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Marius Pinkawa: "Der Baubranche stehen bedeutende Veränderungen in kurzer Zeit bevor."

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 20. Jan. 2022

# 26.01.2022

Dipl.-Ing. Marius Pinkawa, selbstständiger Bauingenieur und Promovend (Institut für Stahlbau / Center for Wind and Earthquake Engineering, RWTH Aachen) | Eigenes Büro für Erdbebeningenieurwesen im Aufbau – Eurocode 8 als aktuelle Herausforderung – Umfangreiche Digitalkompetenz für junge Bauingenieure unerlässlich

Dipl.-Ing. Marius Pinkawa

Dipl.-Ing. Marius Pinkawa hat sich auf das Erdbebeningenieurwesen spezialisiert. Foto: privat

Dipl.-Ing. Marius Pinkawa hat sich auf das Erdbebeningenieurwesen spezialisiert. Foto: privat

 

Marius Pinkawa ist konstruktiver Bauingenieur und hat sich im Bereich Erdbebeningenieurwesen spezialisiert. Er arbeitete in internationalen Forschungsprojekten im Bereich des erdbebensicheren Bauens an der RWTH Aachen.

Seine Fachexpertise im Bereich des Erdbebeningenieurwesens bietet Pinkawa als beratende Leistung in der Erdbebenauslegung von Bauwerken sowie im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen an.

Er betreibt zudem die Website erdbebeningenieur.de, welche sich aktuellen Themen des Erdbebeningenieurwesens mit einem Fokus auf die Situation in Deutschland widmet.

 

 

Herr Pinkawa, was fordert Sie aktuell besonders in Ihrem Job?

 

Nach nunmehr neun Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter habe ich erst kürzlich ein eigenes Ingenieurbüro gegründet. Dieser Umstand allein hält bereits einige Aufgaben und Herausforderungen bereit. Zudem befinde ich mich in den letzten Zügen meiner Dissertation über das Erdbebenverhalten nichttragender Bauteile.

Da mein Hauptwirkgebiet schon immer das Erdbebeningenieurwesen war und weiterhin bleibt, stellt aktuell der in Deutschland anstehende Normenübergang von der DIN 4149 zum Eurocode 8 im Bereich der Erdbebenauslegung von Bauwerken eine spannende Situation dar.

 

Wie lange sind Sie schon in der Branche tätig und warum? Was war Ihr bisheriger beruflicher Höhepunkt?

 

Schon seit Kindestagen bin ich von Bauwerken fasziniert, sodass die grobe Studienrichtung schon lange klar war. Da mir während eines Praktikums in einem Architekturbüro das Technische zu kurz kam, entschied ich mich für ein Bauingenieurstudium an der RWTH Aachen.

Nach konstruktiver Vertiefung, sprich Baustatik, Massivbau, Stahlbau und der Spezialisierung in Baudynamik, schloss ich 2012 mein Studium ab. Im Anschluss arbeitete ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stahlbau sowie auch am neugegründeten Center for Wind and Earthquake Engineering der RWTH Aachen.

So konnte ich dem Thema Erdbebeningenieurwesen weiter nachgehen, welches mich schon als langjährige studentische Hilfskraft und in der Diplomarbeit gefesselt hat. In meiner Zeit an der Universität durfte ich eine Vielzahl vornehmlich internationaler Projekte in diesem Bereich bearbeiten. Gefallen hat mir insbesondere die Vielseitigkeit der Tätigkeit, die vom üblichen Hochbau hin zu Industrieanlagen und Brücken reichte.

Vor allem die vielen Versuche, wie beispielsweise Rütteltischversuche an realistischen Industrietragwerken oder die zyklische Belastung eines Erdbebenschutzsystem-Prototyps, waren immer wieder eine besondere Erfahrung. Auch die häufige Reisetätigkeit zu Projektpartnern, die naturgegeben meist in Starkbebenländern wie Italien und Griechenland ansässig waren, und auch der Besuch internationaler Fachkongresse waren sowohl fachlich als auch persönlich großartige Erlebnisse.

 

Wie definieren Sie die Rolle der Hochschulen für das Bauwesen?

 

Durch meine langjährige Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter bin ich mit dem Hochschulwesen eng verbunden. Hochschulen bilden die zukünftige Generation junger und fähiger Bauingenieure aus, die dringend benötigt werden. Dort erlangte Erkenntnisse aus Forschungsprojekten sind die Grundlage für die stetige Weiterentwicklung der Baunormung.

Auch wenn die Hochschulen traditionell in der Forschung tätig sind, ist eine zunehmende Praxisorientierung zu beobachten. Viele meiner Forschungsprojekte der letzten Jahre erforderten einen der Fachöffentlichkeit zugänglichen Workshop. Es gibt eigenständige Projekte, die allein der Aufbereitung und Verbreitung von Forschungsergebnissen gewidmet sind.

Im Rahmen neuartiger Cluster werden Kompetenzen verschiedener Institute gebündelt und in Kooperation mit der Industrie wird der Transfer von der Theorie in die Praxis beschleunigt. Diese enge wettbewerbs- und branchenübergreifende Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen kommt auch der angestrebten zügigen und erfolgreichen Digitalisierung der Baubranche sehr zugute.

 

Was sollten sich angehende Bauingenieure Ihrer Meinung nach im Studium aneignen? Was müssen sie selbst mitbringen, damit sie für den Beruf "geeicht" sind?

 

Zunächst einmal ist es sicher vorteilhaft, wenn schon zu Beginn ein gewisser Enthusiasmus für ein Thema des Bauingenieurwesens gegeben ist, und die Entscheidung nicht aufgrund mangelnder Alternativen getroffen wird. Bei mir war dieses Thema der konstruktive Ingenieurbau, jedoch ist das Bauingenieurwesen ein sehr weit gefächertes Beschäftigungsfeld.

Praktika auf der Baustelle sind unheimlich wichtig, um ein Verständnis für den Bauablauf und die Situation vor Ort zu erlangen. Wird der spätere Berufswunsch klarer, sollten Praktika in Fachbüros folgen. Dort kann recht gut erfühlt werden, ob der angestrebte Beruf wirklich Freude bereiten könnte. Auch ein studentischer Job an der Hochschule oder in der Wirtschaft vermittelt Praxiskenntnisse und hilft bei der Orientierung und Konkretisierung der eigenen Berufswünsche.

Generell bietet die Hochschule zahlreiche Weiterbildungsmöglichkeiten auch außerhalb des regulären Studienplans, deren Inanspruchnahme lohnend ist. Im späteren Berufsleben sind solche Fortbildungen kostspielig und zeitlich noch schwerer stemmbar. IT- oder Fremdsprachenkenntnisse sind hier beispielsweise zu nennen.

Auslandspraktika und -semester bieten ideale Chancen für eine interessante Zeit. Verschiedene Organisationen wie beispielsweise der Deutsche Akademische Austauschdienst, kurz DAAD, unterstützen bei solchen Unternehmungen. Ich selbst habe beispielsweise dank IAESTE (internationale Vereinigung, die Auslandspraktika für Studierende technischer und naturwissenschaftlicher Studienrichtungen organisiert; Anm. d. Red.) zusammen mit anderen internationalen Studierenden ein tolles Praktikum in Polen erlebt.

 

Bitte vervollständigen Sie den Satz: "Um erfolgreich zu planen und zu bauen, kommt es in Zukunft darauf an, dass..."

 

...ausreichend Digitalkompetenz vorhanden ist sowie deren Aneignung aktiv gefördert wird. Insbesondere im Rahmen von BIM, also der interdisziplinären Arbeit an einem zentralen, digitalen Zwilling eines Bauwerks, wird diese Kompetenz deutlich an Bedeutung gewinnen.

Im Zuge dessen werden beispielsweise auch künstliche und erweiterte Realitäten (VR und AR), verstärkt Einzug in den Baustellen- und Planungsalltag finden. Ich glaube, dass einige bedeutende Veränderungen in kurzer Zeit bevorstehen, deren Ausmaß jetzt noch nicht vorhersehbar ist. Politik und Wirtschaft treiben jedenfalls die Digitalisierung der traditionell eher innovationsschwachen Baubranche stark voran.

 

Wie digitalisiert arbeiten Sie bereits in Ihrem Job? Welche Bedingungen bzw. Herausforderungen sehen Sie in punkto technische Ausstattung und Digitalisierung für das Bauwesen?

 

Bei mir persönlich haben Themen wie Arbeiten in der Cloud, Datensicherheit, sowie SaaS, also Software als Dienstleistung, Einzug in den Arbeitsalltag gefunden. Aufgrund der vielen besonderen Aufgaben in der Zeit an der Universität, die von Standardsoftware häufig nicht abgedeckt waren, habe ich mir zudem beigebracht, eigene Anwendungen zu programmieren.

Seit der Corona-Pandemie mussten viele persönliche Meetings online durchgeführt werden. Ich habe das auf eine Weise als vorteilhaft wahrgenommen. Bei meinen Meetings auf europäischer Ebene nahm die Reisetätigkeit häufig mehr Zeit ein als das eigentliche Meeting selbst.

Online-Meetings scheinen mir zudem stärker auf das Sachliche fokussiert. Somit sind sie zeitlich effizienter, tragen zudem zur Kostenreduzierung bei und sind auch aus Umweltgesichtspunkten nachhaltiger.

Die menschliche Komponente tritt naturgemäß kürzer als bei einem persönlichen Treffen, was den Aufbau und die Pflege vertrauensvoller Berufsbeziehungen erschwert. Regelmäßige vor Ort Termine sollten also nicht ausbleiben, jedoch versuche ich zukünftig die Möglichkeit unkomplizierter Online-Meetings weiterhin zu nutzen.

Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise lief in Norditalien ein mehrtägiger Rütteltischversuch eines realistischen Industrietragwerks, das mit Komponenten wie Druckbehältern und Rohrleitungen ausgestattet war. Nach langer Vorbereitung wäre ich gerne vor Ort dabei gewesen, was leider nicht möglich war.

Die italienischen Kollegen haben die Versuche live gestreamt. Fotos und Videos von Details sowie die Messdaten wurden zeitnah online gestellt. Eine parallele Besprechung des aktuellen Geschehens fand in einem Online-Meeting statt. Das hat super geklappt, ersetzt aber natürlich nicht das Gefühl ein solch interessantes Tragwerk schwankend vor Ort zu erleben.

 

Welchen Wunsch haben Sie an die Politik?

 

Der Normenumfang steigt fortwährend an. Beispielsweise haben die hiesigen Erdbebennormen von zu Beginn sechs Seiten auf nunmehr mehrere hundert Seiten zugenommen. Dieser Trend setzt sich in den Entwurfsfassungen der nächsten Normengeneration fort.

Das ist zuallererst eine erforderliche und begrüßenswerte Entwicklung, die den wachsenden Wissensstand abbildet, sowie immer mehr Spezialfälle einschließt und somit ein einheitliches Sicherheitsniveau garantiert. Mit den aktuellen Entwicklungen Schritt zu halten, kann für Baupraktiker jedoch herausfordernd sein. Im hektischen Berufsalltag bleibt für eine tiefergehende Auseinandersetzung selten Zeit.

 

Welchen Ausgleich haben Sie zum Beruf?

 

Ausreichend Zeit mit der Familie und Freunden zu verbringen ist meine Hauptquelle für Energie im Beruf. Am liebsten verbringe ich diese Zeit bei geselligen Spiele- und Kochabenden sowie gemeinsamen Wanderungen in der Natur.

Außerdem treibe ich sehr gerne Sport und nutze als Fortbewegungsmittel am liebsten mein Fahrrad. Denn viel Bewegung als Ausgleich für die statische Arbeit im Büro ist unheimlich wichtig für die körperliche und geistige Gesundheit.

 

 

QUELLEN UND VERWEISE:

Nachgefragt bei: Norbert Gebbeken
Aktuelle Seminare im Bereich Erdbebeningenieurwesen