Transformation des Bauwesens: Warum Bau-Startups für die Zukunft der Branche entscheidend sind
- Volldigitalisierung und Nachhaltigkeitsziele mit bestehenden Geschäftsmodellen kaum erreichbar
- Netzwerkgedanke für Neugründungen im traditionellen Marktumfeld entscheidend
- BIM als Standardgrundlage für neue Softwareanwendungen unerlässlich
Transformierte Geschäftsmodelle im Bauwesen nicht ohne Innovationen
Wie schaffen Unternehmen der Baubranche mit traditionellen Geschäftsmodellen und -praktiken es, nachhaltiger und digitaler zu werden?
Eine Antwort darauf gibt Anastasiia Demidova von der RWTH Aachen: "Die Unternehmen können ihre Geschäftsmodelle nur modifizieren und so den Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit erfolgreich begegnen, wenn sie mit Startups für die Baubranche zusammenarbeiten und deren Lösungen nutzen."
Bau-Startups sind für Demidova "entscheidende Innovationstreiber". Als Wirtschaftsgeografin analysierte sie in ihrer Masterarbeit Standortbedingungen und Förderansätze für Startups im Bereich "Nachhaltiges Bauen".
Zu den Herausforderungen des Klimawandels und die dadurch bedingte Energie- und Mobilitätswende kommen der demografische Wandel, Veränderungen in der Arbeitswelt und der Fachkräftemangel. All das zwingt die Baubranche, wie alle anderen, zur viel zitierten Transformation.
Digitale Anwendung vereinfacht Baustellenmanagement
Um herauszufinden, welche Rolle Startups angesichts dieser Marktumstände spielen können, hat Anastasiia Demidova für ihre Masterarbeit mehrere Interviews mit Gründer:innen und Inhaber:innen solcher junger Unternehmen geführt. Ein Gesprächspartner war Oliver Eischet, Geschäftsführer von specter automation. Die von dem Kölner Bau-Startup entwickelte Plattform integriert Planungs- und Kalkulationsdaten in das 3D-Gebäudemodell des Bauvorhabens.
Auch vor Ort auf der Baustelle erhobene Ist-Daten können in den digitalen Zwilling eingespeist und mit den Plandaten abgeglichen werden. Eischets Anspruch und zugleich Versprechen an die Bauwirtschaft:
"Unser datenbasiertes Baustellenmanagement erleichtert es wesentlich, ein Projekt im geplanten Zeit- und Kostenrahmen zu beenden, da die konstante Erfassung des Fortschritts der Baustelle und der kontinuierliche Abgleich von Soll und Ist Planabweichungen so früh zeigen, dass gegengesteuert werden kann."
Mit digitalen Materialpässen für Gebäude zur zirkulären Bauwirtschaft
Annabelle von Reutern spricht als Chefentwicklerin für ein weiteres Bau-Startup. Das Stuttgarter Unternehmen Concular ist 2012 gestartet und bietet eine Softwarelösung, um Gebäude und Materialien zu digitalisieren und Bauprozesse transparenter zu gestalten. Inzwischen ist man Marktführer bei der Erstellung von Materialpässen für Gebäude und die Wiedereinbringung von Materialien.
Kerngedanke ist die möglichst häufige Wiederverwendung von Materialien und Produkten, zum Beispiel durch lokale Kreislaufsysteme. "Noch immer betrachten viele in der Baubranche einzig die aktuellen Materialpreise anstatt alle Kosten über die gesamte Lebenszeit von Projekten", sagt von Reutern.
Gründungswettbewerbe als wichtiges Sprungbrett für Bau-Startups
"Das Ende des Produktlebenszyklus sollte mitgedacht werden: Muss ein Produkt nach 20 Jahren entsorgt werden oder kann man es umnutzen, zum Beispiel für andere Bauelemente?"
Im März 2022 wurde Concular mit dem ABE_Award ausgezeichnet. Mit diesem Award fördert der Verein Aachen Building Experts (ABE) seit 2017 besonders innovative Geschäftsideen, die eng mit der Immobilien- und Bauwirtschaft zusammenhängen.
Wie wichtig solche Awards für die Entwicklung der Bau-Startups sind, bestätigt die Masterarbeit von Anastasiia Demidova. "Gründungswettbewerbe, deren Preise sowie die mit den Wettbewerben einhergehenden Veranstaltungen bringen die dringend benötigte Publicity, sorgen aber auch für mehr Bewusstsein bei den etablierten Unternehmen", so Demidova.
Energetische Gebäudeanalyse per Handscanner
Auch Lumoview Building Analytics erhielt den ABE_Award (2020). Das Spin-off des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) wurde 2019 in Köln mit dem Anspruch gegründet, die Immobilienwirtschaft zu befähigen, CO2-neutral zu werden.
"Unser LumoScanner, auf den drei Patente erteilt wurden, erzeugt von jedem Raum ein 360 Grad-Panoramabild. Die vielen Wärmebilder werden sodann automatisiert auf Temperaturanomalien an den Wänden hin analysiert, zum Beispiel aufgrund von Wasserrohrbrüchen. Die Analyse benötigt nur zwei Sekunden pro Raum und zeigt, an welchen Stellen das Gebäude Wärme verliert", beschreibt Firmenmitgründer Silvan Siegrist die Technologie.
Digitales Gebäudemanagement unterstützt bei Dekarbonisierung
Darüber hinaus vermisst Lumoview die Gebäudegeometrien. Grundrisse, 3D-CAD-Modelle und 3D-Visualisierungen lassen sich in alle gängigen digitalen Gebäudemanagement-Plattformen integrieren, die Ergebnisse werden in die Cloud geladen.
"Eigentümer können ihre Gebäude mit uns einfach, schnell und kostengünstig digitalisieren und danach energieeffizient sanieren. Das Dekarbonisierungspotenzial ist gewaltig: Jeder analysierte und sanierte Quadratmeter Bodenfläche spart rund 35 Kilogramm CO2 im Jahr. Allein in deutschen Wohngebäuden sollen 1,9 Milliarden Quadratmeter saniert werden", sagt Siegrist.
Entwicklungen eng am Bedarf der Bau- und Immobilienbranche
Die Analyse der einschlägigen Bau-Startups ergab, dass diese eng an den Bedürfnissen des Marktes ausgerichtet und entsprechend entwickelt werden. Ein Austausch ist daher für beide Seiten wichtig.
Ein weiteres Beispiel dafür ist wirbauen.digital aus Köln. Das Geschäftsmodell für die Software reifte auf der Baustelle und wird dort weiterentwickelt. Dabei geht es um die vollständige digitale und gewerkeübergreifende Dokumentation der Bauausführung mit allen wichtigen Kennzahlen per Smartphone-App.
"Die am Bauprojekt Beteiligten können auf digitale Baustellenmappen mit allen Daten, Informationen und den Leistungsverzeichnissen zugreifen. Fortschritte werden direkt dokumentiert und neu erfasste Daten der Bauausführung in das BIM-Modell überführt. Handwerker erfüllen ohne zusätzlichen Aufwand alle Dokumentationspflichten und die Revisionssicherheit", schildert Geschäftsführer Daniel Gruber einige Funktionen der Anwendung. Er gründete wirbauen.digital 2020 zusammen mit Lukas Büdenbender, einem gelernten Dachdecker.
Lebenszyklusanalyse unterstützt bei CO2-Reduktion
Eine weitere junge Spezialsoftware für das Bauwesen ist CAALA, ABE_Award-Gewinner von 2019. Sie soll bei der Bewältigung der europäischen und deutschen Vorgaben in Sachen Klimaschutz helfen.
Die Münchner Property-Technologie (PropTech, d.h. innovative Technologie für die Immobilienbranche; Anm. d. Red.) kombiniert Software mit Beratungs- und Schulungsleistungen und soll der energetischen, ökologischen und wirtschaftlichen Optimierung von Neubauprojekten sowie der Dekarbonisierung von Bestandsportfolios dienen.
Dazu erstellt die Anwendung eine Lebenszyklusanalyse für Gebäude. Diese reicht von der Rohstoffgewinnung über den Bau, die Nutzung, den Rückbau bis zum Recycling der Materialien.
Mit BIM Kosten bei energetischer Sanierung sparen
"Die Plattform liefert in Echtzeit Umweltwirkungen und Lebenszykluskosten verschiedener Varianten, die sich auf den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes beziehen. So kann bereits in einer frühen Entwurfsphase für die Reduktion der CO2-Emissionen gesorgt werden", erläutert Till Odermann, Business Development Manager bei CAALA.
Mittels BIM könne die Plattform auch die ideale Maßnahmen-Kombination errechnen, um bestehende Gebäude mit einem vorgegebenen Budget zu sanieren und energieeffizienter zu machen.
ABE: Netzwerke und Präsentationsplattformen für Bau-Startups schaffen
Um sich in der Branche zurechtzufinden sowie Geschäftsideen diskutieren, entwickeln und Erfahrungen sammeln zu können, brauchen junge Dienstleistungsunternehmen und Bau-Startups Plattformen und Formate, in denen sie sich treffen und austauschen können.
Wie die jährlich stattfindende Fachmesse digitalBAU will auch das Bauexperten-Netzwerk von ABE eine solche Plattform bieten und fördert deshalb die Szene seit 2016. Mittlerweile sind über 140 Unternehmen aus ganz Deutschland in der Initiative aktiv, die auch das Bau-Startup-Forum Rheinland etablierte.
Zum zweiten Mal wird das Forum am 24. und 25. Mai 2023 im Kölner E-Werk stattfinden. Der ABE präsentiert hier 30 vorausgewählte Startups, kombiniert mit einem fachlichen Vortragsprogramm.
QUELLEN UND VERWEISE:
Investoren entdecken Bau-Startups
digitalBAU 2023 - Fachmesse für digitale Lösungen in der Baubranche