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Regenwasserspeicherung: Sickertunnel für Verkehrsflächen geeignet

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 8. Juli 2020

# 17.07.2020

Zunahme an Starkregen und Flächenversiegelung erhöht Bedarf an leistungsstarken Auffangsystemen. Hohlkörperrigolen mit bis zu 250 Kubikmeter Volumen umsetzbar. Geteilte Expertenmeinung zu neuer Variante

Deutschland: Über 50 Hektar Flächenversiegelung pro Tag

Der Sickertunnel
Der Sickertunnel "CaviLine" besitzt eine Innenhöhe von 1,25 Metern. Damit ist er nach der Definition der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) für Personen zugänglich. Grafik: Mall GmbH

2002 wurde unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung die erste Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen. Darin enthalten war die Zielvorgabe für das Jahr 2020, täglich maximal eine Fläche von 30 Hektar Land zu versiegeln.

Zwar ist der Flächenverbrauch seit der Jahrtausendwende, als die Versiegelung im Schnitt etwa 129 Hektar pro Tag betrug, merklich gesunken. Der Wert liegt mit aktuell über 50 Hektar jedoch weit über der Vorgabe.

Eine Folge des versiegelten Bodens besteht darin, dass Regenwasser nicht mehr direkt in den Boden sickern kann, sondern oberirdisch aufgefangen oder abgeleitet werden muss.


Regenwasser von Verkehrsflächen muss behandelt werden

Um dieses mittlerweile oft in Starkregenereignissen auftretende Wasser nicht ungenutzt abfließen zu lassen, werden Wasserspeicher wie Zisternen aus Beton oder Kunststoff immer beliebter. Laut einer bundesweiten Umfrage gingen 93 Prozent der Bauunternehmen im Jahr 2017 von einer verstärkten oder gleichbleibenden Nachfrage im Neu- und Bestandsbau aus.

Ist Regenwasser belastet, stellt sich die Frage nach der direkten Wiederverwendung nicht. Hier liegt der Fokus auf einer temporären Speicherung mit anschließender umweltverträglicher Behandlung.

Auf stark befahrenen Straßen ist anfallendes Regenwasser entsprechend stark verschmutzt und darf per Gesetz nicht unbehandelt in ein Gewässer eingeleitet werden. Bestehende Kanalisationssysteme sind bei Starkregen regelmäßig überlastet. Was es also braucht, ist ein ausreichend großes Auffangsystem mit angeschlossener Behandlungsanlage.


Sickertunnel: Hohlräume erlauben Wartung und Reinigung

Klassischerweise werden unterirdische Pufferspeicher, sogenannte Rigolen, zur Regenwasseraufnahme und -versickerung genutzt. Probleme treten auf, wenn diese mit Kies oder ähnlichen Materialien verfüllten Systeme verstopfen, da eine Wartung und Reinigung oft nicht möglich ist.


Stahlbetonbau erlaubt hohe Belastungen

Eine flache, breitflächige und oberflächennahe Bauweise soll ein sparsames Verhältnis zwischen Tunnelvolumen und Sickerfläche gewährleisten. Im Gegensatz zu herkömmlichen Füllkörperrigolen sind Hohlkörperrigolen statisch bestimmt, standsicher und bis zu einer Nutzlast von SLW 60 belastbar.


Einzelanlage staut bis zu 250 Kubikmeter Wasser

Das erforderliche Rückhaltevolumen von Sickertunneln wird durch ihre Bauweise kleiner als bei kubischen Formen. Mit dem Mall-Sickertunnel können laut Hersteller Volumen von sieben bis 250 Kubikmetern und Sickerflächen von 20 – 150 Quadratmetern hergestellt werden.


Hydrologie-Experte: Objektschutz und natürliche Lösungen besser als Sickertunnel

Experten sehen die Effizienz von Sickertunneln bislang unterschiedlich. So hält Markus Disse, Professor am Lehrstuhl für Hydrologie und Flussgebietsmanagement der Technischen Universität München, das Verfahren für immens aufwändig.

"Diese Bauform kommt mit Sicherheit nur dann zum Einsatz, wenn es oberirdisch keine Versickerungsflächen im näheren Umfeld gibt und gleichzeitig der Untergrund so dicht ist, dass Rigolen nicht angelegt werden können", so Disse. Baulicher (Objekt-)Schutz sowie natürliche Lösungen (nature based solutions) in der Stadt und im Umland sind für ihn Alternativen der Entwässerung.


Stadt Bochum schließt Sickertunnel-Verfahren in Zukunft nicht aus

Überzeugter gibt sich Marko Siekmann, Abteilungsleiter im Tiefbauamt der Stadt Bochum: "Der Sickertunnel ist eine Möglichkeit, Niederschlagswasser von Straßen vorzubehandeln und zu speichern, um bei zunehmender Versiegelung - verbunden mit sich häufenden Starkniederschlagsereignissen - negativen Folgen vorzubeugen."

Im Rahmen der Zukunftsinitiative "Wasser in der Stadt von Morgen" sucht Siekmann mit anderen seines Fachs seit Längerem nach Lösungen, um mehr Wasser aus der Mischwasserkanalisation heraus zu lenken und Flächen abzukoppeln (vgl. Interview unter Quellen und Verweise).

Die Stadt Bochum setze derzeit auf Rigolen bzw. Baumrigolensysteme entlang der Straßen. Ein Beispielprojekt befindet sich derzeit in der Umsetzung, wo neben einer Muldenkaskade auf der Oberfläche im Untergrund eine mit Kunststoffkörpern ausgebildete Rigole entstehen wird. "In zukünftigen Planungen könnte der Sickertunnel in der Variantenbetrachtung ergänzend berücksichtigt werden", so Siekmann.



QUELLEN UND VERWEISE:

Nachgefragt bei: Marko Siekmann (Abteilungsleiter Tiefbauamt Bochum)
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