Praxisbericht BIM: Einblicke in die digitale Planung des Infrastrukturgroßprojekts Südschnellweg B3 in Hannover
Die Coronapandemie hat der Digitalisierung im Bauwesen einen Schub verpasst, aber ein echter, umfassender Aufbruch in die Transformation steht immer noch vielerorts aus. Dabei liegen die Vorteile digitaler Werkzeuge und Methoden wie BIM (Building Information Modeling) schon lange auf der Hand.
Insbesondere langjährige Bauprojekte profitieren von besserer Effizienz, Planbarkeit, Kollaboration und Kommunikation. Selbst die ungeliebte Abrechnung der Bauleistungen wird vereinfacht und darüber hinaus exakter. BIM macht Sinn – auch und v.a. für den Ingenieurnachwuchs.
Digitalisierung braucht Weitsicht
Ist BIM nur nice to have oder gar nerdiger Unsinn, wie manche in der Branche uns immer noch glauben machen wollen? Eine aktuelle Studie der Bundesingenieurkammer zeigt, dass die Bedeutung der Digitalisierung in vielen Bereichen der Bauwirtschaft noch nicht verstanden wird.
Auf die Frage, warum BIM noch nicht im Unternehmen eingeführt wurde, nannten 75 Prozent der befragten Büros die fehlende Nachfrage von Auftraggebern als Grund, 42 Prozent die fehlende Vergütung von Mehrleistung und 34 Prozent die fehlende Zeit. Haben die Zauderer einen Punkt oder verspielen sie wertvolle Chancen? Am Beispiel eines umfangreichen Ingenieurbauprojekts werden die drei Gegenargumente im Folgenden auf den Prüfstein gestellt.
Fehlende Nachfrage ist kein Signal für mangelnden Bedarf
Als Teil einer Arbeitsgemeinschaft (ARGE) saniert die Porr GmbH & Co. KGaA, kurz Porr, im Auftrag der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr seit März 2023 den Südschnellweg B3 in Hannover. Im ersten großen Bauabschnitt wird die bestehende Brücke, welche die B3 über die Hildesheimer Straße und die Schützenallee im Stadtteil Döhren führt, durch einen Tunnel ersetzt.
Vor dem Abbruch der Bestandsbrücke muss eine 940 Meter lange Behelfsbrücke parallel zur Hochstraße errichtet werden. Anschließend wird ein 1.100 Meter langer Straßentunnel mit Rampenbauwerken zur Unterquerung der Hildesheimer Straße und der Schützenallee angelegt.
Da die Bauplanung mit BIM bereits sehr tief in die Porr-Prozesse integriert ist, wurde für dieses Projekt ganz selbstverständlich ein 3D-Modell als Grundlage für alle weiteren Arbeitsschritte erstellt. Der Auftraggeber wendet BIM ebenfalls in einer Reihe von Bauprojekten an und erkannte daher bereits bei der Präsentation unmittelbar das große Potenzial, welches in der jahrelangen Erfahrung mit digitalisierten Prozessen bei Porr steckt.
BIM ist mehr als nur ein 3D-Modell
Die tägliche Arbeit zeigt, wie wichtig eine gute Kommunikation sowie eine schnelle Vermittlung vielschichtiger Informationen für den Projekterfolg sind. Dies gilt insbesondere für die Realisierung von Großprojekten mit vielen Beteiligten und Einzelgewerken. 3D-Modelle machen komplexe Zusammenhänge unmittelbar begreifbar, minimieren Fehler und verkürzen die Planungszeiten. Bei einem 400-Millionen-Auftrag wie dem Südschnellweg, der über viele Jahre läuft, erübrigt es sich, zu betonen, welche Bedeutung die termingerechte Bereitstellung von WoManpower, Material und Maschinen hat.
Im Kontext von Infrastrukturbauwerken wie dem Südschnellweg spielt neben der Modellierung der Neubauteile auch die Abbildung der Bestandssituation eine wichtige Rolle. Dementsprechend wurde ein Bestandsmodell erstellt, welches u.a. die Umgebungsbebauung, die Vermessungsdaten, die Verkehrsanlagen, das bestehende Brückenbauwerk und die Bestandsleitungen enthält.
Das Modell ermöglicht es, Kollisionen zwischen geplanten und bestehenden Bauteilen bereits bei der Arbeitsvorbereitung zu erkennen und nicht erst vor Ort. Das Risiko, dass kostenintensives Baustellenequipment wegen ungeplanter Verzögerungen zum Stillstand kommt, geht somit gegen null. Die zu einem Gesamtmodell zusammengefassten Bestands- und Neubaudaten bilden ein mächtiges Koordinations- und Kommunikationstool, das auch die Effektivität der Projektbesprechungen deutlich verbessert hat (Bild 1).
Durch die Verknüpfung der in 3D modellierten Bauteile mit den Vorgängen des Terminplans lassen sich die komplexen Bauabläufe anschaulich in Bauphasenplänen darstellen und der Ablauf kann wie in einem Film simuliert werden. Das so erzeugte 4D-Modell ermöglicht es, die Baulogistik und die erforderlichen Ressourcen wie Personal, Material und Geräte zeit- und ortsbezogen darzustellen. Mit dem 4D-Modell lassen sich zudem Konflikte im Ablauf frühzeitig vor Baubeginn identifizieren.
Porr geht noch einen Schritt weiter und verknüpft die Positionen des Leistungsverzeichnisses mit dem 3D-Modell. Das Ergebnis ist ein 5D-Modell, das es erlaubt, Mengen für die Leistungsermittlung zum Stichtag und auf Bauende sowie die zugehörigen Kosten zeit- und bauteilbezogen zu ermitteln und anschaulich darzustellen.
BIM ist kein Kostenfaktor, sondern eine Investition – auch in den Nachwuchs
Die Anwendungsmöglichkeiten der BIM-Methode sind vielfältig. Bewusst wurde beim Projekt Südschnellweg die Abrechnung der Bauleistungen als erstes Einsatzgebiet gewählt. Niemand hat Freude an wiederkehrenden, oft als eintönig empfundenen Tätigkeiten. Dementsprechend wird es immer schwieriger, motivierte und engagierte Fachleute für diese wichtige Aufgabe zu finden, denn ohne korrekte Abrechnung keine angemessene Vergütung der Leistung.
Porr wollte also grundsätzlich etwas ändern, wollte weg von "Länge x Breite x Höhe", dem Ausfüllen von Listen und dem Übertragen von Maßketten in starre Abrechnungsprogramme. Zudem ist die manuelle Abrechnung oft fehlerbehaftet, zeitaufwendig und erfordert einen hohen Dokumentations- und Korrekturaufwand, was schnell zu Frust und Fluktuation bei den Mitarbeitenden führt.
Als Folge gehen Informationen verloren, die neu beschafft werden müssen, wodurch sich die Situation noch einmal verschärft. Darüber hinaus ist diese Tätigkeit kostenintensiv, da vergleichsweise viel WoManpower für die manuelle Bauabrechnung erforderlich ist.
Auf Kundenseite gab es ähnliche Erfahrungen, sodass über die Anwendung einer neuen Methode schnell Einigkeit herrschte. Die gemeinsame Nutzung des BIM-Modells ermöglicht eine enge Zusammenarbeit sowie eine umfassende Transparenz (Bild 2). Der Bauherr erkennt den Wert der digitalen Abrechnungsmethode und schätzt Genauigkeit, Effizienz sowie Reproduzierbarkeit der Ergebnisse.
Seit der Bestand mit einem 3D-Laser erfasst und georeferenziert im 3D-Modell implementiert wird, gehören Handaufmaße, z. B. von komplexen Erd- und Leitungsbaustrukturen, der Vergangenheit an. So lassen sich kostenintensive Einsätze und Auswertungen durch Vermessungsingenieure verringern. Da gleichzeitig auch der Bauablauf dokumentiert wird, können die Bauleistungen zuverlässig und mit geringem Aufwand belegt und über das 3D-Modell abgerechnet werden.
Einen weiteren Fortschritt stellt bei diesem Projekt der Einsatz von GPS-gesteuerten Baggern dar. Durch die Integration der 3D-Modelldaten in die Baggersteuerung können die Maschinen die geplante Geländemodellierung ohne Zeichnung und den Einsatz von Vermessungsingenieuren präzise umsetzen. Die Baggerführer erhalten Echtzeitinformationen über den Istzustand des zu bearbeitenden Bereichs und ihre Position und können so ihren Arbeitsfortschritt genau verfolgen. Dies spart Zeit und vermeidet Fehler bei der Ausführung.
BIM macht Arbeitgeber attraktiv
Der Fachkräftemangel ist auch in der Baubranche allgegenwärtig. Die besten Köpfe begeistert man nicht mit alten Zöpfen und dem Motto Das haben wir schon immer so gemacht. Die Absolvent:innen von heute entscheiden sich für Unternehmen, bei denen sie sich nicht in der digitalen Wüste wiederfinden, sondern wo sie selbstverständlich digitale Tools bei ihrer täglichen Arbeit nutzen. Die o.g. Studie der Bundesingenieurkammer bestätigt diesen Eindruck. 43 Prozent der befragten Büros sehen BIM als wichtiges Werkzeug für die Personalbindung und -gewinnung.
Bereits heute muss Porr bei vielen Angeboten den Nachweis erbringen, dass vergleichbare Projekte mit der BIM-Methode umgesetzt wurden. Die Kunden wollen über reine Absichtserklärungen hinaus sichergehen, dass entsprechendes Knowhow vorhanden ist. Es stellt sich also nicht mehr die Frage, ob BIM angewendet wird, sondern nur noch in welchem Umfang und in welcher Qualität.
BIM lebt von der Kollaboration und dem Teilen von Informationen. Zu Beginn ist man auf das Vertrauen von Kunden und Projektpartnern – oft noch ohne Erfahrung mit dieser neuen Arbeitsweise – angewiesen. Es genügt nicht, nur beeindruckende 3D-Ansichten zu zeigen, ohne gleichzeitig zu vermitteln, wie die einzelnen Tools konkret anzuwenden sind und welchen Nutzen sie mit sich bringen.
BIM hat die Kommunikation und Bauabrechnung revolutioniert
Mit dem Einsatz von Building Information Modeling hat sich die Art und Weise, wie Porr Bauprojekte angeht und umsetzt, radikal verändert und verbessert. Insbesondere im Hinblick auf Kommunikation und Bauabrechnung kommt es einer Revolution gleich.
Bei allen Möglichkeiten, die sich durch BIM und die verwandten Technologien bieten, müssen immer Aufwand und Nutzen gegeneinander abgewogen werden. BIM sollte nie zum reinen Selbstzweck werden. Nicht alles, was geht, muss man auch machen.
Dennoch ist BIM inzwischen in jedem Geschäftsbereich existenziell, weil sich gezeigt hat, wie wichtig es ist, schnell auf zuverlässige Daten zurückgreifen zu können. Diese müssen nur einmal erzeugt werden und stehen dann zentral für alle Steuerungsprozesse und alle Beteiligten eines Projekts zur Verfügung.
(Dieser Beitrag ist in der Ernst & Sohn Sonderpublikation "Attraktive Arbeitgeber im Bauingenieurwesen" im November 2023 in gedruckter Form erschienen.)