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Leistungsphase 7: Vorsicht bei extrem niedrigen Angeboten

Verfasst von: Dipl.-Ing. Klaus D. Siemon, Osterode/Harz
Veröffentlicht am: 19. März 2021
Kategorie:

# 26.03.2021

Auftraggeber will Planer nach Vergabe an Billigstbieter haftbar machen. Gericht weist Forderung zurück. Sonderschreiben zur Angebotswertung erfüllt Beratungspflicht und verringert Haftungsrisiko

Ausschreibung für Wohnungsbau: Billigster Anbieter erhielt Zuschlag

Spekulations- oder Billigstangebote schaden im Zweifel allen Beteiligten: Bietern, Auftraggebern und Planern. Foto: Rainer Sturm / Pixelio
Spekulations- oder Billigstangebote schaden im Zweifel allen Beteiligten: Bietern, Auftraggebern und Planern. Foto: Rainer Sturm / Pixelio

Müssen Planer den Auftraggeber im Zuge der Angebotsprüfung und -bewertung - gemäß Leistungsphase 7: Mitwirkung bei der Vergabe - darauf hinweisen, dass ein Angebotspreis ihrer Ansicht nach nicht auskömmlich ist?

Und haften sie auf Schadenersatz, wenn dem Auftraggeber durch die Beauftragung eines Billigstbieters Mehrkosten und andere Schäden entstehen? Mit diesen Fragen haben sich das Oberlandesgericht (OLG) Dresden und der Bundesgerichtshof (BGH) befasst.

Im konkreten Fall hatten sich mehrere Bauunternehmer an einer Ausschreibung für Bauleistungen an einer Wohnanlage beteiligt. Ein Angebot lag mit circa sechs Millionen Euro um ca. 1,3 Millionen unter den anderen Angeboten. Dieses billigste Angebot erhielt vom Auftraggeber auch den Zuschlag.


Vertragsabbruch führte zu Terminverzug und Mehrkosten

Während der Ausführung geriet der Auftragnehmer in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Zunächst erfolgte eine Teilkündigung. Anschließend wurde der komplette Vertrag vorzeitig beendet. Dem Auftraggeber entstand dadurch ein wirtschaftlicher Schaden (Terminverzug plus Mehrkosten aus neuen Vergaben).

Dafür wollte der Auftraggeber das Planungsbüro haftbar machen. Er machte unter anderem geltend, dass ihn das Planungsbüro im Zuge der Angebotswertung und des Vergabevorschlags auf die Unauskömmlichkeit der Angebotspreise hätte hinweisen müssen. Hätte der Planer seine Beratungspflichten erfüllt, hätte er - der Auftraggeber - sich nicht für den Billiganbieter entschieden. Folglich habe der Planer den Schaden bewirkt.


OLG lehnt Planerhaftung ab: Billigangebot war für Auftraggeber offensichtlich

Das OLG Dresden hat die Haftung des Planers im konkreten Fall abgelehnt. Es begründet das wie folgt (OLG Dresden, Urteil vom 07.12.2017, Az. 10 U 245/17, rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 15.04.2020, Az. VII ZR 5/18):

Ein Planer ist dazu verpflichtet, die Richtigkeit der aufgeführten Preise und Mengen sorgfältig zu prüfen, und die Angebote zu bewerten. Im Rahmen dieser Prüfung kann er auch zu dem Hinweis verpflichtet sein, dass ein Bieter ein Spekulationsangebot abgegeben hat, das im Ergebnis mit den anderen Angeboten nicht kompatibel ist.

Ist für den Auftraggeber aber selbst offensichtlich, dass ein Angebot die üblichen Preise deutlich unterschreitet und es daher bei der Ausführung zu Problemen kommen kann, muss er vom Architekten nicht zusätzlich darauf hingewiesen werden. Letzteres war hier der Fall. Der Preisunterschied von 1,3 Millionen Euro hätte den Auftraggeber hellhörig machen müssen. Insoweit war er für den Schaden selbst verantwortlich.


Endpreise gleich zu Beginn der Angebotsprüfung vergleichen

Planer sollten ihre Auftraggeberberatung auf diese Rechtsprechung einstellen. Dabei sollten sie unmittelbar bei Beginn der Angebotsprüfung anhand der Endpreise prüfen, ob ihnen eine Angebotssumme unverhältnismäßig niedrig erscheint.

Ist dies der Fall, sollte der Auftraggeber kurzfristig darauf hingewiesen werden, und zwar am besten, bevor die gesamte Vergabeprüfung abgeschlossen wird. Damit geben sie dem Auftraggeber ausreichend Zeit, eine sorgfältig durchdachte Vergabeentscheidung zu treffen.


Beratungsschreiben minimiert Haftungsrisiko

Im Saldo schaffen Planer beim Auftraggeber mit dieser Vorgehensweise genau den Kenntnisstand, den das OLG Dresden seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Der Auftraggeber ist durch die Beratung frühzeitig und korrekt informiert.

Das folgende Musterschreiben hilft, das Haftungsrisiko zu minimieren:

Musterschreiben / Ausschreibung und Angebotswertung
Betreff: Ausschreibung und Angebotswertung Gewerk Nr. ...

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir haben die vorliegenden Angebote bzgl. der Endpreise einer vorsorglichen und vorgezogenen Plausibilitätsprüfung unterzogen. Dabei hat sich gezeigt, dass der billigste Angebotspreis der Fa. … ca. ... Prozent niedriger liegt als der Zweitbieter und die weiteren Anbieter.

Anhand der Endsummen kann bereits jetzt davon ausgegangen werden, dass der billigste Anbieter ggf. ein Spekulationsangebot abgegeben hat. Das gleiche Ergebnis ergibt sich, wenn wir die bepreisten Leistungsverzeichnisse, die wir Ihnen vor der Ausschreibung übergeben haben, mit dem in Rede stehenden Angebot vergleichen.

Sie werden hiermit gebeten, bereits jetzt zu prüfen, ob Sie aus vergaberechtlichen Gründen [bei privaten Auftraggebern: aus grundsätzlichen Gründen] den Billigstbieter aus der weiteren Wertung herausnehmen wollen. Beachten Sie bitte, dass wir keine vergaberechtlichen Fragen bearbeiten können.

Auf die mit der Vergabe an den billigsten Anbieter verbundenen Risiken bei der späteren Bauausführung (z. B. Ausführungsmängel, Terminverschiebungen, sonstige Risiken) wird Bezug genommen.

Zwischenzeitlich setzen wir die Angebotsprüfung und -wertung fort und unterrichten Sie über die weiteren Ergebnisse. Bitte unterrichten Sie uns über die von Ihnen getroffenen Erwägungen und Entscheidungen.

Mit freundlichen Grüßen

Planungsbüro X


Als Planer Mitwirkung bei der Vergabe ernst nehmen

Planer sollten ggf. eine Warnung vor Billigangeboten in ihre Beratung während der Leistungsphase 7 einfließen lassen. Foto: Rainer Sturm / Pixelio
Planer sollten ggf. eine Warnung vor Billigangeboten in ihre Beratung während der Leistungsphase 7 einfließen lassen. Foto: Rainer Sturm / Pixelio

Die Bedeutung dieses Urteils für das Tagesgeschäft ist hoch, denn letztlich entscheidet der Auftraggeber, welcher Unternehmer den Auftrag erhält. Er ist auch dessen Vertragspartner und trägt einen Großteil des Risikos. Planungsbüros können hier lediglich mitwirken, Vergaberechtsfragen sind Aufgabe des Auftraggebers.

Da Planungsbüros jedoch in diese Risiken durch ihre weitere Planung und Bauüberwachung hineingezogen werden könnten, sollten diese Beratungen und Hinweise sehr ernst genommen werden. Planer minimieren nicht nur ihr Haftungsrisiko, sondern vermeiden auch eigene Mehraufwendungen.


Schadensersatzforderung: Einzelfall für Gerichte entscheidend

Bei Beratungspflichtverletzungen steht häufig die Frage im Raum, wie sich der Auftraggeber verhalten hätte, wenn das Planungsbüro ihn rechtzeitig und fachgerecht beraten hätte. Die Gerichte neigen aber dazu, keine spekulativen Prognosen anzustellen. Urteile zu Schadensersatzfragen basieren nicht auf Vermutungen.

Mit anderen Worten: Bei Streit über Beratungsleistungen wird immer der konkrete Einzelfall ausgewertet. Dies hat auch das OLG Dresden getan: Weil der Auftraggeber von vornherein selbst erkennen konnte, dass die Angebotspreise unauskömmlich niedrig waren, bedurfte es keiner Beratungsleistung des Planers mehr.


Öffentliches Vergaberecht benennt Abweichungsschwellenwert von zehn Prozent

Dieser Fall ist aber nicht der Alltagsfall. Auf die richterliche Bewertung "Das hätte der Auftraggeber selbst erkennen müssen" sollten sich Planer besser nicht verlassen. Mit einem Beratungsschreiben sind sie dagegen auf der sicheren Seite.

Die Vergaberechtsgesetze der Bundesländer erkennen bei öffentlichen Aufträgen einen "Abweichungsschwellenwert" von zehn Prozent zwischen Billigst- und Nachfolgebieter an. Ist die Differenz größer, muss das Angebot des Billigstbieters kalkulatorisch geprüft werden.


Hinweis auf unangemessenes Angebot unverzüglich erteilen

Ist ein Bieter mit seinem Angebotspreis in der Lage, den Auftrag ordnungsgemäß abzuwickeln? Die Beantwortung dieser Frage ist als Rechtsfrage letztlich dem Auftraggeber zu überlassen. Fachliche Hinweise schuldet jedoch der Planer. Die Zehn-Prozent-Schwelle kann auch bei privaten Projekten hilfsweise als Grundlage dienen.

Planer sollten ihre Auftraggeber unmissverständlich und sehr zügig informieren, wenn sie Angebotspreise für unangemessen niedrig halten. Es ist auf die Risiken hinzuweisen, die bei der Beauftragung dieses Unternehmens eingegangen werden.


Billigstes Angebot nach Beratung für Auftraggeber häufig nicht mehr attraktiv

So beratene Auftraggeber gehen inzwischen vermehrt dazu über, nicht mehr unreflektiert den billigsten Bieter zu beauftragen. Insoweit besteht hier eine Gelegenheit, die Projektabwicklung zu fördern und die wirtschaftlichen Risiken (= Haftungsrisiken) zu minimieren.

Planer sollten ihre diesbezügliche Beratungspflicht ernst nehmen. Die Vergabeentscheidung muss der Auftraggeber aber selbst treffen.



QUELLEN UND VERWEISE:

E-Vergabe: Zusätzliche Leistungen für Planer sinnvoll?
Verkehrsanlagen: Handbuch zu Vergabe und Ausführung benachteiligt Planer