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SWT Green Steel Strategy: "Unser Ziel lautet, bis zum Jahr 2040 CO₂-neutral Stahl herzustellen."

Veröffentlicht am: 12. Apr. 2024

(bezahlter Inhalt)

Sieben Fragen an Alexander Stier, Leiter Verkauf & Logistik Stahlwerk Thüringen GmbH

SWT Portrait Alexander Stier
Alexander Stier, Leiter Verkauf & Logistik
Stahlwerk Thüringen GmbH

Herr Stier, alle Welt spricht von Green Steel, das Stahlwerk Thüringen (SWT) auch – ist Stahl nicht an sich schon grün, wenn man ihn mit anderen Werkstoffen vergleicht?

In der Tat ist kaum ein anderer Baustoff so langlebig, wieder­verwendbar, wert­beständig und zukunfts­fähig wie Stahl. Im Vergleich zu anderen tragenden Baustoffen wie Beton oder Holz können Stahlprodukte zahlreiche Nutzungs­zyklen durchleben. Sie sind halt zu nahezu 100 % und ohne Qualitäts­verlust unendlich oft recycelbar. Also gilt: Stahlrecycling ist angewandter Umweltschutz. Diese Kreislauf­wirtschaft macht Stahl zu einem regenerativen Baustoff, trägt zur Schonung von Ressourcen und zum Schutz des Klimas bei.

Auch bei der Flexibilität sind Bauten aus Stahl klar im Vorteil: mit ihren großen Spannweiten ohne tragende Innenstützen und -wände ermöglichen sie eine hohe Anpassungs- und Erweiterungs­fähigkeit und sichern so eine lange Lebensdauer. Bei Stahlbauten ist sogar das Umsetzen von kompletten Konstruktionen möglich – etwa bei temporären Parkhäusern und Brücken. Doch auch Stahl selbst kann und muss noch grüner werden, indem man die bei der Herstellung erzeugten CO2e-Emissionen durch Prozess­veränderungen bzw. Optimierungen weiterhin reduziert. Nur so können wir die eigenen Nach­haltigkeits­ziele erreichen und die bindenden EU-Richtlinien des European Green Deal erfüllen.

Ihre Dekarbonisierungs-Strategie steht auf den drei Säulen Energie, Logistik und Effizienz. Wollen Sie unseren Leser:innen den Stand der Dinge hier erläutern, und wo sehen Sie das größte Potenzial?

Aus unserer SWT Green Steel Strategy leiten wir umfang­reiche Maßnahmen ab. Ausgehend von den etwa 680 kg CO2e/t Formstahl mit dem traditionellen Elektro­ofen­herstellungs­prozess im Jahr 2020 ist es uns damit gelungen, den Emissions­wert mittler­weile mehr als zu halbieren. Wir nutzen bspw. seit 2021 ausschließlich Strom aus regenerativen Quellen und so viel klima­neutrale Logistik wie aktuell einsetzbar. Unser SWT Stahlwerk Thüringen Green Steel® hat mit Stand heute einen verifizierten Wert von nur 327 kg CO2e/t Formstahl (nach EPD gemäß ISO 14025 und EN 15804+A1) und gehört damit zu den Spitzen­reitern der Träger­produzenten in Europa.

Stahlwerk Thüringen SWT Bild 1
Bild 1: Potenzial der Emissionseinsparungen

Das größte Einspar­potenzial liegt eindeutig bei der Säule Energie durch den Einsatz von grünem Strom, wo immer er praktikabel ist, und der zukünftigen Substitution von Erdgas durch grünen Wasserstoff, gefolgt von Effizienz und Logistik (Bild 1). Unser Ziel lautet, bis zum Jahr 2040 CO2-neutral Stahl herzustellen. Zu diesem Zweck analysieren wir alle Unternehmens­prozesse. Auch modernisieren wir die Produktions­anlagen in großem Umfang und initiieren sowie unterstützen regionale Projekte der erneuerbaren Energie­erzeugung.

Über 110 Mio. kWh u. a. an den Öfen einzusparen, wie geht das?

(lächelt) Ja, das ist tatsächlich eine beein­druckend hohe Zahl. Sie bezieht sich auf die Gesamt­einsparung seit Einführung unserer DIN EN ISO 50001 im Jahr 2012. Mit ihr verpflichtet sich SWT zu einer ressourcen­schonenden Energiepolitik (Bild 2). Es ist eben so, dass verschiedene kleine und große Moderni­sierungen in Summe enorm viel bewirken. Um ein paar zu nennen: ein neuer ACI-Ventilstand und ein Haltebetrieb der Brenner mit Luft sparen am Elektro­lichtbogen­ofen sehr viel Erdgas ein. Wir haben auch den Schmelzprozess hinsichtlich der Spannungs­einspeisung optimiert. Außerdem spart die bedarfs­gesteuerte Sauerstoff­erzeugung der Luft­zerlegungs­anlage viel Energie ein. Und auch die Modernisierung der Beleuchtung im gesamten Unternehmen trägt ihren Teil zu dieser Zahl bei.

Stahlwerk Thüringen SWT Bild 2
Bild 2: Vision Stahlwerk Thüringen: bis 2040 klimaneutrale Herstellungsprozesse

Bei den Walzwerksöfen spielt die Induktions­technologie eine wichtige Rolle. Was ist an ihr neu und wie weit ist das SWT hier bereits?

Die Induktionstechnologie an sich ist natürlich nicht neu, ihre Nutzung beim Walzen von Stahlträgern jedoch schon. Wir sehen hier eine viel­versprechende Möglichkeit zur Erwärmung unseres Vormaterials, den sog. Beam Blanks (Bild 3). Das erreichen wir durch den teilweisen Ersatz des traditionell einge­setzten Erdgases durch grünen Strom. Hierfür wird gegenwärtig das Pre-Engineering durchgeführt. Der Einsatz von Induktions­technologie wird den Verbrauch an Erdgas signifikant verringern. Außerdem spart der Einsatz von grünem Strom viele Emissionen ein.

Stahlwerk Thüringen SWT Bild 3
Bild 3: Beginn des Walzprozesses: Erwärmen des Vormaterials (Beam Blank)

Der Wieder­erwärmungs­ofen selbst wird ebenfalls modernisiert. Er soll künftig mit Wasserstoff betrieben werden. Dafür werden wir zeitnah wasserstoff­fähige Brenner einbauen, die mit besonders effizienter Technologie arbeiten. Sobald dann Wasserstoff in ausreichend großem Umfang verfügbar ist, können wir diese Ressource nutzen. Diese Installationen rund um den Wieder­erwärmungs­ofen haben ein Investitions­volumen im mittleren zweistelligen Millionen­bereich. Sie ergeben ein Potenzial zur Einsparung von ca. 24 % der gesamten CO2e-Emissionen. Leider haben sich die Rahmen­bedingungen für den Erhalt der hierfür dringend notwendigen staatlichen Fördermittel seit Ende 2023 stark verschlechtert. Und so hat dieses Projekt nach heutigem Stand keine realen Chancen der Förderung mehr.

Was sind denn aktuell Ihre Erwartungen an die Politik, besonders in Sachen Fördermittel?

In Deutschland blickt man aktuell branchen­übergreifend mit Sorge auf die Finanzier­barkeit notwendiger Projekte zur Transformation. Das Erreichen dieser Ziele rückt also in gewisse Ferne. Wichtig auch: Durch das Wegbrechen vieler staatlicher Förder­programme sind die Spielregeln auf dem Markt jetzt nicht mehr dieselben für große und kleine Player. Es werden nur noch die Vorhaben gefördert, welche die größten Dekarbonisierungs­effekte bringen. Als Elektroofen-Stahlwerk und mit unseren Moderni­sierungen haben wir vergleichsweise bereits wenige Emissionen (Bild 4) und fallen so bei diesen Programmen durch das Raster. Große Stahlkonzerne erhalten finanzielle Unterstützung.

Stahlwerk Thüringen SWT Bild 4
Bild 4: SWT Stahlwerk Thüringen Green Steel® mit nur 327 kg CO₂e/t Stahl

Als mittel­großes einzelnes Werk müssen wir die Trans­formation hin zu klima­freundlicherem Stahl selbst tragen. Das stellt auf europäischer wie globaler Ebene, neben den ungleichen Rahmen­bedingungen für Energiekosten und Netzentgelte, einen weiteren signifikanten Wettbewerbs­nachteil dar. Da wünschen wir uns seitens der Politik faire Bedingungen für die Vergabe von Fördermitteln. Des Weiteren würden wir vereinfachte Genehmigungs­prozesse im Bereich neuer Projekte für regenerative Energiequellen sehr begrüßen. Aktuell sind diese zu umfangreich, zu bürokratisch und mit langen Bearbeitungs­zeiten behaftet.

Thema Ressourcenschonung und Weiter­verwendung von Neben­produkten. Was wünschen Sie sich etwa für die Einsatz­möglichkeiten von Schlacke?

Im Sinne einer expandierenden Kreislauf­wirtschaft würden wir hier eine breitere Verwendungs­möglichkeit begrüßen. Schlacke fällt bei der Stahl­erzeugung an. Sie kann besonders im Tiefbau vielfältig eingesetzt werden. Beispiels­weise bei Trassen­fundamenten als Frostschutz. Momentan können solche Möglichkeiten nicht vollumfänglich ausgeschöpft werden, da bestehende gesetzliche Vorgaben hinsichtlich Mindestmenge an Volumen­verbrauch dies nicht ermöglichen. Viele kleine und mittelgroße Bauprojekte fallen somit weg. Hier sollte die Politik bei der Projektvergabe im Rahmen der Ersatz­baustoff­verordnung breitere Einsatz­möglichkeiten schaffen. Auch sollte sie den möglichen Einsatz von Schlacke bei Aus­schreibungen durch verbesserte Kommunikation, Normierungen oder Aus­schreibungs­anreize stimulieren.

Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein in Hinsicht auf den Rohstoff Schrott, besonders mit Blick auf den immer stärkeren Umbau von der Hochofenroute zur Elektro­ofenroute?

Wir beziehen unseren Schrott aus einem relativ kleinen Umkreis von gerade mal 300 km. Der größte Anteil davon kann deshalb mit dem klima­freundlichsten aller Transport­mittel& angeliefert werden, per Bahn. Die restlichen Mengen werden per Lkw angeliefert. Wir nehmen bereits heute eine zunehmende Nachfrage nach Schrott wahr. Wenn jetzt weitere Stahlwerke diesen Wertstoff benötigen, wird das zu einer verschärften Situation auf dem Markt führen. Auch hier gilt es seitens der Politik Rahmen­bedingungen zu schaffen, die das Überleben des deutschen Stahlstandorts sichern. Konkret könnte hier eine Beschränkung von Schrott­exporten eine Rolle spielen.

Herr Stier, haben Sie Dank für dieses Interview.

Die Fragen stellte Burkhard Talebitari.

www.stahlwerk-thueringen.de