Selbstvornahme der Mängelbeseitigung bedarf ordentlicher Frist
Fall in Köln: Auftraggeber entdeckt Mängel an Weltkulturerbe
Ein Bauunternehmen hatte den Auftrag bekommen, eine Terrasse zu sanieren. Dabei handelte es sich nicht etwa um irgendeine Terrasse, sondern die Terrassenanlage eines denkmalgeschützten Schlosses, welches auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes steht.
Der Auftraggeber kündigte dem Bauunternehmen, weil er Mängel an dessen Leistung ausgemacht hatte, und klagte dagegen. Er wollte die Mehrkosten für eine Ersatz- bzw. Selbstvornahme in Höhe von knapp 90.000 Euro vom ursprünglichen Auftragnehmer ersetzt haben.
Im Laufe des Gerichtsprozesses stellte ein Privatgutachter fest, dass seiner Ansicht nach die Mängelbeseitigungskosten knapp 700.000 Euro betragen würden. Entsprechend erweiterte der Auftraggeber seine Klage und ließ unterdessen die Mängelbeseitigung im Wege der Selbstvornahme durch ein neues Bauunternehmen ausführen. Der ursprüngliche Auftragnehmer beschwerte sich seinerseits darüber, dass der Auftraggeber ihm vorher keine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hatte.
Das Landgericht Köln gestand dem Schlossherrn in erster Instanz nur die Fertigstellungsmehrkosten zu. Die Mängelbeseitigungskosten wurden indes abgewiesen. Der Auftraggeber wollte das so nicht stehen lassen und ging in die Berufung. Daraufhin entschied das Oberlandesgericht Köln Folgendes (Beschluss vom 03.02.2021 – 16 U 90/20; BGH, Beschluss vom 26.04.2023 – VII ZR 226/21, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen):
- Dem Auftraggeber steht trotz vorhandener Mängel grundsätzlich kein Schadensersatz- bzw. kein Selbstvornahmeanspruch zu, wenn er dem Auftragnehmer keine Frist zur Mängelbeseitigung gesetzt hat und die Fristsetzung nicht ausnahmsweise entbehrlich (siehe Punkt 2) war.
- Eine Fristsetzung kann in Ausnahmefällen aufgrund ernsthafter und endgültiger Erfüllungsverweigerung seitens des Auftragnehmers, eines begründeten Vertrauensverlusts des Auftraggebers in die Zuverlässigkeit und Kompetenz des Auftragnehmers oder sonstiger besonderer Umstände entbehrlich sein.
- Alle Entbehrlichkeitsgründe haben gemein, dass unter Abwägung der beidseitigen Interessen und aller sonstigen Umstände des Einzelfalls die sofortige Geltendmachung des Schadensersatz- bzw. Selbstvornahmeanspruchs berechtigt ist.
Streit über Entbehrlichkeit der Frist endet zugunsten des Bauunternehmens
In dem Verfahren haben die Parteien aus rechtlicher Sicht insbesondere darüber diskutiert, inwieweit eine Fristsetzung zur Mängelbeseitigung durch den Auftraggeber ausnahmsweise „entbehrlich“ war. Die Diskussion bewegte sich rechtlich zentral im Bereich des § 242 BGB, welcher das Thema „Treu und Glauben“ regelt.
Unter Juristen weiß man: Wenn einmal § 242 BGB aufschlägt, heißt das regelmäßig, dass man sich im Bereich „Notnagel“ bewegt und keine besseren, überzeugenderen und tragfähigeren Rechtsgrundlagen mehr findet. Diskussionen über „Treu und Glauben“ sind regelmäßig für alle Beteiligten gefährlich, da der Ausgang meist mit dem legendären „50:50-Joker“ belegt werden kann, wie man ihn von einer bekannten Quizsendung im Fernsehen kennt.
Im vorliegenden Fall schlug das Pendel zu Lasten des Auftraggebers aus. Das Gericht hielt eine Fristsetzung für die Mängelbeseitigung im konkreten Einzelfall eben nicht für entbehrlich. Entsprechend blieb der Auftraggeber auf den nicht unerheblichen Mängelbeseitigungskosten sitzen. Und das nur deshalb, weil er eine einzige Frist nicht gesetzt hatte.
Auftraggebern ist insoweit zu empfehlen, auch bei Fällen, in denen der Bauvertrag gekündigt wurde, sicherheitshalber entsprechende Fristen zu setzen. Korrespondierend dazu sollten sich Baufirmen diesen Aspekt gut merken. Werden sie einmal auf Selbstvornahmekosten in Anspruch genommen, ergibt sich hieraus möglicherweise die Chance für eine erfolgreiche Gegenwehr.
Voraussetzungen für Selbstvornahme von Bauphase abhängig
Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Voraussetzungen für eine Selbstvornahme im Zuge der Mängelbeseitigung je nach Stadium einer Baumaßnahme unterschiedlich sind. Befindet sich das Bauprojekt noch in der Ausführungsphase (vor der Abnahme), handelt es sich, genau genommen, nicht um eine Selbstvornahme, sondern um eine Entziehung des Auftrags oder von Teilen des Auftrags. In diesem Fall muss der Auftraggeber akribisch auf die Formalia achten und insbesondere eine Nachfrist mit Androhung des Auftragsentzugs setzen.
Wurde die Baumaßnahme bereits abgenommen, wird es für den Auftraggeber einfacher und für die Baufirma entsprechend gefährlicher. Dann nämlich bedarf es nur einer einzigen Aufforderung zur Mängelbeseitigung, allerdings, wie oben beschrieben, mit Setzung einer angemessenen Frist durch den Auftraggeber.
Lässt das Bauunternehmen diese Frist verstreichen bzw. wird die Mängelbeseitigung nicht innerhalb dieser Frist abgeschlossen, kann der Auftraggeber sofort per Selbstvornahme die Mängel auf Kosten des ursprünglichen Bauunternehmens beseitigen lassen.
Vorschuss für Mängelbeseitigung durch Selbstvornahme zulässig
Hierfür kann der Auftraggeber sogar bereits einen Vorschuss für die voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten verlangen und notfalls einklagen. Das Kammergericht (KG) Berlin hat zu genau solch einem Fall geurteilt (Urteil vom 06.10.2022 - 27 U 1087/20; BGH, Beschluss vom 27.09.2023 - VII ZR 201/22, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen):
- Dem Auftraggeber sind nach § 13 Nr. 5 VOB/B die für die Mängelbeseitigung erforderlichen Kosten zu erstatten.
- Für die Bewertung der Erforderlichkeit ist auf den Aufwand und die damit verbundenen Kosten abzustellen, die der Auftraggeber im Zeitpunkt der Mängelbeseitigung als vernünftiger, wirtschaftlich denkender Auftraggeber aufgrund sachkundiger Beratung oder Feststellung aufwenden konnte und musste, wobei es sich um eine vertretbare Maßnahme der Schadensbeseitigung handeln muss.
- Ob die von einem Drittunternehmer verlangten Preise als erforderliche Aufwendungen erstattungsfähig sind, hängt vom Einzelfall ab.
- Der Auftraggeber darf nicht beliebig Kosten produzieren. Die Kosten sind überhöht, wenn eine preiswertere Sanierung, die den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführt, erkennbar möglich und zumutbar war.
- Der Auftraggeber, der sich sachverständig hat beraten lassen, kann Ersatz seiner Aufwendungen auch dann verlangen, wenn sich später herausstellen sollte, dass die von ihm durchgeführte Sanierung zu aufwändig war und eine preiswertere Möglichkeit bestand.
- Das mit der sachkundig begleiteten Beurteilung einhergehende Risiko einer Fehleinschätzung trägt der Auftragnehmer. Dieser hat die Kosten selbst dann zu erstatten, wenn sich die zur Mängelbeseitigung ergriffenen Maßnahmen im Nachhinein als nicht erforderlich erweisen.
Kammergericht: Berechtigung zur Selbstvornahme kein Freibrief für Auftraggeber
Das Kammergericht hat sich in seiner Entscheidung hier nur im ersten Schritt auf die Seite des Bauunternehmens geschlagen. Es hat den Auftraggeber daran erinnert, dass eine Berechtigung zur Selbstvornahme kein Freibrief ist.
Wenn ein Auftraggeber für eine Selbstvornahme einen Vorschuss geltend macht und einklagt, kann das freilich immer nur eine Prognose sein. Wieviel die Selbstvornahme hinterher tatsächlich kostet, kann der Auftraggeber in diesem Zeitpunkt nicht wissen.
Laut Kammergericht reicht es in einem solchen Fall allerdings, wenn der Auftraggeber sich „sachverständig“ beraten lässt und diesen Betrag dann geltend macht. Das Risiko, dass sich der Gutachter verschätzt hat, verlegt das KG klar auf die Seite des Bauunternehmens, das den Mangel produziert hat.
Allerdings muss man auch feststellen: Sollte der Vorschuss wirklich zu hoch gewesen sein, trifft das den Bauunternehmer, der die Mängel gebaut hat, nur vorübergehend. Hat der Auftraggeber irgendwann seine Selbstvornahme abgeschlossen, muss er konkret Rechnung legen und nachweisen, welche Kosten ihm dafür entstanden sind. War die Selbstvornahme günstiger als der ursprüngliche Vorschuss, bekommt die Baufirma zu viel bezahlte Vorschüsse selbstverständlich wieder zurück.
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