Sebastian Niebauer (Kayser+Böttges Barthel+Maus): Der Gebäudetyp E kann zum Denkmalschutz beitragen
Sebastian Niebauer (M.Sc.) ist Projektleiter der Kayser+Böttges Barthel+Maus Ingenieure und Architekten GmbH in München. Das Unternehmen beschäftigt aktuell rund 40 festangestellte Mitarbeitende und ist auf das Bauen im Bestand spezialisiert. Neben der Tragwerks- und Objektplanung werden statisch-konstruktive Gutachten erstellt und Beiträge zur historischen Bauforschung geleistet.
Niebauer hat zwischen Herbst 2023 und Sommer 2024 am Traineeprogramm für junge Ingenieure der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau teilgenommen. Das Programm soll in Seminaren und Workshops einen Einblick in alle Phasen des Bauwesens geben.
Herr Niebauer, was fordert Sie aktuell beruflich besonders?
Seit dem letzten Herbst verfüge ich über die Nachweisberechtigung für Standsicherheit. Seither bin ich in immer mehr Projekten als eigenverantwortlicher Projektleiter tätig. Aktuell beschäftigen mich einige besondere Bauwerke, darunter die sogenannte Schokofabrik in Bayreuth.
Einst als "Zuckerwaren und Colonialwaren-Großhandlung" errichtet, dient das 1909 erbaute Backsteingebäude heute teilweise als Jugendzentrum. Um es wieder in Gänze nutzbar zu machen, untersuchen wir unter anderem die acht Zentimeter starken Decken aus Eisenbeton auf Schäden und planen die entsprechende Sanierung.
Ein weiteres Projekt befindet sich unweit unseres zweiten Unternehmenssitzes in Mainz. Es handelt sich um die Zitadelle auf dem Jakobsberg, einer barocken Festungsanlage. Entscheidend ist hier das Zusammenspiel von Denkmalschutz und Naturschutz. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit meiner Mainzer Kollegen in der Objektplanung und unterstütze sie in diesem Fall als Tragwerksplaner.
Nach vier Jahren im Beruf bin ich gefühlt schon sehr weit gekommen. Die Projektverantwortung verdanke ich auch dem Vertrauen unserer Geschäftsführung in meine Fähigkeiten. Das stellt mich zwar häufig noch vor Herausforderungen und Fragen hinsichtlich Bauweisen und Baustoffen. Diese nehme ich aber gerne an, nicht zuletzt deshalb, weil ich mich jederzeit an meinen Teamleiter wenden oder andere Kollegen mit speziellen Fachkenntnissen zu Rate ziehen kann.
Warum haben Sie sich für das Bauingenieurwesen entschieden?
Bereits während der Schulzeit habe ich in einer Baufirma samt Zimmerei gearbeitet. Hinzu kam die Affinität für Mathe und Physik, da fiel die Studienwahl schnell auf das Bauingenieurwesen. Gegen das reine Physikstudium sprach mein Wunsch, nicht nur wissenschaftlich-theoretisch tätig zu sein, sondern etwas zu schaffen, das man später auch sehen kann.
Das Bauen im Bestand bzw. die Beschäftigung und Planung im Bereich Bauwerkserhalt ergibt für mich allein schon aus Nachhaltigkeitsgründen großen Sinn. Erste Verbindungen zum Büro Kayser+Böttges Barthel+Maus ergaben sich bereits während meines Studiums an der Technischen Universität München, wo zwei unserer Gesellschafter Lehraufträge hatten und haben.
Wie verlief Ihre bisherige Karriere? Wie haben Sie und Ihr aktueller Arbeitgeber zusammengefunden?
Mein Berufseinstieg fiel 2020 genau mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammen. Ich war unsicher, ob ein Unternehmen in dieser schwierigen Situation mutig genug ist, neue Mitarbeitende einzustellen. Das Interesse der Firmen war tatsächlich sehr groß, was mich natürlich gefreut, aber ehrlicherweise überrascht hat.
Für meinen jetzigen Arbeitgeber sprach die Tatsache, dass das Bewerbungsgespräch keine bessere Werbeveranstaltung für das Büro war, wie ich es bei anderen erlebt habe, die offensichtlich einfach dringend Leute brauchten. Hier merkte ich hingegen früh, dass man mir auf den Zahn fühlt, es also Bedarf an meinen Fähigkeiten gab und für mich sehr bald viele spannende Projekte denkbar waren.
Hinzu kam die Nähe zu meiner Wohnung, ein ansprechendes Gehalt und auch das Ambiente in der Münchner Innenstadt, mit lichtem Büro und kurzen Wegen. Ein großer Pluspunkt ist für mich die räumliche und zeitliche Flexibilität beim Arbeiten. Auch als ich mich vor anderthalb Jahren dazu entschloss, papierlos arbeiten zu wollen, wurde mir das direkt ermöglicht und die nötige Ausrüstung gestellt.
Dies empfinde ich nicht nur als angenehmen Vertrauensbeweis, sondern auch als absolut zeitgemäß. Meine Freundin ist ebenfalls Bauingenieurin, wir arbeiten beide sehr gern, folglich wird nicht nur einer von uns künftig darauf verzichten. Wir halten nicht viel von der alten Rollenverteilung, bei welcher der Mann in Vollzeit arbeitet, während die Frau daheimbleibt.
Die Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten, nutzen sehr viele Mitarbeitende in unserem Haus. Auch hat das Homeoffice es einigen ermöglicht, wieder aus München zurück in die ländliche Heimat zu ziehen, wodurch Familie und Beruf noch besser harmonieren.
Was hat Ihnen das berufsbegleitende Traineeprogramm der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau gebracht und was nicht?
Das Traineeprogramm der Ingenieurkammer war tatsächlich die Idee meines Chefs. Die Firma hat dann auch die Kosten übernommen, damit ich durch die Maßnahme über den Tellerrand meines Arbeitsbereichs schauen kann. Am meisten habe ich dabei von der Vertiefung meiner Baurechtskenntnisse profitiert. Während im Berufsalltag einfach die Zeit fehlt, vertragliche Dinge als Jungingenieur zu verstehen bzw. erklärt zu bekommen, war dies in den Diskussionsrunden und Workshops gut möglich.
Der Einblick in andere Bereiche und Gewerke des Planungs- und Bauwesens hat mir geholfen, die Interessen der anderen Baubeteiligten, wie beispielsweise der TGA-Planung, besser zu verstehen. Natürlich konnten diese Einblicke aufgrund der Kürze des Programms nur oberflächlich erfolgen, was sie nicht weniger hilfreich macht.
Für mich war das Traineeprogramm ein wertvolles kleines Zusatzstudium. Ich empfehle die Teilnahme, nachdem man bereits ein paar Jahre gearbeitet und daher zum Beispiel schon einmal einen Bau- oder Werkvertrag in der Hand gehabt hat. Dadurch kann man gezielter Fragen stellen und erhält Antworten, die einen im Berufsalltag wirklich weiterbringen. Ich persönlich lerne am liebsten und einfachsten Neues, wenn ich den Nutzen für meine Arbeit darin erkenne. Das war in den Seminaren häufig der Fall.
Speziell in meinem Jahrgang haben wir viel über den Hochbau gesprochen, was für mich gepasst hat. Teilnehmende mit dem Schwerpunkten Tiefbau oder Geotechnik könnten hier weniger an den einzelnen Tagen mitgenommen haben. Ich weiß aber, dass das Programm laufend angepasst wird und sich in den letzten zehn Jahren inhaltlich immer weiterentwickelt hat. Die Ingenieurkammer ist immer offen und dankbar für Feedback und Anregungen.
Bitte vervollständigen Sie den Satz: "Um als Bauingenieur erfolgreich zu sein, kommt es heute und in Zukunft darauf an, dass..."
…man stets bereit ist, dazuzulernen und man sich immer wieder neu für die anspruchsvollen und komplexen Fragestellungen der Planung und des Bauens begeistern kann. Wenn man hingegen nur Probleme statt Lösungen sieht, scheitert man unweigerlich an Überforderung.
Welche Rolle spielen digitale Prozesse für Sie im Beruf? Wie gut sind Sie auf das digitale Arbeiten vorbereitet?
Persönlich könnte ich sicher noch den ein oder anderen CAD-Kurs gebrauchen. Ein wirkliches Defizit sehe ich hier aber nicht, da ich die Programme zu selten selbst nutze. Als Büro sind wir insgesamt sehr gut aufgestellt. Solange ich hier bin, greifen wir in der Planung auf verformungsgetreue Aufmaße zurück, die mittels 3D-Laserscannern erstellt wurden.
Hinzu kommen Orthofoto*-Pläne mit genauesten Angaben eines Bestandsobjekts. Auch die Vermessung und Datenerfassung mit Kamera-Drohnen ist eine große Erleichterung in unserer Arbeit. Ein Kollege mit großer IT-Affinität hat uns zuletzt in Sachen KI geschult. Jetzt weiß ich zum Beispiel, wie ich mit KI eine Zusammenfassung relevanter Gutachten erhalte, was mich dann schneller und besser vorbereitet in ein Projekt starten lässt.
Beim Thema BIM und dem damit verbundenen digitalen Objektzwillings bin ich etwas zurückhaltend. Jeder versteht darunter etwas anderes. Im Bestandsbau und mehr noch in der Instandsetzung von Denkmälern sehe ich noch keinen wirklichen Mehrwert bzw. Anknüpfungspunkt.
Häufig agieren wir punktuell, da beispielsweise nur Sicherungen für schadhafte Bauteile geplant werden. Logischerweise beschränken sich die Untersuchungen dann auch nur auf die betroffenen Bereiche eines Gebäudes. Die Daten, die wir in solchen Projekten erfassen, ergeben noch lange kein BIM-Modell, welches sich ja unter anderem durch eine ganzheitliche Gesamtdarstellung eines Bauwerks auszeichnet.
*(Orthofoto = verzerrungsfreie, maßstabsgetreue Abbildung der Erdoberfläche / eines Bauwerks bzw. Bauwerkteils; Anm. d. Red.)
Welchen Wunsch haben Sie an die Politik?
Denkmalschutz kann sich nur die Gesellschaft leisten, in welcher stabile und sichere Verhältnisse herrschen. Derzeit leben wir in diesen Verhältnissen, deshalb sehe ich erstmal keine großen Probleme für unsere Nische und bin positiv eingestellt. Ich wünsche mir natürlich, auch und vor allem von der Politik, dass diese Sicherheit bestehen bleibt.
Konkret befürworte ich die aktuelle, inzwischen auch politische Initiative um den Gebäudetyp E. Das ist eine gute Idee, die helfen kann, damit wieder mehr gebaut wird. Im Bestandsbau treffen wir zwar auf Bauweisen, die oft keiner Norm entsprechen. Hier sind stets Einzellösungen gefragt, die mitunter aufwendig sind und auch nicht beliebig vereinfacht werden können, vor allem, wenn es um das Tragwerk und die Standsicherheit geht. Im Bereich der technischen Gebäudeausrüstung bzw. der Haustechnik sehe ich jedoch durchaus Vereinfachungspotenzial auch für denkmalgeschützte Gebäude.
Wenn nämlich beispielsweise durch die Übernahme der Regelungen eines künftigen Gebäudetyp-E-Gesetzes ein Lüftungskanal im Querschnitt verringert werden kann, weil die etwas größere Schallemission in Kauf genommen wird, könnte an mancher Stelle wertvolle alte Bausubstanz geschont und erhalten werden. Mehr Freiraum für die Planungsbeteiligten dank des Gebäudetyps E könnte also einen besseren Schutz von Baudenkmälern bedeuten.
Wie sieht Ihre individuelle Weiterbildung aus?
Wie bereits angedeutet, trifft man mit jedem Projekt auf neue Baustoffe und Bauweisen aus den unterschiedlichsten Bauzeiten. Daher recherchiere ich ohnehin viel zu diesen Themen und lerne ständig Neues. Dabei hilft mir unsere inzwischen vollständig digitalisierte Firmenbibliothek mit Standardwerken wie z.B. dem Buch "Typische Baukonstruktionen von 1860 bis 1960" sehr.
Wofür begeistern Sie sich nach Feierabend?
Da ich vom Land komme, zieht es mich in meiner Freizeit häufig raus in die Natur. Mit meiner Freundin gärtnere ich gerne im Hochbeet auf dem Balkon, außerdem musizieren wir gemeinsam. Mein Instrument ist das Fagott, sie spielt Klavier.