Im Gespräch mit Michael Braungart (Cradle to Cradle): Weniger schlecht ist noch lange nicht gut - Teil 4
Michael Braungart hat zusammen mit dem Architekten William McDonough Cradle to Cradle entwickelt. Im Kern geht es bei dem Konzept um das, was gut für uns und unsere Umwelt ist, also ökoeffektiv statt nur -effizient.
Bernhard Hauke (nbau - nachhaltig bauen) hat mit Michael Braungart über Cradle to Cradle und das Bauen gesprochen.
Wenn Gebäude einfach zu nutzen sind, stecken da nicht auch ganz viele Ideen drin?
Ja natürlich, aber ich muss die Komplexität erstmal zulassen und dann kann ich vereinfachen. Ansonsten führt das zu Scheinlösungen. Zunächst brauchen wir einfache Zielsetzungen. Nehmen Sie zum Beispiel Timo Leukefeld. Der imponiert mir als Architekt durchaus, wenn er sagt: Lasst uns Gebäude wirklich klimapositiv machen. Ich habe mich mit ihm so oft ausgetauscht, dass er inzwischen ein guter Freund geworden ist. Er fragt tatsächlich nach den Grundbedürfnissen.
Trotzdem braucht es vor allem andere Geschäftsmodelle. Das Interessanteste dabei ist der Niesbrauch, dass ich keine Produkte kaufe sondern lediglich das Nutzungsrecht daran für eine bestimmte Zeit. Dann ist der Abfallbegriff durch die Internalisierung aufgehoben, denn ich weiß ja immer, was es ist.
Was ist, wenn die Firma irgendwann nicht mehr da ist?
Dann gibt es noch eine riesige Materialbasis, die ja immer etwas wert ist. Wenn die Firma Schüco zum Beispiel das Aluminium, 70.000 Tonnen, nicht verkaufen würde, dass in ihren Fenstern enthalten ist, dann würde sie jedes Jahr 300 Millionen Euro reicher werden. Niemand braucht das Aluminium, ich brauche die Nutzung des Aluminiums. Die Firma hätte dann eine zu hohe Kapitalbindung, weil die Leute sagen würden, wir wollen als Eigentümer davon profitieren. Also müssen sie das Aluminium an eine Bank verkaufen und nur das Recht bekommen, es zurückzukaufen.
Dann kann ich wiederum meiner Tochter zum Abitur fünf Tonnen Aluminium schenken, welches gerade in irgendeinem Schüco-Gebäude verbaut worden ist. Ich weiß genau wann es wieder anfällt und meiner Tochter kann ich sagen: Du kannst entweder einen festen Zinssatz haben oder du kannst an der Wertentwicklung beteiligt werden. Das kannst du dir aussuchen, riskierst aber vielleicht auch, dass es weniger wert wird.
Man kann also den Materialwert von verbauten Baustoffen handeln?
Vor 50 Jahren habe ich einen Fernseher vorgestellt, bei dem man den Leuten die Nutzung des Fernsehers verkauft. Ich habe gefragt, wollen die Menschen wirklich 4.360 Chemikalien haben oder möchten sie Fernsehen gucken? Ich wurde aus dem Wettbewerb ausgeschlossen und als Ökokommunist bezeichnet.
Ich habe das damals nur gemacht, um meiner Chemielehrerin zu imponieren. Jetzt wird das Allgemeingut. Vor 20 Jahren wurde ich dafür noch verlacht, jetzt wird es Standard. Es ist beeindruckend, wie schnell das geht. Es gibt inzwischen über 16.000 Cradle-to-Cradle-Produkte, von denen ist über ein Drittel aus dem Baubereich. Warum findet das statt? Weil es wirtschaftlich sinnvoll ist. Das ist kein Luxus, den man sich da leistet.
In Deutschland fragen die Leute immer noch, ob das jetzt moralisch geboten ist. Und dann vergessen sie die Moral, wenn es ihnen gerade schlecht geht. In Holland fragen die Leute: Kann man damit Geld verdienen? Und letztlich ist mir das sympathischer. Darum gibt es ja jetzt auch große Immobilienentwickler, so wie Groß & Partner zum Beispiel oder Drees & Sommer, die in ihre Projekte Cradle-to-Cradle aufgenommen haben, weil sie begreifen, dass es ein Geschäftsmodell ist.
Inzwischen passiert es natürlich manchmal, dass ich mit einfachen Ausgaben meiner eigenen Konzepte konfrontiert werde. Manchmal ist es dann eher Knödel-to-Knödel oder Nudel-to-Nudel, weil die Leute nur einen Teilbereich verstanden haben, aber das macht nichts. Wenn man zu schnelle Änderungen hat, dann gibt es immer Qualitätsprobleme. Darum bin ich auch dankbar, dass es die DGNB gibt, weil die sozusagen einen Mindeststandard setzt. Aber der Spaß fängt dann erst an.
Ich würde in jedem Gebäude mindestens fünf Cradle-to-Cradle-Elemente umsetzen und dann würde ich ein Kaleidoskop bekommen, aus dem ich wie am Sternenhimmel die Zukunft zusammensetzen kann. Man sollte nicht versuchen, die Dinge perfekt zu machen, weil man dadurch das Ganze verzögert. Erich Kästner sagte: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Wenn man in China zum Essen eingeladen wird, dann erwarten die Leute bis heute noch, dass man solange bleibt, bis man die Toilette aufsucht. Es gilt als unhöflich zu gehen und die Nährstoffe mitzunehmen.
In jedem Gebäude könnten also fünf wichtige Botschaften drin sein, zum Beispiel ein Betonstahl, der nur aus Eisen und Kohlenstoff besteht, Gips, der wirklich zurückgewonnen werden kann, Fenster oder Fußboden, die Dienstleistungen sind, Beton, bei dem die Aditive definiert sind oder Holzstrukturen, die zurückgegeben und wiederverwendet werden können. Es ist faszinierend, wie schnell sich das jetzt umsetzt.
Vor zehn Jahren war ich bei der Firma Adler. Die hatten keine einzige Farbe, mit der ich Holz anstreichen und dann noch in meinem Ofen verbrennen konnte. Jetzt haben sie dutzende davon, weil die Geschäftsführung nicht wollte, dass Holz, welches mit ihren Farben bestrichen wurde, irgendwann als Sondermüll behandelt werden muss. Die Lernprozesse sind unglaublich schnell. Ich hätte nicht gedacht, dass sich das so schnell umsetzt, denn eigentlich steht unsere Kultur dem entgegen.
Unsere Kultur sagt: Du bist böse, nur göttliche Gnade kann dich erlösen. Darum will eine Stadt wie Lüneburg oder München klimaneutral sein, weil wir glauben, aus uns heraus nicht gut sondern nur weniger schlecht sein zu können. Und das höchste "weniger schlecht" ist eben neutral zu sein.
Ich habe das erst in dieser Dimension begriffen als ich ein paar Jahre in China gearbeitet habe. Wenn man in China zum Essen eingeladen wird, dann erwarten die Leute bis heute noch, dass man solange bleibt, bis man die Toilette aufsucht. Es gilt als unhöflich zu gehen und die Nährstoffe mitzunehmen, man wurde ja zum Essen eingeladen, nicht zum Nährstoffdiebstahl.
Wenn wir den menschlichen Fußabdruck minimieren, sagen wir jedem, es ist besser, wenn du nicht da bist. Wir büßen unsere Menschenwürde ein, weil wir denken, wir wären sowieso zu viele.
Wir bei uns denken, es ist eigentlich nur gut, wenn wir nicht da sind. Das führt leider dazu, dass Menschen raffgierig werden. Sie sehen ihre Existenz in Frage gestellt und wollen sich daher schnell noch möglichst viel gönnen. Eigentlich sind wir von Natur aus freundlich und großzügig.
Selbst die Ärmsten der Armen teilen immer mit anderen Menschen, weil sie sich dadurch aufgehoben fühlen und dazu gehören möchten. Wenn wir aber sagen, es ist besser du bist gar nicht da, damit wir unseren Fußabdruck minimieren, dann werden wir raffgierig und feindselig. Damit erreichen wir das Gegenteil von dem, was wir eigentlich wollen.
Ohne die Angst um unsere Existenz kämen wir von selbst zu einem viel bescheideneren Lebenswandel, weil wir uns freuen, dass es den anderen auch gut geht. Stattdessen sagt man aber beim Club of Rome, eine Frau sollte entschädigt werden, wenn sie nur ein Kind hat, weil sie damit die Umwelt geschützt hätte.
Mit dieser Einstellung werden wir in Zukunft Massenmörder wie Putin auszeichnen, weil sie sozusagen die Erde entlastet haben. Putin wird man in Zukunft in den CO2-Handel einbeziehen können. Wenn wir den menschlichen Fußabdruck minimieren, sagen wir jedem Menschen, es ist besser, wenn du nicht da bist. Wir büßen unsere Menschenwürde ein, weil wir denken, wir wären sowieso zu viele.
Michael Braungart (geb. 1958)
- Studium Chemie und Verfahrenstechnik an der Universität Konstanz
- TU Darmstadt; 1985 Promotion Fachbereich Chemie LU Hannover
- 1985 - 1987 Leiter Chemie Greenpeace Deutschland
- 1987 Gründung Environmental Protection Encouragement Agency – EPEA Hamburg
- seit 1994 Professor für Stoffstrommanagement, später Ecodesign an der Leuphana Universität Lüneburg
- 2002 mit William McDonough Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things
- seit 2008 Professor für Cradle to Cradle an der Erasmus-Universität Rotterdam
- 2022 Deutscher Nachhaltigkeitspreis für das Lebenswerk