Im Gespräch mit Michael Braungart (Cradle to Cradle): Weniger schlecht ist noch lange nicht gut - Teil 5
Michael Braungart hat zusammen mit dem Architekten William McDonough Cradle to Cradle entwickelt. Im Kern geht es bei dem Konzept um das, was gut für uns und unsere Umwelt ist, also ökoeffektiv statt nur -effizient.
Bernhard Hauke (nbau - nachhaltig bauen) hat mit Michael Braungart über Cradle to Cradle und das Bauen gesprochen.
Wir haben viel über Klimawandel und auch über Toxizität gesprochen. Welche anderen Aspekte sollten bei der Zirkularität im Bauwesen berücksichtigt werden?
Das zirkuläre Bauen ist sozusagen schon eine Engführung. Heute ist es ein Gebäude, morgen eine völlig andere Anwendung. Das ist doch innovationsfeindlich. Ich will doch in 500 Jahren nicht mehr den gleichen Schreibtischstuhl haben. Die Nachhaltigkeit ist ein Konzept für die Biosphäre. Ich möchte, dass es Löwen, Tiger und Elefanten, Buchen, Eichen und Birken auch noch in 5.000 Jahren gibt, aber nicht den gleichen Computer, die gleiche Waschmaschine.
Innovation ist nie nachhaltig, sonst wäre sie keine.
Innovation ist nie nachhaltig, sonst wäre sie keine. Die Waschmaschine war nicht nachhaltig für meine Mutter, die noch die Wäsche im Fluss gewaschen hat, das Mobiltelefon war nicht nachhaltig für die, die stationäre Telefone hergestellt haben. Der Elektromotor ist nicht nachhaltig für die, die Dieselmotoren herstellen.
Wir werden durch die Umstellung auf Elektromotoren 960.000 Arbeitsplätze in Deutschland verlieren. Der Elektromotor kommt ja auch nicht aus ökologischen Gründen, er kommt deshalb, weil er einfach billiger zusammenzubauen ist. Trotzdem gibt es noch 9.000 Euro Subventionen dafür, obwohl es viel billiger ist, nur weil die Leute ihre Forschungs- und Entwicklungskosten der letzten 20 Jahre in zwei Jahren raus haben wollen.
Je länger ein Produkt oder ein Bauwerk genutzt wird umso besser für die Ökobilanz. Das wird aber in der üblichen Bewertung nicht berücksichtigt. Welche Rolle spielen Dauerhaftigkeit, Umnutzbarkeit oder auch Schönheit?
Wenn wir nicht mehr vom Lebenszyklus reden, kommen wir per se auf Langlebigkeit. Wir wollen ja selbst auch lange leben. Meine Studenten machen sogar Lebenszyklusanalysen von Coladosen. Ich habe noch keine lebende Coladose gesehen.
Wir brauchen in der digitalen Welt definierte Nutzungszeiten. Die gilt nicht für die Dinge, die inert (d.h. sich an bestimmten chemischen Vorgängen nicht beteiligend; Anm. d. Red.) und genügend vorhanden sind, sodass wir nicht lebenslang auf sie aufpassen müssen. Es braucht also einen Ewigkeitskern eines Gebäudes. Alle anderen Dinge sind dann temporär und müssen auch austauschbar sein.
Durch das Internet erleben wir so viele Dinge, bei denen wir Angst haben, dass wir sie ständig verpassen. Die Angst etwas zu verpassen, die fear of missing out, ist unsere Grundangst geworden. Wir sehen alles und wissen, dass habe ich nicht, das werde ich nie bekommen. Wir müssen in unserer Umgebung Möglichkeiten schaffen für kurzfristige Anpassungen.
Ein Drittel der Chemikalien, die ich in Muttermilch finde, kommen aus dem Baubereich. Man hat in den 1960er Jahren gutes Handwerk mit schlechter Chemie ersetzt und da sind wir leider immer noch.
Wenn wir zum Beispiel Fliesen nur austauschen können indem wir das ganze Badezimmer kaputt hauen und dabei noch die ganze Wohnung verstauben, dann werden wir die Fliesen nicht austauschen. Wenn ich einen reversiblen Klebstoff habe, kann ich die Badezimmerfliesen nach zwei Jahren sehr wohl wechseln.
Das Gefühl, etwas zu verpassen, hebt sich auf, wenn ich meine Umgebung variieren und gemäß der jeweiligen Stimmung anpassen kann. Ich kann mit Phasenwechselmaterialien ein Sommerhaus und ein Winterhaus machen. Die Zukunft fängt gerade erst an.
Das setzt voraus, dass wir dazu stehen, wie wir sind bzw. wie wir sein wollen und nicht versuchen uns umzuerziehen. Wir sind eigentlich von Natur aus freundlich und großzügig. 95 Prozent der Menschen wollen gut sein, wenn sie die Chance dazu haben und 95 Prozent der Menschen benehmen sich barbarisch, wenn sie Angst haben. Darum möchte ich die Menschen dabei unterstützen in einer sicheren Umgebung zu leben. Der gebaute Raum, die Architektur ist der zentrale Bereich dafür.
Wichtig ist mir dabei, dass Gebäude für Muttermilch geeignet sind. Das hört sich komisch an, aber ein Drittel der Chemikalien, die ich in Muttermilch finde, kommen aus dem Baubereich. Man hat in den 1960er Jahren gutes Handwerk mit schlechter Chemie ersetzt und da sind wir leider immer noch. Ich finde 600 bis 800 Chemikalien aus dem Baubereich in der Muttermilch. Das ist chemische Belästigung. Das Baby hat ein Recht darauf, nicht belästigt zu werden. Bei sexueller Belästigung muss ich ja auch nicht nachweisen, dass ich davon krank werde.
Trotzdem ist es gut, ein Baby zu stillen, nicht dass irgendjemand beunruhigt ist, aber maximal neun Monate. So lange funktionieren Leber und Nieren noch nicht, dass heißt die Schadstoffe rauschen einfach durch.
Michael Braungart (geb. 1958)
- Studium Chemie und Verfahrenstechnik an der Universität Konstanz
- TU Darmstadt; 1985 Promotion Fachbereich Chemie LU Hannover
- 1985 - 1987 Leiter Chemie Greenpeace Deutschland
- 1987 Gründung Environmental Protection Encouragement Agency – EPEA Hamburg
- seit 1994 Professor für Stoffstrommanagement, später Ecodesign an der Leuphana Universität Lüneburg
- 2002 mit William McDonough Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things
- seit 2008 Professor für Cradle to Cradle an der Erasmus-Universität Rotterdam
- 2022 Deutscher Nachhaltigkeitspreis für das Lebenswerk