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Nachhaltigkeit als integraler Bestandteil der Tragwerksplanung

Verfasst von: Jana Nowak, Laurent Giampellegrini
Veröffentlicht am: 17. Mai 2024

Eine Perspektive auf Verantwortung und Veränderung in unserem Berufsstand

(von Jana Nowak, Tragwerksplanerin und Associate und Head of Sustainable Structures und Laurent Giampellegrini, Tragwerksplaner und Director ppa., knippershelbig GmbH)

In der heutigen Zeit wird der Ruf nach Nachhaltigkeit in allen Bereichen immer lauter. Insbesondere in der Baubranche steht die Frage im Raum: Wie können wir nicht nur energieeffizient, sondern auch klimagerecht bauen? Diese Fragestellung erfordert ein Umdenken der Bauschaffenden, dem konkrete Maßnahmen im Entwurf und Projekte jenseits des Status quo folgen müssen. Nachhaltig bauen bedeutet nicht nur Materialien und Emissionen effizient einzusetzen, sondern auch einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der die Ressourcen unseres Planeten berücksichtigt.


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Bild 1 - Drei Transformationsstrategien des Bauwesens zum klimagerechten Bauen. Quelle: knippershelbig

Für die Transformation des Bauwesens zum klimagerechten Bauen lassen sich drei zentrale Strategien unterscheiden: Effizienz, Suffizienz und Konsistenz. Die Schnittmenge aus allen drei Strategien bildet die Klimaeffektivität. Das bedeutet, der wirksamste Weg klimagerecht zu bauen – also möglichst wenig Ressourcen zu verbrauchen und geringe Treibhausgasemissionen zu verursachen – ist es, alle Strategien simultan anzuwenden und in Bauprojekten zu vereinen. Der Herausforderung besteht darin, diese Strategien im baulichen Schaffen umzusetzen (Bild 1).

Effizienz umfasst in der Tragwerksplanung alle Maßnahmen der Materialersparnis (Ressourceneffizienz) sowie der Wahl von Materialien mit geringen grauen Emissionen (Emissionseffizienz). Die Berücksichtigung von Emissions- und Ressourcenverbrauch als Parameter im Tragwerksentwurf sollte integraler Bestandteil des Planungsprozesses sein. Für die Quantifizierung dieser Parameter steht das Tool der Ökobilanzierung zur Verfügung. So müssen Konstruktionen nicht nur die Nachweise im Grenzzustand der Tragfähigkeit und der Gebrauchstauglichkeit erfüllen, sie werden gleichermaßen auch anhand ihres Treibhauspotenzials bewertet.

Wird ein Gebäude neu gebaut, entsteht mehr als die Hälfte der Treibhausgasemissionen bereits vor der eigentlichen Nutzung, nämlich bei der Herstellung der Baumaterialien und der Errichtung des Gebäudes. Da der überwiegende Teil der grauen Emissionen im Tragwerk, also in Fundamenten, Decken und Wänden, steckt, haben Tragwerksplanende einen großen Hebel, die Emissionseffizienz zu steigern. Bereits in frühen Phasen können verschiedene Tragwerksoptionen als Zusammenspiel aus Konstruktion, Material und architektonischem Entwurf untersucht werden.


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Bild 2 - Die Ökobilanz zeigt, wie viele Tonnen CO2e durch die Wahl eines Deckensystems aus emissionsarmen Materialien eingespart werden können. Quelle: knippershelbig

Der Sweetspot von sowohl ressourcen- als auch emissionseffizienten Tragstrukturen lässt sich dabei häufig durch den Einsatz komplementärer Materialien in einer materialgerechten Konstruktionsweise erreichen. Eine konkrete Maßnahme, um den Ressourcen- und Emissionseinsatz zu reduzieren, ist bspw. die Reduktion von Spannweiten durch die Anpassung des Stützenrasters. Dadurch kann der Materialeinsatz in den biegebeanspruchten Bauteilen, sprich den Decken, verringert werden. Da die Deckenkonstruktionen den größten Anteil an konstruktionsbedingten Treibhausgasemissionen eines Bauwerks ausmachen, hat es eine große Hebelwirkung, sich die Emissionsoptimierung der Deckentragwerke als Erstes vorzunehmen (Bild 2).

Die Strategie der Konsistenz verfolgt den Ansatz, unter Berücksichtigung der planetaren ökologischen Grenzen zu bauen. Langfristig ist dies nur möglich, wenn wir nicht in unserem linearen Wirtschaftsmodell, das geprägt ist von Neuproduktion und Abfall, verbleiben, sondern zu einer Kreislaufwirtschaft übergehen. Die Planung von zirkulären Bauwerken lässt sich per Definition aufteilen in:

  • Bauwerke, die aus Sekundärbauteilen (z. B. rückgebauten Tragwerkselementen) gebaut sind und eine Kreislaufführung bereits heute (im Pre-use des Gebäudes) umsetzen.
  • Bauwerke, die aus demontierbar gefügten, wiederverwendbaren Primärbauteilen gebaut sind und damit durch eine potenzielle Wiederverwendung (im Post-use des Gebäudes) einen zukünftigen Beitrag zur Kreislauffähigkeit leisten.

Während die kreislaufgerechte Planung von Konstruktionen durch einen Design for Disassembly-Entwurfsansatz vielfach Anwendung findet, stehen der Wiederverwendung rückgebauter Materialien in Tragwerken aktuell noch rechtliche und regulatorische Hürden im Weg. In Forschungs- und Pilotprojekten werden bereits Erfahrungen zum Einsatz von Sekundärmaterialien gesammelt, um die neuen Planungs- und Beschaffungsprozesse beim zirkulären Bauen zu etablieren.

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Bild 3 - Tragwerksplanende tragen Verantwortung, die Transformation hin zum klimagerechten Bauen mitzugestalten. Quelle: knippershelbig

Die Suffizienz als dritter Aspekt der Transformation findet sich v. a. in Fragen nach dem Bedarf von Neubau und Flächen wieder: Wie viel müssen wir noch (neu) bauen? Obwohl die Bedarfsfrage vorrangig eine gesellschaftliche Thematik ist und zum Zeitpunkt der Planung eines Bauvorhabens oft nicht mehr im Raum steht, können im Zuge der Planung Maßnahmen ergriffen werden, die den Aspekt der Suffizienz berücksichtigen.

So können Gebäudestrukturen zum Beispiel auf eine hohe Nutzungsflexibilität ausgelegt werden. Zudem machen adaptive Gebäudestrukturen eine Nach- oder Mehrfachnutzung möglich. Im Rahmen der Tragwerksplanung können diese Parameter bereits in frühen Leistungsphasen bei der Festlegung von Spannweiten und Lasten, aber auch beim Entwurf leicht trennbarer Verbindungen berücksichtigt werden.


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Die drei dargestellten Strategien zeigen konkrete Maßnahmen auf, die Tragwerksplanende ergreifen können, um Nachhaltigkeit in ihren Projekten umzusetzen. Die allgemeine holistische Herangehensweise in der Tragwerksplanung gewährleistet, dass nicht nur die strukturelle Integrität, sondern auch die ökologische Bewertung in den Fokus der Planung rückt und in interdisziplinären Planungsteams ganzheitlich nachhaltige Lösungen erarbeitet werden.

Klimagerechtes Bauen ist mehr als nur ein Trend – es ist eine Verpflichtung, die wir alle tragen müssen, um eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen zu sichern (Bild 3). Es erfordert Mut zur Innovation und einen ganzheitlichen Blick auf unsere Bauvorhaben. Wegweiser für uns Planende sind dabei die folgenden drei Fragen:

  1. Wie können wir besser bauen?
  2. Wie können wir im Einklang mit den ökologischen Kapazitäten bauen?
  3. Wie können wir weniger bauen?

Diese Fragen sind entscheidend für die Umsetzung von klimagerechten Bauwerken und die Sicherstellung einer lebenswerten Zukunft für uns alle.

(Dieser Beitrag ist in der Ernst & Sohn Sonderpublikation "Attraktive Arbeitgeber im Bauingenieurwesen" im April 2024 in gedruckter Form erschienen.)