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Sicherheit ist attraktiv – Wie der Arbeitsschutz für Unternehmen zum Wettbewerbsvorteil wird

Verfasst von: Torsten Grüner
Veröffentlicht am: 2. Mai 2024

Ein guter Arbeitgeber erfüllt die Fürsorgepflicht gegenüber seinen Angestellten und achtet stets auf die Einhaltung aller relevanten Gesetze in Bezug auf den Arbeitsschutz. So weit, so theoretisch. Doch in der Praxis sind die geltenden Regeln für den Arbeitsschutz kaum zu überblicken: Da stehen bundesweit geltende neben landesspezifischen Regularien, es gibt das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG), das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG), die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und noch einige mehr. Gleichzeitig müssen Vorgaben der Unfallversicherungsträger bzw. Berufsgenossenschaften beachtet werden.

Bauhelm
Bild 1: Zur Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers gehört auch das Thema Arbeitsschutz. Foto: Umit-yildirim-unsplash.com

Kein Wunder also, dass der Arbeitsschutz im Alltag nicht selten als Hindernis und weniger als Chance, unter anderem zu mehr Produktivität, gesehen wird. Dieser Beitrag will Mut machen, das Thema Arbeitsschutz trotz bzw. gerade wegen seiner Komplexität proaktiv anzugehen. Im Wettbewerb um Fachkräfte und Kunden können Bauunternehmen und Planungsbüros dadurch positiv auffallen und ihr Profil als verantwortungsbewusste Unternehmen schärfen.

Guter Arbeitsschutz: Ein (neues) Pfund in jeder Stellenausschreibung

Viele Arbeitgeber setzen auf Zertifizierungen, bspw. als familienfreundliches Unternehmen, um sich im allgemeinen Wettbewerb abzuheben. Kommuniziert wird dies unter anderem in Stellenanzeigen oder in Presse- und Social-Media-Beiträgen. Daneben stehen häufig weitere Benefits, wie zum Beispiel ein hoher Digitalisierungsgrad oder flexible Arbeitszeiten.

Was in solchen Aufzählungen zuverlässig fehlt, ist das Thema Sicherheit, immerhin eines der stärksten menschlichen Grundbedürfnisse. Jährlich kommt es laut IG BAU zu Zehntausenden Unfällen und Dutzenden Todesfällen auf deutschen Baustellen. Angesichts dieser Tatsache wären Bewerbungen bei potenziellen Fachkräften unter dem Motto: "Kommen Sie zu uns, hier sind Sie sicher!" durchaus denkbar und zielführend.

Konkret könnte in Stellenausschreibungen mit Inhouse-Ersthelfenden oder regelmäßigen Brandschutz- und Evakuierungsschulungen geworben werden. Zusatzfunktionen und die Pflichtenübertragung von arbeitssicherheitstechnischen Themen auf Mitarbeitende könnten verantwortungsbewusste Bewerberinnen und Bewerber motivieren, vom ersten Tag an Verantwortung für das neue Team zu übernehmen und im Bedarfsfall Leben zu retten.

Hat ein Bewerber die hierfür notwendigen Fortbildungen noch nicht absolviert, kann er oder sie im Rahmen der Mitgliedschaft des Unternehmens bei der zuständigen Berufsgenossenschaft kostenfrei ausgebildet werden. In vielen Branchen ist es zeitgemäß, zu Beginn einer Anstellung branchenspezifische Schulungen, bspw. in der Anwendung arbeitsrelevanter Software, durchzuführen. Was spricht dagegen, zu diesem Zeitpunkt auch gleich arbeitsschutzrelevante Schulungen einzubauen?

Das Werben mit dem Thema Arbeitsschutz kann also sehr facettenreich gestaltet werden und sollte in der Ansprache potenzieller neuer Fachkräfte sinnvoll genutzt werden. Damit Unternehmen diesen Mehrwert für Bewerbende anbieten können, müssen sie wissen, wovon sie sprechen.

Viele Akteure, ein Ziel - Die Rollenverteilung im Arbeitsschutz

Da wäre zunächst die Betrachtung der einzelnen Akteure und die Rollenverteilung im Unternehmen. Hierzu zählen u. a. die Fachkraft für Arbeitssicherheit, die Sicherheitsbeauftragten sowie ggf. der Betriebsarzt. Arbeitgeber sollten für ihr operatives Personal vorwirken, indem sämtliche Arbeitsschutzmaßnahmen in enger Absprache mit diesen Akteuren getroffen werden und alle Beteiligten transparent zusammenarbeiten.

Den genannten Fachexpertinnen sollte vonseiten der Belegschaft immer das entsprechende Vertrauen zukommen. Am Ende müssen nämlich beide Seiten, also Arbeitsschützer und Angestellte, gemeinsam den Arbeitsschutz mit Leben füllen. Die benannten Arbeitsschützer identifizieren potenzielle Gefahren, führen Gefährdungsbeurteilungen durch und empfehlen präventive Maßnahmen.

Die operativen Fachkräfte sind für die praktische Umsetzung dieser Maßnahmen verantwortlich. Tatsächlich ist jeder Arbeitnehmer gesetzlich verpflichtet, die geltenden Sicherheitsvorschriften einzuhalten und aktiv an der Umsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen mitzuwirken.

Die Rollenaufteilung darf auch fließend sein, sodass Mitarbeitende in den Prozess des Arbeitsschutzes einbezogen werden, indem sie Feedback geben und Vorschläge unterbreiten. Im Zweifel sollten auch Bedenken hinsichtlich der Sicherheit am Arbeitsplatz geäußert werden dürfen.

Verantwortlichkeiten, Transparenz, Zeit - Die Umsetzung des Arbeitsschutzes

Nachdem die Rollen für den Arbeitsschutz klar sind, richtet sich der Fokus auf die weitere formale Ausgestaltung. Folgende allgemeine Punkte sind im Zuge der Planung und Umsetzung des Arbeitsschutzes zu beachten:

  • Aufbau von internen Arbeitsschutzstrukturen je Gewerk
  • transparente Bauplanung
  • klare Festlegung von Verantwortlichkeiten
  • Zusammenarbeit aller Akteure auf der Baustelle
  • zeitlich definierte Fenster für den Arbeitsschutz
  • maximale Sichtbarkeit aller Maßnahmen

Klare Verantwortlichkeiten und ein funktionierender Zeitplan für die verschiedenen Gewerke sind auf jeder Baustelle wünschenswert. Das gilt auch für den Arbeitsschutz, nicht zuletzt deshalb, weil Unternehmen immer dann produktiv und wertschöpfend sind, wenn gesunde und zufriedene Mitarbeitende beschäftigt werden. Der zeitliche und finanzielle Aufwand für den Arbeitsschutz ist im Zweifel deutlich geringer als die Folgekosten schwerer bis tödlicher Unfälle und langer Ausfallzeiten wertvoller Fachkräfte.

Zentraler Gedanke eines präventiv gestalteten Arbeitsschutzes – zur richtigen Zeit am richtigen Ort – ist demnach folgende Zielstellung: Die Fachkräfte sollen morgens gesund auf der Baustelle erscheinen und abends möglichst gesünder zu Hause ankommen. Im Verlauf des Arbeitstags sind dementsprechend Maßnahmen zu ergreifen, die den Gefährdungen technisch, organisatorisch, personell oder durch Substitution eines Verfahrens oder Stoffs entgegenwirken.

PSA
Bild 2: Die persönliche Schutzausrüstung sorgt für ein sicheres und damit letztlich produktives Arbeiten. Foto: Quelle: Rawf8-stock.adobe.com

Um dieses Ziel zu erreichen, spielen die persönliche Schutzausrüstung (PSA, siehe Bild 2) sowie funktionsfähige Werkzeuge und Betriebsmittel eine wichtige Rolle. Sie sorgen für ein sicheres und damit letztlich produktives Arbeiten. Hinzu kommen die organisatorische Einteilung eines Bauprojekts in Bauabschnitte sowie die Zusammenkunft mehrerer Gewerke zur gegenseitigen Abschätzung von multifaktoriellen Gefährdungen.

Dabei sollten die Planung und Begleitung durch die Bauleitung und die Arbeit des unparteiischen Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators (kurz Sigeko, nach § 3 BaustellV verpflichtend) auf alle Beteiligten und letztlich auf das Bauprojekt positiv wirken. Ein Sicherheitsbeauftragter ist ab 20 Mitarbeitenden in einem Unternehmen fortzubilden und zu bestellen.

Diese Person kann im Mittelstand neben der meist überbetrieblich agierenden Fachkraft für Arbeitssicherheit (Sifa) relevante Aufgaben übernehmen. Hintergrund für die Bestellung dieser Personen ist die langfristige Sicherung des Arbeitsschutzes in einem Unternehmen. Sigeko und Sifa implementieren und bewerten die relevanten Grundlagen wiederkehrend.

Arbeitgeber tun gut daran, die betreuende Fachkraft für Arbeitssicherheit ihres Unternehmens in die Pflicht zu nehmen und bei ihrer Aufgabenerfüllung fortlaufend zu unterstützen.

Arbeitgeber tun gut daran, die betreuende Fachkraft für Arbeitssicherheit ihres Unternehmens in die Pflicht zu nehmen und bei ihrer Aufgabenerfüllung fortlaufend zu unterstützen. Zentrales Element des Arbeitsschutzes auf jeder Baustelle ist ein möglichst transparenter Sicherheits- und Gesundheitsschutzplan (Sige-Plan), welcher von dem oder der Sigeko erstellt wird. Vor Ort ist dieser im besten Fall mehrsprachig einsehbar.

Zu Baubeginn bzw. vor jedem neuen Bauabschnitt können die jeweiligen Gewerke auf diesen Sige-Plan zurückgreifen. Die zum Sige-Plan gehörigen Flucht- und Rettungspläne können anhand einer Evakuierungsübung spielerisch vermittelt werden. Dabei wird die sogenannte Entfluchtung über freie Fluchtwege bis hin zu einer Sammelstelle eingeübt. Eine solche Übung prägt sich deutlich besser ein als eine rein theoretische Unterweisung. Im Fall der Fälle wissen dann alle Beteiligten, wo sich zu Beispiel der Erste-Hilfe-Kasten, ein Feuerlöscher und der Defibrillator befinden.

Im Rahmen der erstmaligen Begehung und Unterweisung des operativen Personals oder ggf. einer Übungsevakuierung sollten die Ruhe- und Pausenräume, auch Sozialräume genannt, sowie die Sanitäreinrichtungen mit bedacht werden. Sind diese Räume gemäß Arbeitsstättenverordnung ausreichend dimensioniert, beleuchtet und beheizt, erfüllen sie bereits wichtige Ansprüche an einen attraktiven Arbeitsplatz. Zusätzlich können diese Räumlichkeiten sinnvoll für den Arbeitsschutz genutzt werden.

Neben Erste-Hilfe-Kästen können hier Betriebsanweisungen sprachendivers, Aushänge für das richtige Verhalten im Not- bzw. Brandfall, der ganzheitlich abgebildete Sige-Plan sowie neue PSA oder wetterfeste Schutzkleidung abgebildet bzw. aufbewahrt werden. Je mehr Sichtbarkeit für arbeitsschutztechnische Maßnahmen erzeugt wird, desto mehr schätzen Mitarbeitende die für ihren Schutz ergriffenen Vorkehrungen.

Arbeitgeber sollten nicht zuletzt auch in den eigenen Räumlichkeiten für Ordnung und Struktur sorgen, um Sturz- und Stolperunfälle zu vermeiden. Der Faktor Zeit bzw. ein vermeintlicher Zeitmangel sollte kein Argument dagegen sein. Wenn Vorgesetzte selbst zu stark in andere Bereiche eingebunden sind, können die Arbeitsschutzmaßnahmen sinnvoll delegiert und in den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden eingebaut werden.

Unterweisungen in zeitkritischen Phasen wirken weniger hemmend, wenn Mitarbeitende in Lagebesprechungen involviert oder über die Gegebenheiten der jeweiligen Bauvorhaben vorab online instruiert werden. Letztlich gilt: Eine funktionierende Arbeitssicherheitsstruktur empfinden alle Betriebsangehörigen als wertvoll und bereichernd.

Fazit: Guter Arbeitsschutz stärkt das Firmenimage

Das übergeordnete Ziel aller am Bau Beteiligten ist die Unversehrtheit. Niemand möchte schwer verunfallen oder durch die Arbeit krank werden. Verantwortung und Wertschätzung für den allgemeinen Arbeitsschutz reichen demnach bis in die Familien eines jeden Betroffenen. Letzten Endes sind dies auch die Kernpunkte der Gesetzgebung.

Durch die Vermeidung von Arbeitsunfällen und arbeitsbedingten Krankheiten können Arbeitgeber langfristig Kosten einsparen, indem sie Krankheitsausfälle reduzieren, die Produktivität steigern und mögliche rechtliche Konsequenzen vermeiden. Arbeitgeber, die den Arbeitsschutz vernachlässigen, riskieren nicht nur das Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden, sondern auch finanzielle Verluste und einen möglichen Rufschaden.

Ein guter Arbeitsschutz ist sowohl für die Attraktivität eines Arbeitgebers als auch für das Firmenimage förderlich: Ein Unternehmen, das sich für den Arbeitsschutz seiner Belegschaft einsetzt, zeigt Verantwortungsbewusstsein und Fürsorge. Gleichzeitig verbessert sich durch die konsequente Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zum Arbeitsschutz die Qualität der Produkte und Dienstleistungen, wodurch das Vertrauen von Kunden, Investoren und Partnern gestärkt wird.

(Dieser Beitrag ist in der Ernst & Sohn Sonderpublikation "Attraktive Arbeitgeber im Bauingenieurwesen" im April 2024 in gedruckter Form erschienen.)