Nach EuGH-Urteil: HOAI muss angepasst werden
# 07.08.2019
Bundesweit breites Unverständnis bei Bauverbänden und Kammern über Gerichtsentscheidung. Erforderliche Anpassung soll Qualität und Verbraucherschutz sichern. Steuerberater-Modell als Alternative für Bundesingenieurkammer vorstellbar
Höchst- und Mindestsätze der HOAI seit 1977 in Kraft
Der europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 4. Juli 2019 entschieden, dass die Verbindlichkeit der Höchst- und Mindestsätze nach der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) gegen die europäische Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) und damit die Niederlassungsfreiheit in den Mitgliedsstaaten der EU verstößt. Das dem Urteil zugrunde liegende Vertragsverletzungsverfahren war durch die EU-Kommission eingeleitet worden.
Die Höchst- und Mindestsätze der HOAI zeigten jahrzehntelang die Grenzen der Honorare für die im Bauwesen tätigen Ingenieure auf. Die Erstfassung der HOAI trat 1977 in Kraft. Unter anderem sollte durch sie gewährleistet werden, dass auf dem Markt für Bauleistungen der Schwerpunkt auf einem Qualitätswettbewerb statt eines Preiswettbewerbs liegt.
Konkret regelte die HOAI bislang in § 3 Absatz 1 Satz 1 verbindlich das Honorar für die von ihr erfassten Grundleistungen. Das heißt, dass grundsätzlich die dafür festgelegten Mindestsätze nicht unter- und die entsprechenden Höchstsätze nicht überschritten werden durften. Fehlte eine wirksame, schriftliche Honorarvereinbarung, so galten bislang für die vom verbindlichen Preisrecht der HOAI erfassten Leistungen die jeweiligen Mindestsätze als vereinbart (§ 7 Absatz 5 HOAI).
Verbindlicher Honorarrahmen für neue Planungsverträge entfällt
Ab sofort kann sich keine Partei eines geschlossenen Planungsvertrages, welcher nach dem EuGH-Urteil zustande kam, mehr auf die HOAI berufen, um eine Unter- oder Überschreitung des Honorarrahmens einzufordern.
Die Reaktionen auf die höchstinstanzliche Entscheidung aus Luxemburg hat bei Vertretern der Politik sowie von Verbänden und Kammern der Bauwirtschaft für breite Unzufriedenheit gesorgt. So äußerte beispielsweise Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) Bedauern darüber, dass der Europäische Gerichtshof die Argumente der deutschen Seite nicht für ausreichend erachtet habe.
VBI: Marktliberales Urteil ist praxisfern
Ähnlich sieht es Jörg Thiele, Präsident des Verband Beratender Ingenieure (VBI). Er sei enttäuscht darüber, dass das Gericht, anstatt die deutsche Sichtweise zu berücksichtigen, allein den "ungeschminkt marktliberalen Ausführungen" im Schlussantrag des Generalanwalts gefolgt sei.
Ihm sei kein einziger Fall bekannt, wonach ein ausländischer Ingenieur oder Architekt gerade wegen der verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI einen Bogen um den deutschen Markt gemacht hätte, macht Thiele seiner Verärgerung Luft.
Bündnis aus Politik und Wirtschaft mit Bemühen um HOAI-Erhalt gescheitert
Nach Einschätzung des Präsidenten der Bundesingenieurkammer, Hans-Ullrich Kammeyer, ist der Ausgang des Verfahrens weder im Sinne der Planer noch im Sinne des Verbraucherschutzes: "Es ist allgemein bekannt, dass für einen zu niedrigen Preis keine hinreichende Qualität geliefert werden kann. Das gilt auch für Ingenieurleistungen."
Daher habe die Bundesingenieurkammer gemeinsam mit der Bundesarchitektenkammer und dem Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten für die Honorarordnung (AHO) in Zusammenarbeit mit der Bundesregierung alles dafür getan, um die HOAI in ihrer bisherigen Form zu erhalten.
Ingenieurkammer bietet kostenfreie Beratung zur aktuellen HOAI-Lage an
Heinrich Bökamp, Präsident der Ingenieurkammer-Bau NRW, blickt gezwungenermaßen nach vorn: "Mit dem Wegfall der verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI, welche bislang die Grundlagen hoher Qualitätsstandards im Bauwesen waren, ist unsere Branche nun dringend auf tragfähige Alternativen angewiesen."
Bundesingenieurkammer: Preisrecht analog zu Steuerberatung denkbar
Mit der Feststellung, dass das Preisrecht der HOAI gegen europäisches Recht verstößt, ist ein Auftrag an die Bundesrepublik Deutschland verbunden, die Regelung europarechtskonform auszugestalten. Bei dieser Neugestaltung der Regelung wird die Bundesregierung unter anderem von der Bundesingenieurkammer beraten.
QUELLEN UND VERWEISE:
HOAI: Mindestsatzanspruch womöglich vor dem AusHOAI-Klage: Was bei Vertragsabschlüssen derzeit zu beachten ist
Informationen zur HOAI (Ingenieurkammer-Bau NRW)