Meine Vision: dass sich alle Hersteller auf ein offenes System mit offenem Austausch und Anbindungsmöglichkeit einigen
(bezahlter Inhalt)
Fragen an Helmut Schuller, Inhaber Schuller & Company | bocad
Kurzvita:
- Helmut Schuller startet im Juli 2018 sein Unternehmen SCHULLER&Company GmbH. Seit Beginn ist er für Strategie, Vertrieb, Finanzen und HR tätig sowie dafür, das Unternehmen auf Expansion und Wachstum auszurichten.
- Mit seinem hervorragenden Team, zukunftsweisenden Ideen und Konzepten möchte er Maßstäbe am Markt setzen und Lösungen für die individuellen Bedürfnisse der Kunden im konstruktiven Ingenieurbau sowie Industrie- und Anlagenbau schaffen.
- Seine langjährigen Erfahrungen im Industrie- und Anlagenbau sowie die Kenntnisse der Softwareindustrie ermöglichen ein rasches Wachstum als Berater und Lösungsanbieter im Bereich Engineering und für die Erstellung von digitalen Zwillingen.
- Helmut Schuller verfügt über 35 Jahre Erfahrung im Industrie- und Anlagenbau sowie der Softwareindustrie. Begonnen hat er als Maschinenbauingenieur bei einem österreichischen Anlagenbau-Unternehmen. 1987 folgt eine Position als Consultant und Techniker bei einem internationalen amerikanischen Softwareunternehmen mit dem Fokus Industrie- und Anlagenbau. Als Leiter Technik und Marketing Europa wechselt er 2000 in die Vertriebsverantwortung für den Bereich Design und Automotive der ALIAS GmbH in München.
- 2004 übernimmt Schuller die Geschäftsführung der AVEVA GmbH in Deutschland und baut AVEVA vorerst zum deutschsprachigen und anschließend zum internationalen Marktführer im Anlagenbau aus. 2012 kauft er im Auftrag der AVEVA Ltd. den deutschen Softwarehersteller bocad und verantwortet fortan den weltweiten Vertrieb.
- Als 2017 Schneider Electric die Mehrheitsanteile an AVEVA erwirbt, entscheidet sich Helmut Schuller, sein eigenes Unternehmen zu gründen.
Herr Schuller, bocad kann mit Fug und Recht als CAD-Pionier bezeichnet werden. Welche Aspekte der 40jährigen Geschichte Ihres Hauses würden Sie für unsere Leser hervorheben wollen?
Die Ursprungsidee von bocad zielt auf die Steuerung von Maschinen, also darauf, effizient, fehlerfrei und schnell individuelle Bauten zu konstruieren und zu fertigen. In den 1970er Jahren war bocad zunächst ein Forschungsprojekt am Lehrstuhl für Stahlbau der Ruhr-Universität Bochum. Daraus ging 1983 die bocad GmbH hervor. Als Grundlage von bocad diente ein rechnerinternes 3D-Modell des geplanten Bauwerks, aus dem alle Zeichnungsarten, Listen und Fertigungsinformationen automatisch über CAD-Methoden hergeleitet werden.
… also schon das, was man heute BIM nennt.
(lächelt) Ganz genau. bocad hat damit die Anfänge von BIM geprägt. Doch mehr noch: Durch die digitale Fertigung wurde der Bau komplexer Gebäude wie das Guggenheim Museum in Bilbao oder der Commerzbank Tower in Frankfurt erst möglich.
War Ihrer Meinung nach die Einführung von CAD so „disruptiv“ wie die von BIM, oder gar umgekehrt?
Digitalisierung macht analoge Prozesse nicht nur effizienter; sie eröffnet auch neue Möglichkeiten. Die Innovation bei bocad war die fehlerfreie Produktion durch die NC-Steuerung. Die Disruption liegt in der Digitalisierung der Konstruktionszeichnungen mit dem Ziel der automatischen NC-Steuerung. Das ist durch die automatische Vergabe von Positionsnummern möglich, die für jedes Objekt generiert werden. Natürlich könne durch die digitale Vernetzung der einzelnen Gewerke Bauten schneller und fehlerfreier erstellt werden. Doch nun müssen Standards vereinbart werden, um die Zusammenarbeit effektiver zu machen und Reibungsverluste zu minimieren.
bocad, sagen Sie, sei nie ein klassisches CAD-Programm gewesen. Können Sie das ein wenig ausführen?
CAD stand anfangs ja für Computer Aided Drafting und bezeichnet Systeme, mit denen man eine Zeichnung mit Linien, Kreisen, Elementen wie am Zeichenbrett generieren kann. bocad dagegen ist ein objekt-orientiertes Konstruktionspaket für den Konstruktiven Ingenieurbau, das auf die Fertigung und NC-Steuerung ausgerichtet ist. Dazu gehört eine Normteilbibliothek, um Platten, Knoten oder Profile zu verbinden und Positionsnummern zu vergeben.
So gesehen ist bocad also eine CAD/CAM oder eben auch BIM Software?
(Nickt und lächelt) Das kann man so sagen, ja.
Herr Schuller, eine alte Frage lautet ja, wie open Open BIM sei. Was verstehen Sie unter Offenheit und wie erreichen Sie sie?
Wir unterstützen die interoperable Zusammenarbeit und den Austausch von Informationen zwischen verschiedenen Disziplinen im Bauprojekt durch Features unterschiedlicher Dateiformate, ifc 2.3, IFC4, reibungslose Importe und Exporte, Punktwolke, Cloud und auch verschiedene Sprachen.
Dabei geht die bocad IFC-Schnittstelle über die BIM-Kollisionsprüfung als Schlüsselfunktion für die Zusammenarbeit hinaus. bocad ist in der Lage, Daten in hoher Qualität zu importieren und zu exportieren, was den Planungsprozess zwischen verschiedenen Disziplinen nachhaltig erleichtert.
bocad hat seinen eigenen Software-Kern. Kann ein solcher Ihrer Auffassung nach altern oder bieten sich sogar Vorteile bei Bewährtem?
Wissen Sie, bocad war von Anfang an evolutionär. Der Kern von bocad ist keinesfalls veraltet, sondern optimiert. Die Ingenieure entwickelten CPU schonend, achteten auf die Eigenheiten des Bauwesens und fokussierten bocad so auf die Aufgabenstellungen am Bau. Den Anspruch unserer Kunden an Detailtiefe, Durchgängigkeit und Anpassbarkeit erfüllen wir natürlich mit jedem Update.
Und als SCHULLER&Company bocad übernommen hat …?
… haben wir das Programm im Erscheinungsbild grundlegend geändert. Die Anwender wollen heute von einer Software geführt werden, die Benutzeroberfläche muss daher intuitiv sein. Wenn man ein Element anklickt, öffnet sich ein Menü und gibt an, was man damit tun kann, und empfiehlt den nächsten logischen Schritt.
Mit „SmartInfo“ beanspruchen Sie die schnellste Datenbankabfrage der Welt und einen Ersatz für die etablierten Model-Checker-Systeme zu haben. Können Sie das erläutern?
SmartInfo ist eine Datenbankabfrage zur Modellprüfung. Das Tool zeigt unmittelbar Informationen wie Positionsnummer, Werkstoff oder Profil zu einem Teil oder einer Schraube an, wenn der Cursor auf das gewünschte Element zeigt. Automatisch werden diese Informationen farblich in allen Ansichten und Zeichnungen hervorgehoben. Die Anwender konfigurieren die gewünschten Daten und legen selbst fest, welche Informationen sie in welcher Form brauchen.
Warum brauchen Sie denn für „SmartInfo“ eben keine gigantische Rechnerleistung und was könnte das mit dem eigenen Kern des Programms zu tun haben?
SmartInfo liegt eine optimierte Rechnerarchitektur zugrunde. Die Informationen sind bereits im Modell und damit in der Zeichnung hinterleget und Teil von BIM. Durch SmartInfo werden sie sichtbar gemacht und nicht neu generiert.
Insofern nutzen Sie den Kern von bocad …
Ganz genau!
bocad, heißt es auf Ihrer Website, habe ein Detailierungsgrad wie kein anderes Programm. Warum?
bocad sorgt für konsistente Daten, liefert Zeichnungen und Stücklisten und ermöglicht verlustfreie Prozesse über alle Stufen der Konstruktion sowie eine fehlerfreie Fertigung. Durch direktes Referenzieren zwischen Modell und Zeichnung werden Fehler vermieden. Das ist die größte Stärke von bocad. Dadurch können die einzelnen Bauteile gefertigt, geliefert und auf der Baustelle termingerecht zusammengefügt werden. Weltweit ist bocad als Referenz für 3D-Detailierung anerkannt.
Themenwechsel: Wie gelingt es Ihnen, Ihre Lizenzpreise für dieses Jahr stabil zu halten?
Wir wollen durch neue Kunden wachsen und nicht durch Preiserhöhungen, deswegen bleiben die Preise stabil. Mit unserem Release 2024 und den neuen Cloud-Lizenzen haben wir ein starkes Angebot und dynamische Lizenzmodelle.
bocad wächst stark in Europa, Asien und Australien. Wie sieht es in den USA aus?
Unser nächstes Ziel sind die USA mit einer eigenen Niederlassung wie in Belgien, Polen und Kuala Lumpur. Der erste Schritt sind die Jahrestagungen der NISD, dem National Institute for Steel Detailing, und der Stahlkonferenz NASCC, in San Antonio im März.
Auf diesen beiden Konferenzen werden wir bocad den Stahlbaufirmen präsentieren. Der amerikanische Markt ist im Umbruch, die Konstrukteure sind auf der Suche nach neuen Anbietern.
Etwas eher Visionäres zum Schluss: Hängt die Zukunft von der Software ab oder doch eher von den Daten?
(lächelt) Nun, das eine geht nicht ohne das andere. Wenn die Softwares sich zunehmend angleichen, dann sind die Daten der eigentliche Schlüssel. Für einen Fertigungsprozess müssen nicht die Daten aller Gewerke in einer Datenbank zusammengeführt werden. Die Daten können dort bleiben, wo sie entstehen, wenn auf sie zugegriffen werden kann. Hierfür müssen die Beteiligten eine Software haben, die mit den verschiedenen Systemen interagieren kann.
Das ist meine Vision für SCHULLER&Company und bocad: dass sich alle Hersteller auf ein offenes System mit offenem Austausch und Anbindungsmöglichkeit einigen, damit die Anwender auf die Datentöpfe Zugriff haben, die sie nutzen wollen.
Herr Schuller, haben Sie Dank für dieses Gespräch
Die Fragen stellte Burkhard Talebitari