Nachgefragt bei: Gerhard Zehetmaier
Dr.-Ing. Gerhard Zehetmaier
Herr Zehetmaier, was fordert Sie aktuell besonders in Ihrem Job?
Mein Berufsfeld wird gerade von vielfältigen Veränderungen geprägt. Zum einen werden im Zuge der Digitalisierung die bislang gewohnten und zum Großteil noch analogen Planungsabläufe auf die digitale, modellbasierte und vor allem kollaborative Planung ausgerichtet.
Gleichzeitig verschieben sich die Wertvorstellungen vieler insbesondere jüngerer Mitarbeiter. Der Gleichklang von Beruf und Privatleben, hohem Engagement und dem Wunsch nach nachhaltiger Beschäftigung prägt unser Arbeitsumfeld.
Parallel dazu stehen gerade im Ingenieurbau zahlreiche herausfordernde und herausragende Aufgaben an, was durch die Erkenntnis, dass unsere teils marode Infrastruktur dringend ertüchtigt und in Teilen erneuert werden muss, befeuert wird.
Dieser Entwicklung stehe ich uneingeschränkt positiv gegenüber, allerdings ist sie gerade bei der begrenzten Zahl von Fachkräften auch eine Belastungsprobe für Ingenieurbüros. Daraus positive Impulse für unsere Mitarbeiter und unser Büro zu schaffen, fordert mich aktuell.
Wie lange sind Sie schon in der Branche tätig und warum?
Meine Entscheidung für das Bauingenieurwesen war vor allem getrieben von der Neugier, mehr über meine Umwelt zu erfahren, zu lernen, was die Welt nun tatsächlich im Innersten zusammenhält - nämlich die gebaute Infrastruktur, also Brücken, Tunnel, Straßen, Schienenwege - und nicht zuletzt durch die vielleicht kindliche Freude an großen Baustellen.
Nach Studium und Promotion 2006 an der Technischen Universität München war ich zehn Jahre in einem Baukonzern tätig und hatte das Glück, die gesamte Bandbreite des Berufs von der Planung bis zur Ausführung vor allem sehr großer internationaler Infrastrukturprojekte unmittelbar erleben zu dürfen. Unter anderem war ich zwei Jahre auf großen Baustellen in Skandinavien unterwegs, was für mich fachlich und persönlich ein großer Gewinn war - eine Zeit, die ich auf keinen Fall missen möchte.
Vor zwei Jahren habe ich mich entschieden, für WTM Engineers zu arbeiten. Die Beratung und Begleitung unserer Bauherren von der ersten Idee bis zum fertigen Bauwerk, der notwendige Blick aufs Ganze unter der Prämisse innovativer technischer Lösungen empfinde ich als zugleich herausfordernd und erfüllend.
In nahezu keinem anderen Beruf ist die Bandbreite der Aufgaben und damit der Möglichkeiten, eigene Wege zu gehen und Verantwortung zu übernehmen, derart groß. Die von Bauingenieuren übernommene Verantwortung – einerseits die Verantwortung, technisch und wirtschaftlich optimale Bauwerke zu realisieren und andererseits die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, nachhaltige Bauwerke mit hohem Nutzwert zu schaffen – ist dabei ungleich größer als es die Wahrnehmung des Berufs in der Öffentlichkeit vermuten lassen würde.
Welche Wege geht Ihr Unternehmen in punkto Personalgewinnung und -sicherung?
Die Grundlage erfolgreicher Personalgewinnung und -sicherung ist für mich ein gelungener Dreiklang aus interessanten und herausfordernden Projekten, kompetenter Förderung und Unterstützung der Mitarbeiter inklusive der Übertragung von Verantwortung sowie der Gewährung jener Flexibilität, die das moderne Leben insbesondere an unseren Standorten, also den Großstädten Hamburg, Berlin, München und Kopenhagen, heute fordert.
Trotz der mittlerweile recht ordentlichen Größe von WTM Engineers pflegen wir einen familiären Umgang im Büro, unternehmen viel im Team, vom Mannschaftssport bis zum Grillen auf der Dachterrasse, und stehen füreinander ein. Dass viele Mitarbeiter schon sehr lange bei uns sind, liegt vielleicht auch etwas an dieser besonderen Atmosphäre.
Um den Ingenieurnachwuchs auf WTM Engineers aufmerksam zu machen, versuchen wir, bereits im Studium der angehenden Fachkräfte präsent zu sein. Die gelingt uns durch Lehraufträge, Vorträge oder die Begleitung von Studienarbeiten. Wir wollen Studierenden auch bewusst frühzeitig durch Praktika oder durch die Anstellung als Werkstudenten die Möglichkeit geben, sich ein eigenes Bild von der Wirklichkeit in unserem Beruf zu machen.
Motivierte junge Menschen, die nach dem ersten Probearbeiten wissen, auf was sie sich einlassen, übernehmen wir gerne. Parallel dazu, und vielleicht etwas anachronistisch, setzen wir nach wie vor auf Mundpropaganda in Verbindung mit einem guten Ruf.
Auf wen hören Sie beruflich?
Einer der wichtigsten Ratschläge, der mir als angehender Bauleiter von einem sehr erfahrenen Brückenbauer mit auf den Weg gegeben wurde, ist, meinen Kollegen und Mitarbeitern immer gut zuzuhören - aber nicht alles zu glauben. Ich versuche daher nach wie vor, gut zuzuhören. Meine wichtigsten beruflichen Ratgeber sind tatsächlich immer meine Kollegen und Mitarbeiter.
Darüber hinaus gibt es eine Handvoll Menschen, die ich im Laufe meines Berufslebens kennen lernen, mit denen ich arbeiten und von denen ich lernen durfte. Mit ihrer großen Erfahrung und analytischen Schärfe sind Sie für mich auch heute noch wichtige Ratgeber.
Für mich ist von ganz zentraler Bedeutung, nicht betriebsblind zu werden. Ein Blick über den Tellerrand hilft da. Die eigene berufliche Situation offen mit Menschen zu diskutieren, die in ganz anderen Bereichen verwurzelt sind, erdet.
In welche (Informations-)Technik investiert Ihr Unternehmen?
Ein modernes Ingenieurbüro ist ständig gefordert, gerade in der Informationstechnik auf dem aktuellen Stand zu sein. Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist hier ein mächtiger Treiber.
Gegenwärtig bewegen uns zwei Themen besonders. Einerseits die Einführung modellorientierter Planung, also das Building Information Modeling bzw. BIM. Hier haben wir bereits viel investiert, angefangen bei der Software über die zu ihrem Einsatz erforderliche Hardware bis hin zur Weiterbildung unserer Mitarbeiter, und werden auch weiterhin investieren, um im Spitzenfeld mitlaufen zu können.
Zum anderen bewegt uns die Flexibilisierung unseres Arbeitsumfeldes, also mobiles und dezentrales Arbeiten mit den zugehörigen Kommunikationsmitteln. Natürlich lassen wir dabei die Datensicherheit nicht aus den Augen. Auch hier muss kontinuierlich investiert werden.
Welchen Wunsch haben Sie an die Politik?
Politik muss gute Rahmenbedingungen schaffen. Für das Planen und Bauen sehe ich hier noch ein paar Ansatzpunkte. Das Vergaberecht lädt dazu ein, den Fokus sehr stark auf den billigsten Preis zu lenken und lässt damit nachhaltige Lösungen und partnerschaftliches Vorgehen häufig in den Hintergrund treten. Gerade in Zeiten knapper personeller Ressourcen und knapper Zeit erscheint mir eine behutsame Anpassung des Vergaberechts daher lohnenswert.
Anders ist es bei der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure, der HOAI. Sie bietet heute einen erprobten Rahmen und hilft an vielen Punkten, einen überzogenen Preiswettbewerb zum Schaden aller zu vermeiden. Hier Hand anzulegen, wäre wenig nachhaltig.
Wie sieht Ihre individuelle Weiterbildung aus?
Neugier hilft! Zum einen kann ich laufend von Kollegen und Mitarbeitern lernen. Ich habe das Glück, in zahlreiche Projekte eingebunden zu sein und begegne dadurch beständig aktuellen Entwicklungen und innovativen technischen Lösungen. Natürlich versuche ich zum anderen auch, durch den Besuch von Tagungen, Kongressen oder Seminaren "up to date" zu bleiben.
Ein wesentlicher Teil meiner Weiterbildung besteht aber darin, mir abends oder bei einer längeren Zugfahrt mithilfe eines Buchs oder eines Fachartikel Neues zu erschließen. Bei diesem klassischen Selbststudium ist es mir wichtig, das Themenspektrum nicht allzu eng zu setzen.
Die Themen reichen im Gegenteil von technischen Fragen über wirtschaftliche und juristische Aspekte bis hin zu Soft Skills und dem erwähnten Blick über den Tellerrand. Dieses breite, ganzheitliche Verständnis von Weiterbildung praktizieren wir auch bei WTM Engineers.
Welchen Ausgleich haben Sie zum Beruf?
Ein Ausgleich ist wichtig und meine Familie hilft und erzwingt manchmal auch, den Kopf frei zu bekommen.
Von Zeit zu Zeit sorge ich auch für Fluchten aus dem Alltag. Das muss nicht die vierwöchige Weltreise sein. Was bei mir zuverlässig funktioniert und wahrscheinlich mit meiner Herkunft aus München zusammenhängt, ist ein Tag in den Bergen.