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Ökologie, Ökonomie und Soziales als gleichwertige Säulen der Nachhaltigkeit bei a|sh - ein Interview

Veröffentlicht am: 17. Dez. 2024

(bezahlter Inhalt)

„Der Bausektor hat einen großen Anteil an den CO2-Emissionen und wir sind uns unserer Verantwortung bewusst“

9 Fragen an Susanne Waitz, a|sh sander.hofrichter architekten

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Susanne Waitz

Susanne Waitz ist Diplom-Architektin und seit 1997 bei a|sh sander.hofrichter architekten GmbH. Als Senior-Architektin verantwortet sie Projekte v. a. in den Leistungs­phasen 3–5. Gemeinsam mit Jens Rieksmeier leitet sie die Projektgruppe Nach­haltigkeit und engagiert sich für zukunfts­weisendes, innovatives und nachhaltiges Bauen. a|sh architekten ist ein inhaber­geführtes Architektur­büro mit über 90-jähriger Tradition. Rund 300 Mitarbeiter­innen und Mitarbeiter planen und realisieren Krankenhäuser, Zentren für psychische Gesundheit, Gebäude für Bildung und Forschung und viele weitere Bauten, die für eine lebenswerte Gesellschaft von großer Bedeutung sind. Die drei Säulen der Nach­haltigkeit – Ökologie, Ökonomie und Soziales – sind wesentliche Bestand­teile in der täglichen Arbeit bei a|sh.

1. Frau Waitz, mit der vorgehängten Holzfassade des Psychiatrie-Neubaus in Ingolstadt (Bild 1) hat Ihr Büro 2500 m³ Stahlbeton eingespart und damit eine CO2-Menge von 160 Erd­umrundungen eines durch­schnittlichen Pkws. Ist das schon Nachhaltigkeit?

Absolut! Das ist auf jeden Fall Nachhaltigkeit – schließlich gilt: Jedes eingesparte Quantum CO2 ist wichtig und richtig und gut – und allemal nachhaltig. Deswegen bemüht sich a|sh in allen seinen Projekten und in allen Leistungs­phasen darum, CO2 einzusparen. Aber natürlich drehen wir auch an allen anderen möglichen Stell­schrauben, um unsere Gebäude nachhaltig zu machen.

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Bild 1: Zentrum für psychische Gesundheit Ingolstadt (Quelle: a|sh sander.hofrichter architekten)

2. Nicht nur der Arzt, auch der Architekt kann den Heilungs­prozess befördern; damit kommt er ja eventuell ganz­heitlich verstandener Nachhaltigkeit sehr nahe. Wie stellt sich Ihnen das konkret dar?

Das stellt sich mir sehr konkret dar! Nach­haltigkeit zeichnet sich ja auch durch die Verwendung gesunder Baustoffe aus – und das ist ein Aspekt, der sich immer positiv auf Menschen auswirkt. Vor allem im Gesundheits­bau gestalten wir die Architektur wie die Innen­architektur unter der Prämisse, dass sich Nutzer:innen wohl fühlen. Und ein solches positives Gefühl wirkt sich nun mal auch definitiv auf ihren Genesungs­zustand aus. Das habe ich schon ganz konkret erlebt. Beim Neubau der Palliativ­station im Katholischen Klinikum Mainz hab’ ich ganz oft die Rückmeldung von Nutzer:innen erhalten, dass sie sich dort ausgesprochen wohl fühlen und deshalb gut entspannen können. Klar war das ein schönes und wertvolles Feedback. Wenn Nutzer:innen zufrieden sind, darf man das wohl auch nachhaltig nennen.

3. In dem Zusammenhang: Sie betonen die wichtige Bedeutung der Nutzer:innen­beteiligung schon in den frühesten Leistungs­phasen. Wie führt die in Ihrer Planung auch zur Zufriedenheit der Nutzer:innen?

Das läuft so ab, dass wir die Nutzer:innen in den frühen Leistungs­phasen integrieren, indem wir Workshops durchführen. Da gehen wir ganz gezielt mit ihnen ins Gespräch. Da werden Bedürfnisse ganz konkret besprochen und daraus ergibt sich das Gefühl eines gemeinsamen Ziels – es wird so also das gemeinsame Projekt von den künftigen Nutzer: innen und uns. Es ist ja so, dass eine Planung, die den Nutzer:innen von Architekt:innen übergestülpt wird, niemals nachhaltig sein kann, denn nur zufriedene Nutzer:innen leben in Räumen langfristig. Und schließlich: Wenn nach kurzer Zeit nicht umgebaut werden muss, ist das ja wohl auch nachhaltig zu nennen. Trotzdem versuchen wir aber natürlich, Raumkonzepte flexibel zu gestalten, sodass Um- oder Weiter­nutzungen mit wenig Aufwand umsetzbar sind.

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Bild 2: Gesundheits­zentrum Meisenheim (Quelle: Markus Bachmann, Samba)

4. Der Begriff der Nach­haltigkeit wird ja hierzulande dem Forst­wirtschaftler Carl von Carlowitz zugeschrieben, der im 17. Jahrhundert schon betonte, Nach­haltigkeit sei kein forst-, sondern ein volks­wirtschaftliches Thema. Sehen Sie in dieser Betrachtungs­weise einen Zusammenhang zu Ihrer konkreten Nach­haltigkeits­arbeit?

Wir betrachten es ganz klar als unsere Verantwortung, die Themen der Nach­haltigkeit im Hinblick auf den Einzelnen, aber auch auf die Gesellschaft zu behandeln und zu bewerten. Nach­haltigkeit sollte meiner Meinung nach nicht unbedingt im Kontext von Ökonomie gesehen werden. Doch sicherlich sind Gebäude, die nachhaltig im Sinne von flexibel und CO2-neutral sind, auch ökonomisch interessant. Denn Gebäude, die nicht wirtschaftlich betrieben werden können, erreichen nun mal im Mittel eine deutlich kürzere Lebensdauer, da sie eher umgebaut oder früher wieder abgerissen werden.

5. Wenn Sie das gleichschenklige Dreieck der Nach­haltigkeit mit seinen drei Winkeln Ökologie, Ökonomie und Soziales betrachten, würden Sie diesen drei Säulen der Nach­haltigkeit (wenn sie nicht als Dreieck, sondern Tempel dargestellt wird …) gleiche statische Bedeutung beimessen – theoretisch wie in Ihrer praktischen Arbeit?

In der praktischen Arbeit und ebenso in unserem Gesellschafts­system wird die Ökonomie zumeist an vorderster Stelle betrachtet. Soziale und ökologische Aspekte hingegen werden gern einer zu kurz gedachten Ökonomie untergeordnet. Aber langfristig und global betrachtet führt ein solches Ungleichgewicht zu kritischen Fehl­entwicklungen mit fatalen Folgen. Sinnvoller wäre es sicher, allen drei Aspekten die gleiche Bedeutung beizumessen. Ein statisches System (oder ein Tempel) mit drei Säulen ist ein an sich eher instabiles System. Wenn eine der Säulen nicht mehr trägt, bricht das Gebäude unver­meidlich zusammen. Übertragen auf unsere Gesellschaft könnte man das auch folgender­maßen inter­pretieren: Schaffen wir es nicht, unsere ökologischen Probleme in den Griff zu bekommen, werden wir nicht nur ganze Landstriche unbewohnbar machen, sondern das daraus resultierende soziale Ungleich­gewicht und der bereits hohe Migrations­druck werden weiter zunehmen. Daraus ergeben sich wiederum unabsehbare Folgen auch für unsere Wirtschafts­systeme. Die drei Säulen der Nach­haltigkeit sind also ganz untrennbar miteinander verbunden. Wenn wir dies anerkennen und die Aspekte gleichwertig betrachten, führt das unweigerlich zu nach­haltigem Handeln.

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Bild 3: Heckscher Klinikum München – KJP Haar (Quelle: Florian Holzherr)

6. Was bedeutet für Sie ganz konkret die Abwägung von Maß und Ziel in jedem Projekt?

Das Thema Nachhaltigkeit ist denkbar komplex und viel­schichtig. Klar ist auch, dass nicht alle Aspekte in jedem Projekt immer gleichwertig umgesetzt werden können. Da gilt es genau abzuwägen, welcher oder welche Aspekte in jedem einzelnen Projekt sinnvoll sind. Und das hängt natürlich von vielen Faktoren ab, bspw. von Gebäude­klassen, von Schallschutz- und Brandschutz­anforderungen, aber auch von dem Bauherrn und dessen Bereitschaft und Offenheit dem Thema Nachhaltigkeit gegenüber – um nur ein paar zu nennen. Gerade im Gesundheits­bau sind die Anforderungen sehr hoch – da gilt es, sie sensibel und nach Maß mit der Nach­haltigkeit zu verbinden, aber auch die Grenzen zu kennen. Und manchmal gibt es auch Projekte, da stimmt alles und dann freuen wir uns, ein Pilotprojekt entwickeln zu dürfen.

7. In unserem Vorgespräch beklagten Sie die technische Reglementierung, die dazu führe, dass Architekten gar nicht – auch im Sinne der Nach­haltigkeit – experimentieren können. Was muss sich da ändern?

Neue Wege bedürfen eines gewissen Maßes an Mut – der gute alte Pioniergeist gehört auch dazu, etwa beim Verwenden von neuen Materialien. Da fehlen momentan oft noch die Zulassungen oder auch Erfahrungs­werte. Architekt:­innen müssen immer nach den Regeln der Technik agieren – d. h., hier sind wir automatisch immer in der vollen Haftung – und daran muss sich was ändern, damit dieser Weg gegangen werden kann. Auch Zustimmungen im Einzelfall, wenn es an den entsprechenden Zulassungen hapert, sind oft eine große Hürde für Bauzeit und Kosten – auch dieses Procedere müsste vereinfacht werden.

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Bild 4: Lore-Lorentz-Schule Düsseldorf (Quelle: Felix Meyer)

8. Welche Bedeutung messen Sie dem Thema Lifecycle bei – theoretisch, besonders aber praktisch?

Das LCA ist ein wichtiges Thema bei der Nach­haltigkeit. Es ist aber auch genauso viel­schichtig. Zum einen können Materialien 1:1 wieder­verwendet werden. Denken wir bspw. an aus- und wieder eingebaute Fenster – also da finden die Elemente ohne Downcycling Wieder­verwertung. Das ist bei Groß­projekten, wie wir sie planen, zwar nicht unmöglich, aber doch eher schwierig, in die Realität umzusetzen. Doch bei kleinen und mittleren Projekten ist das durchaus ein Ansatz, wie die Kolleg:innen schon bewiesen haben. LCA heißt aber auch, dass ein Material verschiedene Produkt­leben haben kann und deshalb immer wieder weiter­verwertet wird. Das lässt sich beim Holz sehr schön erläutern: vom Baum zum Rundholz – das erste Produktleben als Vollholz oder Furnier­produkte; ein zweites als spanbasierte Produkte weiter über faserbasierte Produkte bis hin zur energetischen Verwendung – also Verbrennung. Diese Kette gilt es in den Lebenszyklus eines Materials zu integrieren.

9. Sie prägten das Wort von der Ungeduld der Nach­haltigkeit. Können Sie das unseren Leser:innen ein wenig ausführen?

Damit möchte ich gerne nochmal auf Punkt 6 zurück­kommen: die Dinge nach Maß und Ziel betrachten und verfolgen, nicht alles auf einmal realisieren wollen, sondern mit scharfem Menschen­verstand bewerten und betrachten. Der Bausektor hat einen großen Anteil an den CO2-Emissionen und wir sind uns unserer Verantwortung bewusst. Deswegen sehen wir die neuen Aufgaben als Heraus­forderungen und erst mal nicht als Probleme. Heraus­forderungen, die eine ganze Architekt:innen­generation beschäftigen. Packen wir es an! Es ist auch eine große Chance, jetzt etwas zu verändern.

Frau Waitz, haben Sie Dank für dieses Interview.

Die Fragen stellte Burkhard Talebitari.

Gesundheitszentrum Meisenheim: Das Gesundheits­zentrum Glantal in Meisenheim sichert mit seinen 150 Betten die regionale Grund­versorgung in den Fachgebieten Innere Medizin und Chirurgie. Es umfasst darüber hinaus ein neuro­logisches Angebot sowie Sprach­heil­therapie für Kinder- und Jugendliche. 2016 erhielt das Projekt von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) das Zertifikat in Gold (Bild 2).

Heckscher Klinikum München – KJP Haar: Die Planungs­gemeinschaft a|sh und H2M realisierte einen einfachen Baukörper, der mit Blickbezügen zum umliegenden Park und möglichst viel natürlichem Licht zur Heilung der jungen Patient:innen beitragen soll. Ausgezeichnet als Green Hospital beinhaltet es eine effiziente und ressourcen­schonende Gebäudetechnik wie z. B. Energie­erzeugung über eine Holz­pelletanlage oder Strom­erzeugung über dach­integrierte Photovoltaik (Bild 3).

Lore-Lorentz-Schule Düsseldorf: Auf dem Gelände der Lore-Lorentz-Schule in Düsseldorf entstand ein drei­geschossiger, kompakter Neubau mit begrüntem Flachdach. Herzstück des modernen Berufskollegs mit beruflichem Gymnasium ist die helle Eingangs­halle mit einer Sitztreppe, die den neuen gemeinschaft­lichen Mittel- und Treffpunkt bildet. Das Glasdach mit PV-Anlage ist einer von vielen Nach­haltigkeits­aspekten bei diesem Projekt (Bild 4).

www.a-sh.de