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Sanieren in Serie: Wie die Energiewende im Wohnungsbestand gelingen soll

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 10. März 2023
Kategorie:

Großes Anwendungspotenzial: Rund 6.000 Bestandsgebäude in Thüringen womöglich seriell sanierbar 

In Thüringen gibt es noch rund 6.000 große Bestandswohngebäude aus der DDR-Zeit. Diese nach gleichem Muster in Serie gebauten Häuser sollen nun auch in Serie saniert werden. Im ostthüringischen Greiz wird dabei erstmals ein Verfahren angewandt, welches mit vorgefertigten Bauteilen für eine wesentlich kürzere Bauzeit sorgen soll. Das Thüringer Energieministerium fördert das Projekt mit 2,3 Millionen Euro (Gesamtinvestition: 3,5 Millionen Euro).

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In Greiz wird erstmals ein Typenhaus aus der DDR-Zeit mit vorgefertigten Bauteilen saniert. Foto: DWR eco GmbH

"Derzeit wird der Renovierungsmarkt in Europa auf ein jährliches Volumen von 770 Milliarden Euro geschätzt. 151 Milliarden Euro allein entfallen auf Deutschland", erklärt Emanuel Heisenberg, Gründer und Chef der ecoworks GmbH. Das junge Unternehmen hat sich auf die serielle energetische Sanierung von Bestandswohnungen spezialisiert. "Für die Umsetzung der nötigen Sanierungen braucht es digitale, serielle und bezahlbare Konzepte. Durch unsere weiteren Projekte, vor allem im Typenbau, können wir Leitdetails und damit eine Sanierungsplattform entwickeln, die Sanieren zu einem bezahlbaren Produkt macht," beschreibt Heisenberg sein Geschäftsmodell.

Digitale Gebäudevermessung ermöglicht Vorfertigung modularer Bauteile

Um Zeit und Kosten zu sparen, setzt ecoworks konsequent auf die Vorfertigung von modularen Bauteilen. Die erforderlichen Gebäudedaten liefert eine vorherige digitale Vermessung und Modellierung. Konkret plant, konstruiert und installiert das Unternehmen Fassaden- und Dachelemente nach holländischem Vorbild, um Mehrfamilienhäuser innerhalb weniger Wochen auf einen Netto-Null-Standard umzurüsten. Mit ähnlichen Ansätzen wie dem des Berliner Startups sollen in den nächsten Jahren hunderttausende Wohneinheiten in ganz Europa klimaneutral saniert und die "Renovation Wave" der EU umgesetzt werden.

In Greiz hat die Wohnungsgenossenschaft Textil den ersten Schritt in Richtung serielles Sanieren mit vorgefertigten Bauteilen gewagt und damit den Startschuss für die neuen Bundesländer gegeben. "Wir hoffen, dass Leuchtturmprojekte wie dieses dabei helfen können, den Standort Greiz noch attraktiver zu machen und weiter aufzuwerten. Mit der seriellen Sanierung ist dies zu wesentlich geringeren Kosten und in kürzerer Zeit möglich", sagt Kati Stein, geschäftsführende Vorständin WG Textil.

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Die vorgefertigten Bauteile werden ohne Gerüst, nur mit Kran und Hebebühne am Bestandsgebäude angebracht. Foto: Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz

Andreas Kuhlmann, Geschäftsführer der Deutschen Energie-Agentur GmbH (dena), begrüßt und unterstützt die Greizer Initiative: "Das Pilotprojekt zeigt, wie die Bestandssanierung klima- und sozialverträglich gelingen kann. Was die Wohnungsgenossenschaft Textil Greiz in der Schmidtstraße 12-14 umsetzt, kann zum Vorbild für tausende Wohnungen in Thüringen werden." Laut Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz lässt sich diese Art der seriellen Gebäudesanierung tatsächlich auf etwa 6.000 baugleiche Objekte in Thüringen übertragen.

Das vierstöckige Gebäude in Greiz – immerhin Baujahr 1969 – soll nach der Sanierung nicht nur weniger Energie verbrauchen sondern sogar einen Plus-Haus-Standard erreichen. Dafür werden unter anderem eine zentrale Luft-Wasserwärmepumpe für die Heizung und Trinkwassererwärmung, Sandwichpaneele mit Dämmkern sowie eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach (152 Module / 61 Kilowatt Spitzenleistung) installiert.

Bauzeit für Sanierung um die Hälfte reduziert

Bei der neuartigen Sanierungsvariante für Bestandswohngebäude werden bis zu 80 Prozent der Bauleistungen in die Fabrik verlagert. "Eine konventionelle Sanierung durch Handwerker vor Ort dauert in der Regel 18 bis 24 Monate. Allein die Arbeiten auf der Baustelle benötigen sechs bis zwölf Monate, zum Teil auch länger. In unserem Fall wird das gesamte Projekt in neun bis zwölf Monaten und die Arbeit auf der Baustelle in zwölf bis 15 Wochen erledigt", gibt Emanuel Heisenberg dem Mitteldeutschen Rundfunk (mdr) Auskunft.

Wirtschaftlich rentabel ist das Verfahren erst, wenn es großflächig eingesetzt wird. Zunächst braucht es auch in Greiz eine ordentliche staatliche Förderung. Thüringens Energieminister Bernhard Stengele (Bündnis 90/Die Grünen) hofft aber darauf, dass eine strukturelle Förderung nicht mehr nötig sein wird, wenn das serielle Sanieren bundesweit ins Rollen gebracht ist.

Dafür, dass es dazu kommt, sprechen die Zahlen. Bundesweit kommen für eine digitale Vermessung mit anschließender Vorfertigung der Bauteile 2,3 Millionen Bestandsgebäude infrage, sagt Christian Richter von der staatseigenen Deutschen Energieagentur dem mdr: "Das sind diese typischen 1950er und -60er-Jahre-Bauten, die quadratisch, praktisch, gut waren, mit drei bis zwölf Wohneinheiten. Diese typischen Wohngebäude findet man in Ostdeutschland unter dem Typ Haus Magdeburg relativ häufig." In den alten Bundesländern bietet das Ruhrgebiet mit vielen ähnlichen Gebäuden ein mögliches Betätigungsfeld.