Zum Hauptinhalt springen

Im Gespräch mit Michael Braungart (Cradle to Cradle): Weniger schlecht ist noch lange nicht gut - Teil 6

Verfasst von: Redaktion
Veröffentlicht am: 5. Jan. 2024

Michael Braungart hat zusammen mit dem Architekten William McDonough Cradle to Cradle entwickelt. Im Kern geht es bei dem Konzept um das, was gut für uns und unsere Umwelt ist, also ökoeffektiv statt nur -effizient.

Bernhard Hauke (nbau - nachhaltig bauen) hat mit Michael Braungart über Cradle to Cradle und das Bauen gesprochen.


<< Teil 5

Hans Kollhoff hat gesagt, Kreislaufwirtschaft sei reines Profitinteresse der Bauwirtschaft, die gut lebe mit Abriss und Neubau.

Das ist ja aber kein Kreislauf, denn Kreislauf bedeutet, dass man die Intelligenz behält und neue Intelligenz hinzu bringt. Ich rede von einem Upcycling. Ich möchte ja auch nicht immer wieder als Meerschweinchen auf die Welt kommen. Ich möchte, dass die nächste Stufe meines "Lebens" höhere Intelligenz hat. Es wäre also wichtig, die Intelligenz, die ich durch die Nutzung des Gebäudes erworben habe, in neue Gebäude zu übersetzen und diese intelligenter und schöner zu machen, nicht aber das Bestehende immer zu wiederholen.

Kollhoff vertritt die Meinung, dass die Gründerzeitgebäude, welche heute oft noch genutzt werden, jenseits des Kreislaufes stehen. Sie werden über lange Zeit genutzt und dies sei völlig ausreichend. Damit wäre ein Kreislauf, auch ein Cradle-to-Cradle-Kreislauf, nicht notwendig, wenn wir einfach für die ganz lange Zeit bauen. Das ist eine Designtyrannei.

Es gibt gute Gründe, sich dem Zeitgeist sehr wohl anzupassen. Ich habe zwei ältere Brüder und deren Kleidung musste ich auftragen. Als Schlaghosen nicht mehr modern waren, musste ich sie immer noch tragen. Das war ein Spießrutenlauf in der Schule.

Machen Sie mal eine Holzdecke in so einem Gründerzeitgebäude auf. Da ist jeder Müll der Welt drin, Zeitungen und Stroh. Wir romantisieren dann auch etwas.

Jede Generation muss ein Recht darauf haben, sich zeitgemäß auszudrücken, so wie sie es sich selber vorstellt. Dafür kann es sicherlich einen Ewigkeitskern geben, den ich modulieren kann. Aber machen Sie mal eine Holzdecke in so einem Gründerzeitgebäude auf. Da ist jeder Müll der Welt drin, Zeitungen und Stroh. Wir romantisieren dann auch etwas.

Die Fassade ist durchaus schön, aber dahinter ist es teilweise ein jämmerliches Gebäude gewesen. Die Leute mussten auf dem Flur zur Toilette gehen. Das ist inzwischen behoben. Es gibt also durchaus Änderungen gegenüber der Gründerzeit. Die Häuser hatten auch massive Sicherheitsprobleme, auch wenn wir heute einen übertriebenen Brandschutz haben. Es gibt durchaus Lernprozesse, die man auch mal feiern kann.

Zum Abschluss: Wie bauen wir in der Zukunft?

Wir haben in Deutschland durch die Nachhaltigkeitsdiskussion Kenntnisse erworben, die jetzt in Innovationen umgesetzt werden können. Wir haben 40 Jahre lang eine Weltuntergangsdiskussion geführt, aus meiner Sicht hauptsächlich weil wir das schlechte Gewissen der Nazizeit kompensieren wollten. Wir haben der Welt 20 Jahre an Entwicklungsarbeit an Wind- und Solarenergie geschenkt, ohne davon einen Vorteil zu haben, weil wir keine Geschäftsmodelle dafür entwickelt haben.

Wir haben das schlechte Gewissen sozusagen umgewandelt - zusammen mit dem germanischen Baum-Kult - in eine Nachhaltigkeitsdiskussion und dabei viele Kenntnisse erworben. Mitteleuropa, Deutschland vor allem, hat einen Knowhow-Vorsprung, den man jetzt in Innovationen umsetzen kann. Mir ist das erst aufgefallen, als sich einer der Gründer von Google bei mir meldete und sagte, er möchte ein Gebäude, in dem es keinen Feinstaub gibt. Dann habe ich begriffen, das ist etwas wert. Und es gibt einen Christoph Ingenhoven, der dass dann mit umsetzt. Da entstehen Dinge, die nicht mit Sklavenarbeit konkurrieren.

Wir haben überall den Anschluss verpasst, in Digitalisierung, Elektronik, Nanotechnik usw.. Aber wir haben wie kein Land auf der Welt eine Umweltdiskussion geführt, die uns jetzt zu Innovationen bringt. Wir brauchen nur neue Geschäftsmodelle.

Wir haben überall den Anschluss verpasst, in Digitalisierung, Elektronik, Nanotechnik usw. Überall sind wir 15 bis 20 Jahre zurück hinter dem, was man auf der Welt sonst kann. Aber wir haben wie kein Land auf der Welt eine Umweltdiskussion geführt, die uns jetzt zu Innovationen bringt. Stattdessen fordern wir ein Recht auf Reparatur. Ich habe aber ein Recht auf Intaktheit, nicht auf Reparatur. Nochmal: Wir brauchen neue Geschäftsmodelle.

Das Bauen der Zukunft wird letztlich ein viel freudvolleres sein, weil wir den menschlichen Fußabdruck feiern. Ich habe mich lange mit Friedensreich Hundertwasser unterhalten können, der den Unterschied von Effizienz und Effektivität in seinen Gebäuden nun wirklich gezeigt hat. Ich habe mir lange angeschaut, was Antoni Gaudí gemacht hat. Es geht beim Bauen wirklich um umfassende Qualität und umfassende Schönheit. Das ist es.

Wir können die Nachhaltigkeit als Innovationschance mit nutzen, aber nicht, um den Leuten ein schlechtes Gewissen zu machen. Wie gesagt, die Zukunft des Bauens fängt erst an. Und sie fängt vielleicht außerhalb der Zentren an, wahrscheinlich noch nicht mal in Stuttgart, wo man vielleicht den Leichtbau perfektioniert hat und damit vielfach auch das Falsche.

Die Innovation ist immer in der Provinz entstanden, in Freiberg in Sachsen bei Timo Leukefeld möglicherweise. Das Bauhaus ist in Weimar entstanden und in Dessau, in Ulm vor allem auch und in Krefeld. Diese unglaublich schönen Industriebauten in Krefeld, die man heute noch sehen kann, das ist Innovation. Es geht letztlich nicht mehr um Nachhaltigkeit, es geht um Innovation, Qualität und Schönheit. Die Zukunft des Bauens hat somit gerade erst begonnen.


Michael_Braungart
Prof. Dr. Michael Braungart Foto: DNP

Michael Braungart (geb. 1958)

  • Studium Chemie und Verfahrenstechnik an der Universität Konstanz
  • TU Darmstadt; 1985 Promotion Fachbereich Chemie LU Hannover
  • 1985 - 1987 Leiter Chemie Greenpeace Deutschland
  • 1987 Gründung Environmental Protection Encouragement Agency – EPEA Hamburg
  • seit 1994 Professor für Stoffstrommanagement, später Ecodesign an der Leuphana Universität Lüneburg
  • 2002 mit William McDonough Cradle to Cradle: Remaking the Way We Make Things
  • seit 2008 Professor für Cradle to Cradle an der Erasmus-Universität Rotterdam
  • 2022 Deutscher Nachhaltigkeitspreis für das Lebenswerk