Keine Vorgaben, kein Risiko, kein Geld: Wie die öffentliche Hand die Klimaziele gefährdet
Kritik: Öffentliche Hand bei Ausschreibungen noch zu beschränkt
Die öffentliche Hand hat als Auftraggeber für Planungs- und Baumaßnahmen enormen Einfluss darauf, ob und wie sehr bei der Erbringung dieser Leistungen auf Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele geachtet wird. Viele sehen hier Bund, Länder und Kommunen in einer Vorbild-Rolle, darunter die Bundesvereinigung Mittelständischer Bauunternehmen (BVMB).
Daniel Jonas ist Geschäftsführer der BVMB und zudem Abteilungsleiter für Straßen-, Tief- und Ingenieurbau. Laut ihm führe das Thema Nachhaltigkeit bei den öffentlichen Auftraggebern noch ein "Schattendasein", während die mittelständischen Bauunternehmen längst aktiv an Lösungen arbeiten würden.
"Der größte Hebel liegt im Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers und damit in der Bedarfsermittlung“, so Jonas. Im Rahmen der Planung und Aufstellung einer eindeutigen Leistungsbeschreibung könnten entsprechende Umwelt- und Klimaaspekte einfließen. Die Angebote müssten zudem über eindeutige Bewertungssysteme schnell und möglichst einfach vergleichbar sein.
Es sei Sache des Auftraggebers, diese Dinge zu berücksichtigen. Die öffentlichen Auftraggeber täten dies bislang gar nicht oder zu wenig. "Wir setzen die entsprechende Fachkompetenz in den ausschreibenden Stellen voraus. Und auch ein Stück weit Risikobereitschaft", betont der Vertreter der mittelständischen Bauunternehmen.
Baumittelstand sieht Schattenpreismodell skeptisch
Das von der Bauindustrie vorgeschlagene "Schattenpreismodell", bei dem der Angebotspreis mit einem fiktiven CO2-Preis beaufschlagt wird und dann der niedrigste Wertungspreis den Zuschlag erhalten soll, hält Jonas indes nur bedingt geeignet, die gebotenen Klima- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. "Das hört sich zunächst einfach an, könnte die Baufirmen aber über Gebühr belasten."
Im Detail würde das bedeuten, dass die Unternehmen neben ihrer Kalkulation parallel eine weitere CO2-Kalkulation durchführen müssten, wenn sie sich im Wettbewerb besserstellen möchten. Andere Vorschläge, wie emissionsfreie Baumaschinen oder kurze Transportwege, seien für kleine und mittelständische Betriebe ebenfalls schwerer zu realisieren als für große.
Generell müssten laut Jonas in Sachen Nachhaltigkeit Aufwand und Nutzen in vernünftigem Verhältnis stehen. "Das gilt auch mit Blick auf den Prüfungs- und Kontrollaufwand beim Auftraggeber, der schnell sehr hoch werden kann."
Doch schon jetzt beklagt das Baugewerbe aufgrund sinkender Personalkapazitäten in der Verwaltung zu wenige Ausschreibungen. Es gelte daher laut Bundesvereinigung mit Blick auf Nachhaltigkeitsaspekte die oben beschriebenen wesentlichen Hebel in einem Bauprojekt zu identifizieren.
Neues Online-Informationssystem weist Klimaschutzpotenzial von Holzbauprojekten aus
Eine konkrete Möglichkeit ist eine Leistungsbeschreibung, die vorgibt, dass für ein Bauprojekt vor allem klimafreundliche und dabei oft alte Baustoffe wie Holz, Lehm oder Stroh zu nutzen sind. Um öffentliche Auftraggeber dabei zu unterstützen, wird gerade (bis 2026) ein spezielles Informationssystem (weiter-)entwickelt. Es weist das konkrete Klimaschutzpotenzial ausgewählter Kommunen durch Holzbau für verschiedene Szenarien in den Bereichen Neubau, Sanierung, Nachverdichtung und Aufstockung aus.
Verantwortlich für das sogenannte "Kommunale Informationssystem Holzbau", kurz Holzbau-KIS, zeichnen die Ruhr-Universität Bochum und die Disy Informationssysteme GmbH im Auftrag der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR). Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) fördert das Projekt.
Das "Holzbau-KIS" ist die Weiterentwicklung des Fachinformationssystems "Holzbau-GIS", welches als Prototyp auf Basis öffentlich zugänglicher Geodaten aus Nordrhein-Westfalen und lokaler Datensätze der Stadt Menden entwickelt wurde.
Kombination von Geo- und Ökobilanzdaten als kommunale Entscheidungshilfe
In dem webbasierten Kommunikationstool werden räumliche Fachdaten mit Gebäudetypologien, baulicher Struktur und Treibhausgas-Minderungspotenzialen verbunden, was die Verknüpfung von Baumaßnahmen mit Klimaschutzzielen ermöglichen soll. Außerdem wendet das Tool normkonforme Berechnungsmethoden auf Gebäudeebene, analog der Grundsystematik im Qualitätssiegel Nachhaltige Gebäude (QNG), an.
Die verwendeten Daten stammen aus der ÖkoBauDat, der Datenbasis für die Ökobilanzierung von Bauwerken des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB). Während sich das Holzbau-GIS auf die Themen Neubau und Sanierung mit Holz bezog, ergänzen die Forschenden im neuen Holzbau-KIS Szenarien zur Aufstockung, Nachverdichtung und zu ausgewählten Nichtwohngebäuden, hier vor allem kommunale und öffentliche Gebäude, mit Holz.
Erweiterungen sollen Planungstool für Kommunen noch attraktiver machen
Hinzu komme laut Auftraggeber FNR das Thema Blau-Grüne Infrastruktur. Der Begriff beschreibt den Ansatz, über Entsiegelung, Anlegen von Versickerungs- und Grünflächen oder wasserspeichernde Elemente zunehmende Wetterextreme im Klimawandel abzufedern. Das Holzbau-KIS gehe damit über das Holzbauthema hinaus und werde zum kommunalen Planungswerkzeug für Klimaschutz- und Klimafolgenanpassung, so die Verantwortlichen.
Als Paradebeispiel für die erfolgreiche Maßgabe einer Stadt, klimafreundlich zu planen und zu bauen, wird von der FNR das Quartier Prinz-Eugen-Park in München (siehe Bild) angeführt. Die Stadt knüpfte die Vergabe einer ökologischen Mustersiedlung innerhalb des Gebietes unter anderem an das Kriterium einer hohen Kohlenstoffspeicherung, wie sie insbesondere der Baustoff Holz leisten kann.
Im Ergebnis entstand die größte zusammenhängende Holzbausiedlung Deutschlands mit 566 Wohnungen in Holz- und Holz-Hybrid-Bauweise. Mit dem Holzbau-KIS soll es künftig möglich sein, den Klimaschutzbeitrag solcher Quartiere, aber auch einzelner Gebäude konkret zu quantifizieren. Die generierten Daten können laut FNR als Entscheidungshilfe, zur Integration in kommunale Klimaschutzkonzepte und der Kommunikation dienen.
Bereits im ersten Projekt hatte sich gezeigt, dass das System für Kommunen noch interessanter ist, wenn es weitere Informationen für die kommunale Bauleitplanung oder andere ökologisch-relevanten Fachplanungen verarbeiten und bereitstellen kann.
Im aktuellen Projekt soll anhand weiterer Städte eine Anpassung an andere landes- und kommunenspezifische Datensätze erfolgen. So soll überprüft werden, welche Daten vorliegen und welche Anpassungen erforderlich sind, um das System auch bundesweit einsetzen zu können.
Mehr Nachhaltigkeit ohne zusätzliches Geld für BVMB unrealistisch
Ungeachtet der technologischen Entwicklung, wie sie am Beispiel des beschriebenen Forschungsprojekts deutlich wird, geben die Vertreter der Bauwirtschaft zu bedenken, dass am Ende auch immer das Geld darüber entscheidet, ob sich die Branche nachhaltig entwickelt oder eben nicht.
"Wir befürchten, dass das Geld, welches aktuell für Baumaßnahmen in den öffentlichen Haushalten zur Verfügung steht, nicht dafür ausreichen wird, um das gleiche Bauvolumen mit mehr Nachhaltigkeit umzusetzen", sagt BVMB-Hauptgeschäftsführer Michael Gilka.
Insoweit stelle sich die Frage, ob die Auftraggeber bereit seien, die zur Verfügung stehenden Mittel aufzustocken, um den Mehraufwand und die erhöhten Kosten zu vergüten. "Wird dann weniger für das gleiche Geld gebaut? Dann würde das Thema Nachhaltigkeit zum Rohrkrepierer für die Bauunternehmen werden. Das kann nicht sein", ergänzt Daniel Jonas.