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Schattenpreis und Recyclingnorm: Neue Impulse für das nachhaltige Bauen

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 13. Okt. 2023

Öffentliche Hand und Bauwirtschaft um Nachhaltigkeit bemüht

Das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) schreibt vor, dass die öffentliche Hand bei ihren Beschaffungen neben der Wirtschaftlichkeit auch den Klimaschutz beachten muss. Auch die deutsche Bauwirtschaft, darunter die Betonindustrie, hat sich zu mehr Nachhaltigkeit im Interesse der Umwelt und des Klimas bekannt und verpflichtet.

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Ein Schattenpreis für CO2-Emissionen und eine neue DIN-Norm für die Wiederverwendung von Baustoffen sollen für mehr Nachhaltigkeit beim Bauen sorgen. Grafik: Kurt Michel / Bernd Wachtmeister / Pixelio / bauingenieur24

Die Bauindustrie, vertreten durch ihren Berliner Hauptverband (HDB), möchte den öffentlichen Auftraggebern und ihren Auftragnehmern nun aktiv dabei helfen, CO2 einzusparen und dabei die gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen. Dazu sei es laut HDB-Vizepräsident Tim Lorenz wichtig, dass bei öffentlichen Ausschreibungen in Zukunft nicht nur die Bauleistung selbst, sondern auch die durch den Bau beeinflussbaren CO2-Emissionen in die Angebotsbewertung mit einfließen.

"Der wirtschaftlichste Bieter darf nicht länger der billigste sein. Er muss ein nachhaltiger Bieter sein", so Lorenz. Das sporne nicht nur die Innovationskraft der Unternehmen an, sondern vermeide auch ruinöse Unterbietungswettbewerbe, die heute jeglichen Innovationen im Weg stünden. Voraussetzung dafür sind für die Bauindustrie nachvollziehbare, standardisierte und unbürokratische Nachweise und Abrechnungsverfahren.

Vor diesem Hintergrund hat der HDB ein Gutachten in Auftrag gegeben, dessen Ziel es war, aufzuzeigen, welche Handlungsmöglichkeiten und Beispiele für eine klimaverträgliche öffentliche Beschaffung bereits bestehen und welche Unbekannten einer weiteren Analyse bedürfen. Inhaltliche Beachtung fanden dabei unter anderem Verfahren der Ökobilanzierung oder die Frage der Klimafolgekosten.

Bauindustrie regt Schattenpreis für Klimafolgekosten an

Das Ergebnis wurde nun in Form eines 113 Seiten umfassenden Impulspapiers vorgelegt, welches einen ersten vergabe- und haushaltsrechtlich zulässigen Ansatz für den deutschen Markt darstellen soll. Darin wird ein sogenannter Schattenpreis für CO2-Emissionen vorgeschlagen, der bereits im europäischen Ausland, wie zum Beispiel in den Niederlanden oder in Norwegen, angewandt wird.

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Die deutsche Bauindustrie wirbt für einen sogenannten
Schattenpreis der Klimafolgekosten im Rahmen
öffentlicher Ausschreibung und Vergabe. Bild: HDB

In dem Impulspapier wird ein "einfaches" Modell für ein künftiges nachhaltigeres Vergabeverfahren der öffentlichen Hand wie folgt beschrieben:

  • Die Bieter erhalten die Möglichkeit, das in der Ökobilanz des Auftraggebers ausgewiesene, auf Standarddaten basierende Treibhauspotenzial zu optimieren. Dafür beziffern sie für die von ihnen verantworteten Leistungen das Treibhauspotenzial nach marktüblichen, vom Auftraggeber einheitlich vorgegebenen Standards. Die zu nutzenden Daten müssen einfach verfügbar sein. Für viele Bauprodukte ist schon heute der Rückgriff auf Umweltproduktdeklarationen (EPD) der Hersteller möglich. Ab 2027 sollen Hersteller verpflichtet sein, das Treibhauspotenzial ihrer Bauprodukte auszuweisen.
  • Dieses Treibhauspotenzial wird rechnerisch mit einem vom Auftraggeber vorgegebenen Schattenpreis je Tonne CO 2e multipliziert und so wirtschaftlich bewertet (monetarisiert). Je höher der Schattenpreis je Tonne CO2e ist, desto deutlicher wird das rechnerische Ergebnis und umso wirkungsvoller ist der Schattenpreis bei der Suche nach klimaverträglichen Lösungen. Das Umweltbundesamt empfiehlt derzeit einen Kostensatz von EUR 237 je Tonne CO2e.
  • Dieser Schattenpreis wird nur für die Zwecke der Angebotswertung auf den Angebotspreis aufgeschlagen. Die Summe bildet den Wertungspreis. Der niedrigste Wertungspreis erhält den Zuschlag.

Mit dem Impulspapier möchte der Hauptverband seinen eigenen Mitgliedern proaktiv dabei helfen, mehr klimaverträgliche Baustoffe und Bauverfahren anbieten zu dürfen und damit einen fairen Wettbewerb für klimafreundliche Bauleistungen voranbringen. Ein hierfür weiterer nützlicher Leitfaden soll die im September vorgelegte DIN SPEC 91484 sein.

DIN SPEC 91484: Einheitlicher Standard zur Wiederverwendung von Baustoffen

Die neue Norm stellt laut ihrer Verfasser, darunter 30 Hochschulen, Verbände und Unternehmen, den (ersten) einheitlichen Standard zur Prüfung und Wiederverwendung von hochwertigem Baumaterial in Gebäuden dar. Es könne damit in Zukunft jedes Gebäude auf Wiederverwendung geprüft werden. Dadurch würden große Menge an potenziellen Materialien für eine Wiedernutzung auf dem Markt verfügbar.

Konkret dient die DIN SPEC 91484 als Leitfaden für Untersuchungen vor einem geplanten Gebäudeabriss (Pre-Demolition-Audits), die Vor- und Detailprüfungen zur Wiederverwendung von Bauteilen umfassen. Das Dokument definiert, welche Informationen erfasst werden müssen und welche Akteure dieses Verfahren durchführen, darunter Planende, Bauprüfämter und der Denkmalschutz.

Die neue Norm kommt nicht zu früh. In Berlin beispielsweise müssen bereits heute bei allen öffentlichen Rückbauvorhaben die Materialien auf Wiederverwendung geprüft werden. Die DIN SPEC 91484 standardisiert diesen Prozess und macht es daher möglich, die Verwaltungsvorschrift einzuhalten.