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Sabine Hertel: "Respekt vor den Ansprüchen meiner Mitarbeiter hat höchste Priorität."

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 13. Okt. 2022
  • Schal- und Bewehrungsplanung für 440 Wohnungen mit zweigeschossiger Tiefgarage bisher größtes Projekt
  • Feelgood-Managerin trägt zu motivierendem Arbeitstag bei
  • Mangelhafte Kleinkindbetreuung und Überstunden-Besteuerung machen Mehrarbeit unattraktiv

Sabine Hertel

Sabine Hertel ist Inhaberin des Konstruktionsbüros cadbauteam in München. Das Unternehmen mit 17 Mitarbeitenden ist auf Schal- und Bewehrungsplanungen spezialisiert. Mit einem Kundenstamm von über 80 Ingenieurbüros werden pro Jahr circa 150 überregionale Projekte jeder Größenordnung realisiert.

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Sabine Hertel führt ein eigenes Konstruktionsbüro mit 17 Mitarbeitenden. Foto: Simone Neumann

Frau Hertel, was fordert Sie aktuell besonders in Ihrem Job?

Die Baubranche war schon immer Schwankungen unterlegen und ich habe 2002 sowie 2008 zwei üble Krisen durchlebt. Auch heute sind die Zeiten voller Überraschungen.

Trotz aller Widrigkeiten ist die Auftragslage sehr gut und die Anfragen sind enorm. Dennoch besteht Unsicherheit inwieweit es Sinn macht, neues Personal einzustellen. Aber letztendlich bringt uns Stillstand ja nicht weiter.

Getreu meiner Devise "Nicht zu viel nachdenken, sondern machen" laufen derzeit die Planungen für einen weiteren Standort. Also möchte ich uns personell noch mal vergrößern, ich baue eine Marketing-Abteilung auf und verstärke uns im kaufmännischen Bereich.

Digital waren wir schon immer up to date, so dass wir die Umstellung 2020 ins Homeoffice gut gemeistert haben. Derzeit wird ein Programm für uns entwickelt, um unsere Prozessabläufe noch einmal mehr zu optimieren.

In Sachen 3D und BIM wollen wir ebenso weiter am Ball bleiben. Deshalb plane ich für die Mitarbeiter diesbezüglich weitere Schulungen in den kommenden Monaten. Abgesehen von der Notwendigkeit halten uns diese Fortbildungen fit im Kopf.

Wie lange sind Sie schon in der Branche tätig und warum? Was war Ihr bisheriger beruflicher Höhepunkt?

Statt zur Architektur kam ich zum Ingenieurbau, der Bezug zur Baustelle, mit den Menschen, die das Umsetzen was wir digital planen, begeistert mich auch nach fast 30 Jahren noch.

Ich habe ein paar Jahre als freie Mitarbeiterin für verschiedene Ingenieurbüros gearbeitet. Als alleinerziehende Mutter war das gut mit meinen Kindern zu vereinbaren, doch schon immer wollte ich raus aus der Einzelkämpfer-Rolle und mit einem Team arbeiten.

2008 startete ich zunächst zur Untermiete bei einer Baufirma. 2013 konnte ich bereits mit drei Mitarbeitern in meine eigenen Räume in die Görresstraße ziehen. Heute habe ich 17 Mitarbeiter und wir bearbeiten überregional circa 150 Projekte im Jahr.

Der bisher größte Erfolg ist der diesjährige Großauftrag von 440 Wohnungen mit zweigeschossiger Tiefgarage. Außerdem bin ich sehr stolz auf unsere Auszeichnung "Bester Arbeitgeber 2022/2023" im Bereich Architektur/ Ingenieurbüros. Aber auch die Veröffentlichungen im "Deutschen Ingenieurblatt", eine Heldengeschichte bei "Planer am Bau", die Projektvorstellung in der Jahresausgabe von "isbcad Glaser" bestätigen unseren Erfolg.

Das treibt mich an und motiviert mich jeden Tag neu. Noch immer brenne ich für meine Arbeit.

Welche Wege geht Ihr Unternehmen in punkto Personalgewinnung?

Wir müssen uns auf die nachkommende Generation einstellen. Jede Generation hat ihre eigenen Ideale und Vorstellungen von einem zeitgemäßen Leben. Work-Life-Balance ist dabei ein großes Thema und wir versuchen diesem Anspruch als Team gerecht zu werden. Letztendlich geht es um Respekt vor den Ansprüchen jedes einzelnen. Diesen zu wahren ist mir höchste Priorität.

Unsere offen gestalteten Büroräume in einem charmanten Altbau in der Maxvorstadt, einem der seelenreichsten Viertel Münchens, aber auch regelmäßige Events, eine Feelgood-Managerin, die uns unter anderem an zwei Tagen frisches vegetarisches Mittagessen bereitet, sind Faktoren für einen angenehmen und motivierenden Arbeitstag.

Wir arbeiten regelmäßig mit drei bis vier Werkstudenten und bilden jedes Jahr einen Bauzeichner aus. Auch Girls- bzw. Boys-Days und Schülerpraktika sind uns wichtig. Die Baubranche sollte regelmäßig Praktika und Schülerwochen anbieten, damit die Jugendlichen einen Einblick bekommen, was sie bei uns bzw. in den jeweiligen Berufen erwartet.

Ich bin für den Einsatz junger "Botschafter" an Schulen, die mit Begeisterung von ihrer Arbeit berichten, was natürlich auch hervorragend digital funktionieren kann. Es gilt, die Idee oder Ahnung von einem Job mit Leben zu füllen und Leidenschaften zu wecken.

Bitte vervollständigen Sie den Satz: Um erfolgreich zu planen und zu bauen kommt es in Zukunft darauf an, dass...

...wir miteinander und nicht gegeneinander bauen. Dazu sollten im Vorfeld alle Beteiligten früh an einen gemeinsamen Tisch geholt werden.

Zudem müssen wir für BIM klare Regeln in der Zusammenarbeit bekommen. Dabei sollte der Austausch unterschiedlicher CAD-Programme reibungsloser laufen. Die ausführenden Firmen müssen viel früher in die Bauabläufe integriert werden. Das führt zu deutlich geringeren Änderungsaufwand.

Wir als cadbauteam müssen weiterhin mit hoher Disziplin unseren Alltag meistern und uns an die internen Büroabläufe mittels unseres Qualitätsmanagements halten. In unserem Büro ist dies ein wichtiger Halt für alle Mitarbeiter. Eine selbsterklärende Struktur unterstützt uns auch bei Großprojekten.

Ohne diesen Leitfaden, den wir vor Jahren mit dem QualitätsVerbund "Planer am Bau" eingeführt haben, wäre es heute unvorstellbar, diese Vielzahl an Bauvorhaben durchzuführen.

In welche Technik bzw. IT investiert Ihr Unternehmen?

Im kaufmännischen Bereich investiere ich gerade in eine neue Software, die komplett auf unsere Prozessabläufe im Büro zugeschnitten wird.

Im Konstruktiven Bereich sind wir mit drei verschiedenen CAD Programmen in aktueller Version immer auf dem neusten Stand und investieren regelmäßig in Weiterbildungen. Terminplanungen und To-Do Listen sind digital. Wir sind weitestgehend ein papierloses Büro.

Wir haben begonnen, kleine Lernvideos zu erstellen, damit Azubis und Werkstudenten einen umfassenden Einblick in unsere Abläufe und Programme erhalten. Das fordert nicht immer die Zeit eines Mitarbeiters und setzt den Neuling nicht unter Druck. Die Videos können mehrmals geschaut, und Fragen gezielt formuliert werden. Das funktioniert sehr gut und wir werden das weiter ausbauen.

Welchen Wunsch haben Sie an die Politik?

Eines der größten Probleme unseres Landes ist der Mangel an Fachkräften. Dieses Thema ist meiner Meinung nach hausgemacht. Frauen beispielsweise erfahren zu wenig Unterstützung in der externen Kinderbetreuung.

Überall fehlen Kita- bzw. Kiga-Plätze. Das habe auch ich bei einem meiner Mitarbeiter miterlebt, daraufhin gehandelt und einen betriebseigenen Kita-Platz gekauft. So weit so gut. Doch jetzt gilt es vier Wochen Schließzeit des Kindergartens zu überbrücken. Wie soll das gehen? Viele meiner Mitarbeiter haben keine Unterstützung seitens der Familie.

Kindergärten werden mittlerweile zwar gebaut, doch nun haben sie kein Personal mehr, das ganztägig eine Kinderbetreuung gewährleisten könnte. Was passiert dagegen? Diese Jobs müssen attraktiver werden und Löhne müssen stimmen.

Es hat sich diesbezüglich leider seit Jahren nichts verbessert. Ich war sehr früh mit meinen Kindern alleinerziehend. In den Ferien begann mein Tag um vier Uhr, weil keine Betreuung für die Kinder da war. Das ging mit meiner Arbeit, aber nicht jeder hat das Glück so flexibel arbeiten zu können. Bis heute ist das Dilemma unverändert.

Die Kita-Plätze sind letztlich zu teuer und die Steuern bzw. Abzüge zu hoch, sodass es sowohl für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wie auch für Arbeitgeber von kleineren Unternehmen unattraktiv ist, eine Teilzeitstelle zu besetzen.

Meiner Meinung nach brauchen wir auch dringend neue Arbeitsmodelle verbunden mit attraktiven Steuersenkungen. Wir könnten dem Fachkräftemangel vorbeugen, wenn die Überstunden anders besteuert würden. Hohe Abzüge verleiden es den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, mehr zu arbeiten (vgl. hierzu unten "Quellen und Verweise", Anm. d. Red.).

Wie sieht Ihre individuelle Weiterbildung aus?

Während ich früher im CAD-Bereich als Pilot-Büro viel getestet und Tutorials geschrieben habe, informiere ich mich jetzt mehr über zeitgemäße Arbeitsmodelle. Dazu zählen hybrides Arbeiten mit Homeoffice- bzw. In-Office-Zeiten oder New Work. Zudem bilde ich mich derzeit in strategischen Möglichkeiten weiter. Ich bin Mitglied im buildingsmart und besuche hier Fortbildungsveranstaltungen.

Ich möchte, dass unser Büro als Ort verstanden und gelebt wird, an dem sich Mitarbeitende gern aufhalten und austauschen. Ein Ort, um miteinander zusammen zu arbeiten, zu feiern oder auch mal wieder einen Spieleabend zu machen. Ein Wohlfühlort, an dem mehr stattfindet als nur Arbeit.

Wir verbringen so viel Zeit unseres Lebens mit Arbeiten, darum muss Arbeit lebens- und liebenswert sein. Nur über diese Motivation ist beste Leistung abrufbar.

Welchen Ausgleich haben Sie zum Beruf?

Ich starte morgens mit einer Hunde-Runde im Englischen Garten. Das ist ein guter Einstieg in den Tag. Ab und an ein Yoga-Retreat, eine Fahrt mit dem Cabrio oder dem Rennrad, das ist mein Ausgleich zum Alltag.

Sehr wertvoll sind mir die wenigen, aber intensiven Zeiten mit meinen beiden, mittlerweile erwachsenen Kindern, die immer mein Antrieb waren.

QUELLEN UND VERWEISE:

Umfrage: Sollte sich die Arbeitszeit im Planungs- und Bauwesen grundsätzlich ändern?
IG BAU: Arbeitszeit muss oben auf die Agenda
Forum: Arbeitszeiterfassung für Bauingenieure