leute davon reden, dass man endlich einen Schlussstrich ziehen müsste unter die Zeit des Nationalsozialismus, dann sage ich, wir haben persönlich tatsächlich mit der Nazivergangenheit nichts zu tun. Wir können daraus etwas lernen, aber wir brauchen dafür kein schlechtes Gewissen zu haben, denn, nochmal, mit schlechtem Gewissen sind die Menschen nicht freundlicher. Wir besitzen heute durch die Vergangenheit die besondere Fähigkeit, zu erkennen, wenn totalitäre Regime entstehen.
Das ist etwas anderes, als die Natur zu romantisieren. Die Menschen haben früher, in einer natürlicheren Welt, jämmerlich gelebt. Die durchschnittliche Lebenserwartung war noch vor 100 Jahren nur halb so hoch, wie sie heute ist. Wenn wir uns in den Finger geschnitten haben, wussten wir nicht, ob wir den nächsten Tag überleben.
Wir sind ein Teil des Ganzen. Dennoch gibt es in der ganzen Welt kein Biosiegel, welches es erlaubt, unsere eigenen Stoffwechselprodukte wieder einzusetzen. Es ist nur Bio ohne uns.
Es gibt viele natürliche Materialien, die mit Hightech-Prozessen aufbereitet werden, um sie wirklich effektiv einzusetzen. Also zurück zur Natur mag bei Rousseau mal ganz sinnvoll gewesen sein, aber dass wir älter als 30 Jahre alt werden liegt daran, dass wir begreifen Teil dieser Natur zu sein, dass wir die Natur nicht romantisieren. Die Natur ist unsere Lehrerin, unsere Partnerin, aber nicht unsere Mutter.
Wir sind ein Teil des Ganzen. Wie weit wir uns von diesem Verständnis entfernt haben kann man daran sehen, dass es in der ganzen Welt kein Biosiegel gibt, welches es erlaubt, unsere eigenen Stoffwechselprodukte wieder einzusetzen. Es ist nur Bio ohne uns. Wir haben einen derartigen Selbsthass entwickelt, dass wir denken es wäre gut, es gäbe uns gar nicht.
Städte wir Lüneburg, München oder Stuttgart möchten klimaneutral sein. Was für eine Absurdität: Kein Baum ist klimaneutral. Wollen wir dümmer als Bäume sein? Ein Baum ist gut für das Klima. Ich komme ja auch nicht nachhause und sage: Ich bin heute "kinderneutral". Ich will vielmehr gut für meine Kinder sein. Klimaneutral können wir Menschen nur sein, wenn wir nicht existieren.
Das Bauen findet mit den großen Quantitäten primär in der Technosphäre statt. Wie können wir Cradle to Cradle im technischen Kreislauf bauen?
MB: Niemand braucht ein Fenster. Und gleichzeitig wurde noch nie ein Fenster zum Fenster recycelt. Es wird aus hochwertigem Autostahl einfacher Betonstahl gemacht und das wird als Recycling ausgegeben. Damit sind alle Buntmetalle, Nickel, Chrom, Kobalt, Mangan, Wolfram, Antimon, Wismut, Molybdän, alles verloren. Und das nennen wir Recycling? Das ist noch nicht mal ein Downcycling, weil damit die Qualität des Betonstahls so drastisch eingeschränkt wird.
Wir haben in der Türkei im jüngsten Erdbebengebiet bis zu 2,2 Prozent Kupfer im Betonstahl gefunden. Wenn der Kupfergehalt nur 0,5 Prozent übersteigt, dann bricht der Stahl wie ein Osteoporoseknochen beim Erdbeben. Das heißt dieser Stahl tötet Menschen. Das ist ein Missbrauch einer Kreislaufwirtschaft zum Profit von wenigen.
Welche Lösungsansätze sehen Sie dann für die Hauptbaustoffe Beton, Stahl und Ziegel?
MB: Ich bin durchaus für Baustoffe wie Ziegel, auch wenn der Energieeinsatz erstmal groß erscheint. Dafür gibt es allerdings auch andere Verfahren. Ich habe mir Tongruben in Belgien angeschaut, die von vornherein so angelegt werden, dass man die Nachnutzung als Biotop mitplant. Vorher war das Grassteppe, jetzt sind es Paradiese mit allem an Vielfalt, was man sich nur vorstellen kann. Das heißt unser menschlicher Fußabdruck kann durchaus nützlich sein für die anderen Lebewesen.
Bleiben wir beim Stahl. Wie funktioniert ein Cradle-to-Cradle-gerechter Kreislauf mit Stahl?
MB: Stahl ist eigentlich ein ideales Material für Cradle-to-Cradle, es muss nur sichergestellt werden, dass keine Buntmetalle enthalten sind. Das wäre ja einfach zu machen, indem man Autos anders konstruiert und daraus kein Betonstahl wird. Europa exportiert etwa 60 Millionen Tonnen Stahlschrott nach China, weil wir zu dumm sind, die Buntmetalle rauszuhalten. Damit verliert man alle diese Buntmetalle, um sie dann teilweise wieder verdünnt als Betonstahl zurückzubekommen.
Das ist also eine Designfrage?
MB: Das ist eine Frage der Gestaltung. Es setzt voraus, dass man die Chancen, die Stahl bietet, tatsächlich auch nutzt und nicht auf die Idee kommt, es als ein notwendiges Übel zu sehen. Das Gleiche gilt für Gips, der ein ideales Cradle-to-Cradle-Material ist. Man kann Gips jederzeit wieder zerkleinern und in identischer Qualität unendlich verwenden. Aber der Gips muss rein bleiben.
Das setzt ein Gestaltungsprinzip voraus, bei welchem man Gipskartonplatten nicht mit Altpapier herstellt, da sonst die ganzen Druckchemikalien im Gips wiederzufinden sind. Das setzt auch voraus, dass man ein Stoffstrommanagement mit wirklich reversiblen Materialverbindungen betreibt.
Die Wertschöpfung eines Gebäudes liegt nicht im Material, sondern im Bauteil.
Im Stahlbau können Schweißverbindungen durch Klebeverbindungen ersetzt werden, die reversibel sind. Selbst wenn Bauteile zusammengeschraubt werden, verlieren diese oft durch plastische Verformungen an Passgenauigkeit. Klebstoffe können hingegen durch Enzyme wieder zerstört und die Bauteile passgenau zurückgewonnen werden. Die Wertschöpfung eines Gebäudes liegt nicht im Material, sondern im Bauteil.
Wenn modulares Bauen, das seit 15 Jahren diskutiert und seit zehn Jahren teilweise umgesetzt wird, wirklich ernst genommen würde, sollten solche lösbaren Konstruktionsprinzipien eingesetzt werden. Eigentlich müsste man nach dem Lego-Prinzip bauen. Der Wert von Lego liegt nicht im Material, sondern in den Bausteinen, die immer wieder neu arrangiert werden können.
Brauchen wir ein Bundes-Lego-Bausystem?
MB: Wir müssen das Designprinzip verstehen. Der Materialwert meines Mobiltelefons ist nur 3,5 Dollar, aber die Bauteile machen 60 Prozent des Wertes aus. Wenn wir es schaffen, die Bauteile anders zusammenzusetzen, dann schaffen wir eine echte Wertschöpfung.
Gibt es Ansätze für den meistgenutzten Baustoff Beton?
MB: Eine Positivliste für Betonadditive wäre gut. Es werden Additive verwendet wie Porenbildner, Abbindeverzögerer, Emulgatoren oder Fließmittel. Da ist der ganze Chemie-Zoo vorhanden und den habe ich dann natürlich auch im Recyclingbeton.
Man müsste Beton von vornherein anders gestalten. Betonbauteile sind eigentlich so stabil, dass man sie gut wiederverwenden kann.
Die heute circa 300 Additive könnte man auf etwa 100 reduzieren, damit Beton tatsächlich in Kreisläufe gehen kann. Außerdem braucht es andere Verfahren, um mit Beton umzugehen. Man kann ja auch die Silikatbindung mit Wasserglas schaffen, ohne dass man das ganze Material erhitzen muss oder man kann Geopolymere einsetzen.
Recyclingbeton, das ist ja inzwischen bekannt, ist nicht klimapositiv. Ist das also der falsche Weg?
MB: Ja, hier wird das Falsche perfekt gemacht. Man müsste Beton von vornherein anders gestalten. Betonbauteile sind doch entsprechend stabil, so dass man sie wiederverwenden kann. Es gibt inzwischen für Windkraftanlagen Komponenten, aus denen man das Fundament bausteinmäßig zusammensetzen kann, was mit großem Erfolg funktioniert. Das bedeutet, dass eine Windkraftanlage nach 20 Jahren auch wirklich wieder abgebaut werden kann.
Indem Beton so verteufelt wird, fällt ganz viel an Kreativität weg. Man kann Beton auch mit Kohlendioxid abbinden und viel, viel festeren Beton erreichen. Der Beton ist bislang praktisch die Plastiktüte im Bauen oder die Coladose. Das heißt, man verliert auch die Kreativität junger Leute und den Gestaltungswillen.
Michael Braungart (geb. 1958)
- Studium Chemie und Verfahrenstechnik an der Universität Konstanz
- TU Darmstadt; 1985 Promotion Fachbereich Chemie LU Hannover
- 1985 - 1987 Leiter Chemie Greenpeace Deutschland
- 1987 Gründung Environmental Protection Encouragement Agency – EPEA Hamburg
- seit 1994 Professor für Stoffstrommanagement, später Ecodesign an der Leuphana Universität Lüneburg
- 2002 mit William McDonough Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things
- seit 2008 Professor für Cradle to Cradle an der Erasmus-Universität Rotterdam
- 2022 Deutscher Nachhaltigkeitspreis für das Lebenswerk