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Machen Heizungen in Bestandsgebäuden Klimaanlagen überflüssig?

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 12. Aug. 2021
Kategorie:

# 13.08.2021

Potenzialanalyse bestätigt Möglichkeit der Doppelnutzung von Heizsystemen. Forscher sehen große Energiesparmöglichkeiten für Wohn- und Bürogebäude. Simulationssoftware variabel einsetzbar

Weltweit wachsender Energieverbrauch durch Klimaanlagen

Das Kühlen von Wohn- und Bürogebäuden im Sommer ist laut Forschung mit bestehenden Heizsystemen möglich. Grafik: Fraunhofer IBP
Das Kühlen von Wohn- und Bürogebäuden im Sommer ist laut Forschung mit bestehenden Heizsystemen möglich. Grafik: Fraunhofer IBP

Der Energieverbrauch durch Klimaanlagen steigt weltweit kontinuierlich. Für die Kühlung von Wohn- und Geschäftsgebäuden wurden nach Angaben der Internationalen Energie Agentur (IEA) im Jahr 2016 rund 2.000 Terrawattstunden verbraucht.

Das sind geschätzt etwa zehn Prozent des gesamten Stromverbrauchs der Welt. Bis 2050 könnte sich diese Menge verdreifachen.

In Deutschland rechnen Experten in den nächsten 20 Jahren mit einer Verdoppelung des Kühlenergieverbrauchs im Wohngebäudebereich. Bei Nichtwohngebäuden ist laut Umweltbundesamt ein Anstieg von 25 Prozent zu erwarten.

Angesichts dieser Zahlen stellten sich Forscher des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP die Frage, ob der steigende Kühlbedarf tatsächlich nur über Neuinstallationen von Kühlsystemen gedeckt werden kann. Und die Antwort lautet: Nein.


Potenzialanalyse für zwei gängige Heizsysteme durchgeführt

Zu diesem Ergebnis kam man mittels einer Potenzialanalyse mit zwei Heizsystemen, welche vom Fraunhofer-Leistungszentrum Mass Personalization gefördert wurde. Geklärt werden sollte, ob Radiatoren und Fußbodenheizungen zusätzlich zu ihrer Funktion als Wärmeverteiler bislang häufig genutzte Klimageräte ersetzen können.


Labormessungen werden mit digitalem Zwilling verglichen

Unter Laborbedingungen wurde getestet, wie sich die Raumluft mit herkömmlichen Heizkörpern (im Bild: Radiator) abkühlen lässt. Foto: Fraunhofer IBP
Unter Laborbedingungen wurde getestet, wie sich die Raumluft mit herkömmlichen Heizkörpern (im Bild: Radiator) abkühlen lässt. Foto: Fraunhofer IBP

Erste Tests, ob sich Wärmepumpen in Kombination mit Radiatoren oder Fußbodenheizungen als System zur Kühlung eignen, führte die Forscherin mit ihrem Team zunächst unter Laborbedingungen in der Klimakammer durch. (siehe Foto)

Danach wurden mit der Gebäudesimulationssoftware "WUFI® Plus" digitale Zwillinge der Heizsysteme erstellt und geprüft, ob die Labormessungen mit den Softwareberechnungen übereinstimmen.

"Mit den digitalen Zwillingen können wir die Realität valide abbilden und den Effekt des Gesamtsystems für unterschiedlichste Anwendungsszenarien berechnen", sagt Giglmeier. Auf diese Weise lasse sich ermitteln, für welche konkreten Einsatzbereiche sich Wärmepumpe plus Radiator bzw. Fußbodenheizung eignen.


Simulationssoftware für beliebige Gebäudetypen nutzbar

Mit der Simulationssoftware lassen sich Wärme und Feuchte (hygrisch) gekoppelt berechnen. Auch eine Skalierung auf beliebige Gebäudetypen ist möglich, wobei unterschiedlichste Parameter wie Raum- und Fenstergröße, Größe der Heizkörper, Außentemperatur, Bauweise und Anzahl der Fenster sowie Energiebedarf oder Komfort berücksichtigt werden.


Taupunkttemperatur als kritisches Maß

Notwendig sei laut Forscherteam die Steuerung der Vorlauftemperatur des Systems entsprechend dem Taupunkt der Raumluft, um Bauschäden durch Tauwasserausfall zu vermeiden. "Die Taupunkttemperatur ist ein kritisches Maß, das wir bei unseren Berechnungen beachten müssen", erklärt Sabine Giglmeier.


Übertemperaturgradstunden: Reduktion um bis zu 65 Prozent möglich

Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Berechnungen sind die sogenannten Übertemperaturgradstunden. Dieses Maß gibt an, um wieviel Grad Kelvin für die Dauer von einer Stunde die Grenztemperatur eines Innenraumes pro Jahr (Kh/a) überschritten wird. In Wohngebäuden sind maximal 1.200 Übertemperaturgradstunden, in Büros nur 500 im Jahr zulässig.

Die Berechnungen der Forscher ergaben eine Reduktion der Übertemperaturgradstunden um über 40 Prozent bei einer Radiatorgröße von 70 Zentimeter mal einem Meter. Bei doppelt so großen Radiatoren lässt sich im Vergleich zu einem ungekühlten Raum eine Reduktion von 65 Prozent erzielen.


Viele Fenster machen größere Kühlfläche notwendig

"Alles in allem konnten wir nachweisen, dass die über Radiatoren abgegebene Kühlleistung bei einem moderaten Fensterflächenanteil ausreichend ist", resümiert Sabine Giglmeier. Bei hohem Fensterflächenanteil hingegen sei eine größere Kühlfläche nötig, um komfortable Raumklimabedingungen einzuhalten.

Diese Fläche könne über Fußbodenheizungen bereitgestellt werden, die in den Tests nochmal deutlich höhere Kühleffekte erzielt hätten. Wärmepumpen mit Kühlfunktion könnten somit in Bestandsgebäuden eine Alternative zu teuren Klimageräten sein.

Noch zu prüfen sei, inwieweit das Gesamtsystem die Behaglichkeit des Nutzers beeinflusst, etwa durch zu kalte Fußböden, oder ob sich Temperaturwechsel auf Fußbodenbeläge und andere Materialien im Raum auswirken.