Zum Hauptinhalt springen

Nachhaltigkeit von Gebäuden: Bundesingenieurkammer schlägt einfache Bewertung durch Bauingenieure vor

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 15. Feb. 2023
Kategorie:

BIngK-Präsident Heinrich Bökamp im bauingenieur24-Gespräch:

  • Wohnraumschaffung und klimaschonendes Bauen nicht als Widersprüche diskutieren

  • einfaches und effektives Nachhaltigkeitsbewertungssystem kann helfen

  • Wohnungsbau dringend ressortübergreifend angehen


Die neue Bundesförderung für einen "Klimafreundlichen Neubau" (KFN) hat der Debatte um die Frage, wie in Deutschland mehr Wohnraum geschaffen werden kann, neue Nahrung gegeben. Wir haben diesbezüglich mit dem Präsidenten der Bundesingenieurkammer, Dr.-Ing. Heinrich Bökamp, gesprochen:

 bauingenieur24 (b24): Das neue Förderprogramm "Klimafreundlicher Neubau" ist sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Erkennbar ist - schon im Titel - , dass die Politik zum einen die Bauwirtschaft ankurbeln und gleichzeitig das Klima retten will – und an beidem wohl scheitert. Vertreter der Bau- und Immobilienwirtschaft fordern viel mehr Geld und weniger Restriktionen, nicht zuletzt beim Klimaschutz. Angesichts dieser widerstrebenden Ziele und Ansätze: Wie geht für Sie größtmögliche bauwirtschaftliche Freiheit mit der notwendigen politischen Regelung im - gesellschaftlich hochbrisanten - Wohnungsbau zusammen? 

Heinrich Bökamp (HB): Wir sollten als Gesellschaft generell nicht den Fehler machen, aktuelle Herausforderungen als Widerspruch zu Klimazielen zu diskutieren. Zügig Wohnraum zu schaffen und klimaschonend zu bauen, können auch Hand in Hand gehen. Vielmehr braucht es mehr Freiraum bei der Planung und Umsetzung. Grundsätzlich dürfen wir nicht nachlassen, Regeln und Bürokratie auf ihren Nutzen zu überprüfen. Ganz gleich ob Vergaberecht oder Nachhaltigkeitsanforderungen, ein zukunftsgewandtes Rechtshandeln sollte beschleunigtes und effizientes Bauen bei gleichbleibenden Qualitätsanforderungen fördern. Auch vor dem Hintergrund steigender Kosten am Bau sind dies entscheidende Größen.

So sollten wir uns beim Bauen und Sanieren auf solche Maßnahmen fokussieren, die für eine möglichst hohe CO2-Minderung relevant sind. Hierbei kann ein einfaches und effektives Nachhaltigkeitsbewertungssystem helfen. Dessen Ziel sollte es sein, bei einer großen Zahl von Gebäuden und gerade auch bei kleineren Gebäuden eine erhebliche CO2-Reduktion zu bewirken. Für die Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden braucht es qualifizierte Fachkräfte. Statt aufwendiger und teurer Zertifizierungen durch einige wenige Akteure, sollte die Expertise von uns Ingenieurinnen und Ingenieuren genutzt werden. Weniger Bürokratie und mehr technischer Fortschritt, Innovationsfreudigkeit und Mut werden benötigt, um die Klimaziele beim Bauen zu erreichen.

Heinrich_Bökamp_klein
Möchte, dass die Expertise der Bauingenieure für die Nachhaltigkeitsbewertung von Gebäuden an die Stelle teurer und aufwendiger Zertifikate tritt: Bundesingenieurkammer-Präsident Heinrich Bökamp. Foto: Thomas Ecke / BIngK

 


b24: 400.000 neue Wohnungen pro Jahr werden in Deutschland wohl nie gebaut werden. Warum hält man in Politik und Wirtschaft so vehement an dieser Zahl fest?

HB: Ich glaube, die Diskussion um diese Zahl ist müßig und lenkt von den großen Herausforderungen bei Wohnungsbau und Infrastruktur ab. Wir brauchen dringend den Schulterschluss von Politik und Wirtschaft, um bezahlbares Wohnen in erheblichem Umfang zu ermöglichen. Das "Bündnis bezahlbarer Wohnraum" ist eine hilfreiche Plattform, um die Positionen der Bauindustrie und der planenden Berufe darzulegen und Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Aufgrund der aktuellen Kostenentwicklungen am Bau stellen jedoch staatliche Investitionen und Förderungen den größten Hebel dar. Durch das aktuelle Fördervolumen ist es fraglich, wie darüber Wohnungsbau nachhaltig beschleunigt werden soll. Wohnraum zu schaffen ist auch immer Sozial- und Familienpolitik. Die Bundesregierung muss dieses Thema dringend ressortübergreifend angehen und staatliche Investitionen sowie Förderung entsprechend finanziell aufstocken.

b24: Wären 400.000 sanierte bzw. umgebaute Wohnungen nicht die bessere Losung bzw. ressourcenpolitisch auch die bessere Lösung?

HB: Neben dem Neubau trägt das Sanieren bzw. das "Bauen im Bestand" schon immer zur Sicherung von Wohnraum bei. Den Fokus nur auf die Sanierung zu legen, wird jedoch den Wohnungsmangel in Ballungsgebieten nicht beseitigen. Vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsanforderungen und notwendigen CO2-Reduktion werden hier in den nächsten Jahren ebenfalls hohe Investitionen notwendig. Generell sind das "Bauen im Bestand" und die Kreislauffähigkeit von Baustoffen aber weitere Bausteine des ressourcenschonenden Bauens der Zukunft. Auch die fortschreitende Digitalisierung des Planungs- und Bauwesens kann hier einen wichtigen Beitrag leisten.