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Übersicht Gebäudetyp E: Pro und Kontra der Einfach-Bau-Initiative

Verfasst von: Fabian Hesse
Veröffentlicht am: 2. Aug. 2024

Von Bayern nach Berlin: Die Genese der Idee des Gebäudetyps E

Seit 2022 wird die Idee für einen einfacheren Neu- und Umbau von Gebäuden oder Außenanlagen vorangetrieben. Damals wurde erstmals über einen "Gebäudetyp E" bzw. auch "Gebäudeklasse E" diskutiert. Die Bayerische Architektenkammer brachte das Modell in die Debatte um Kostensenkungen im Bau ein. Das "E" wurde mit "einfach" oder auch "Experiment" interpretiert. Kerngedanke war der weitgehende Verzicht auf die Einhaltung von Standards, die für die Wohnsicherheit nicht notwendig sind.

Gebäudetyp_E
Zum Gebäudetyp E liegen auf Bundesebene bislang ein Gesetzentwurf sowie ein Leitfaden (Bild) und FAQs vor. Grafik: Bayika

An der Technischen Universität München (TUM) experimentierte Florian Nagler, Professor beim Lehrstuhl Entwerfen und Konstruieren, zu diesem Zeitpunkt bereits in einem geförderten Projekt der Forschungsgruppe "Einfach bauen". Mit dem Bau von drei Forschungshäusern in Bad Aibling sollte ein Weg aufgezeigt werden, wie Bauen alternativ und einfacher gedacht und durchgeführt werden kann. Nagler damals: "Wir hätten diese Häuser unter normalen Planungsbedingungen niemals bauen können."

Die Erkenntnisse der Forschung wurden in Fachgesprächen weitergetragen, daneben liefen bis heute in Bayern 19 Pilotprojekte. Früh wurde festgehalten, dass bei der Umsetzung eines künftigen Gebäudetyps E der Bauherr sachkundig sein müsse, weil für professionelle Bauherren der Verbraucherschutz nicht gelte. TUM-Professor Nagler schlug vor, die staatlichen Bauämter einzubeziehen. Reinhard Zingler, Berater des Fachausschusses Technik des Verbandes bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW Bayern), prophezeite: "Einfaches Bauen wird zunächst experimentelles Bauen sein, mit einem wachsenden Katalog an Beispielen."

Stellungnahme zu Gesetzentwurf bis 30. August 2024 möglich

Inzwischen hat die Bundesregierung das Thema vollumfänglich angenommen, ein eigenes Gebäudetyp-E-Gesetz soll kommen. Erstmals verwendet wurde der Begriff "Gebäudetyp E" auf Bundesebene im Anschluss eines Wohnungsgipfel Ende September 2023 in einem 14-Punkte-Plan. Am 29. Juli 2024 wurde der Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) an die Länder und Verbände verschickt. Dieser sieht eine Reform des Werkvertragsrecht bzw. Bauvertragsrecht im BGB vor.

Laut Buschmanns Ministerium wurde der Entwurf für das Gebäudetyp-E-Gesetz (vollständiger Titel: "Entwurf eines Gesetzes zur zivilrechtlichen Erleichterung des Gebäudebaus") in engem Austausch mit Architektenschaft, Bauwirtschaft, Ingenieuren und weiteren Stakeholdern entwickelt. Interessierte Kreise haben nun bis zum 30. August 2024 Gelegenheit, Stellung zu nehmen. Der Gesetzentwurf soll dann im Herbst 2024 im Kabinett beschlossen werden. Mit Inkrafttreten des Gesetzes wird ab Anfang 2025 gerechnet.

Der Gesetzentwurf sieht folgende Änderungen im Bauvertragsrecht vor:

  1. Konkretisierung des Begriffs der "anerkannten Regeln der Technik"

    Künftig soll für alle Bauverträge die Vermutung gelten, dass reine Ausstattungs- und Komfortstandards keine "anerkannten Regeln der Technik" (a.R.d.T.) sind. Für sicherheitsrelevante technische Normen soll eine gegenteilige Vermutung gelten: sie sind a.R.d.T.

    Aus dieser Konkretisierung soll folgen: Reine Komfort-Standards sollen beim Neubau von Wohnungen künftig nur dann eingehalten werden müssen, wenn sich beide Vertragsparteien ausdrücklich darauf verständigt haben. Haben die Parteien keine entsprechende Vereinbarung getroffen, soll die Einhaltung von reinen Komfortstandards auch nicht geschuldet sein.

    Der Begriff der a.R.d.T. ist für das Bauvertragsrecht sehr relevant. Beim Neubau von Wohnungen müssen die a.R.d.T. grundsätzlich eingehalten werden. Welche Regeln das sind, ist durch ein Gesetz nicht definiert. Die Gerichte haben hier einen Entscheidungsspielraum. Innovative Baustoffe und Bauweisen stehen bislang häufig nicht im Einklang mit den a.R.d.T. Zu den a.R.d.T. zählen dafür bislang viele technische Normen, die reine Komfort-Standards sind. So gehen die Gerichte insbesondere von der Vermutung aus, dass zu den a.R.d.T. auch alle DIN-Normen gehören, also die nicht-gesetzlichen Normen, die unter Leitung des Deutschen Instituts für Normung (DIN) erarbeitet werden.

  2. Erleichterung der Abweichung von "anerkannten Regeln der Technik"

    Fachkundige Unternehmer sollen künftig einfacher von den a.R.d.T. abweichen können, wenn sie miteinander Verträge über den Neu- oder Umbau eines Gebäudes oder einer Außenanlage schließen. Wollen die beiden Unternehmer von den a.R.d.T. abweichen, so soll diese Abweichung künftig nicht mehr voraussetzen, dass der Werkunternehmer den Besteller des Bauwerks über Risiken und Konsequenzen der Abweichung aufklärt.

    Haben die Unternehmer keine Vereinbarung zu einem Abweichen von den a.R.d.T. getroffen, soll eine Abweichung von den a.R.d.T. künftig unter gewissen Voraussetzungen dennoch keinen Mangel des Bauwerks begründen. Kein Mangel soll künftig vorliegen, wenn (1) die Abweichung dem Besteller vor Ausführung der Bauleistung angezeigt wird, (2) der Besteller nicht unverzüglich widersprochen hat und (3) die dauerhafte Sicherheit und Eignung des Gebäudes gewährleistet ist.

Ziel: Zehn Prozent weniger Baukosten durch reduzierte Komfortstandards

Neben dem Gesetzentwurf selbst hat das Bundesjustizministerium auch begleitende FAQ veröffentlicht. "Der Gebäudetyp-E ist ein wichtiger Beitrag, um auf die stark gestiegenen Baukosten zu reagieren", erklärte Marco Buschmann. "Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir Bauen in Deutschland günstiger, einfacher und unbürokratischer machen. Fachleute schätzen, dass sich dadurch bis zu 10 Prozent der Herstellungskosten einsparen lassen. Wir wollen dieses milliardenschwere Potential freisetzen."

Wichtig ist dem Minister, klarzustellen, dass keine Abstriche bei Gebäudesicherheit und Gesundheit gemacht würden. "Gebäudetyp E steht für einfaches und innovatives Bauen. Aber eben auch für sicheres Bauen. Es geht bei unserem Gesetz um die Reduzierung verzichtbarer Komfortstandards, nicht um die Reduzierung der Sicherheit."

Egal ob es um die Zahl der Steckdosen gehe oder um die der Heizkörper im Bad, man wolle, dass Bauherren echte Wahlfreiheit haben. Alle sollten sich den Standard aussuchen können, der zu ihren Wünschen und zu ihrem Geldbeutel passt, so Buschmann weiter.

Geschossdecken und Steckdosen: Konkrete Gebäudetyp-E-Beispiele

Beton-Geschossdecke

Nach gängiger Praxis sind im Neubau Stahlbetondecken 18 Zentimeter stark. Dies dient neben der Tragfähigkeit vor allem auch einem höheren Schallschutz. Eine Reduzierung der Geschossdeckenstärke um vier Zentimeter würde den Materialeinsatz verringern und damit die Kosten senken. Der erforderliche Mindesttrittschallschutz dagegen würde weiterhin erreicht.

Holz-Geschossdecke

Derzeit werden Holzbalkendecken im Neubau regelmäßig mit Estrich gebaut. Beim „einfachen Bauen“ nach dem Gebäudetyp E könnte die Decke grundsätzlich auch ohne Estrich eingezogen werden. Die daraus folgenden Einschränkungen im Komfort- und Qualitätsstandard müssten hinsichtlich des nutzerspezifischen Bedarfs nicht von Nachteil sein.

Anzahl der Steckdosen und Leitungen

In einer durchschnittlichen Dreizimmerwohnung sind derzeit 47 Steckdosen vorgesehen. Die Anzahl könnte je nach konkretem Bedarf reduziert werden. Durch eine sorgfältige Planung können die Steckdosen so positioniert werden, dass eine optimale Stromversorgung der Wohnung gewährleistet bleibt.

Leitfaden mit Formulierungshilfen für Bauverträge veröffentlicht

Der Gesetzentwurf wird flankiert von einer umfassenden "Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E", die das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) erarbeitet und am 17. Juli 2024 veröffentlicht hat. Sie soll den Vertragsparteien bei der Gestaltung von Verträgen für Neu- und Umbauten nach dem Gebäudetyp E als Hilfsmittel dienen. Der Leitfaden gibt Projektbeteiligten Hinweise, wie Vereinbarungen für Architekten- und Bauverträge formuliert werden können.

Im Detail zeigt die Leitlinie, wie zwischen Planer / Unternehmer und Bauherr/in eine rechtssichere Abweichung von den a.R.d.T. vereinbart werden kann. Sie erläutert auch die Aufklärungspflicht der Planer / Unternehmer und gibt anhand einiger Planungsbeispiele exemplarische Aufklärungsinhalte und Vertragsformulierungen an die Hand.

Ziel der Aufklärung sei es laut BMWSB, die Bauherrschaften so fachkundig zu machen, dass sie eigenverantwortlich entscheiden kann, ob sie die Abweichung zu Gunsten von Kosteneinsparungen befürwortet.

Bundesarchitektenkammer und Bundesingenieurkammer von Gebäudetyp E überzeugt

Als Akteure und teilweise Treiber der Initiative um den Gebäudetyp E, befürworten Architekten- und Ingenieurkammern naturgemäß das kommende Gesetz. Die Bundesarchitektenkammer sieht in den vorgeschlagenen Maßnahmen einen bedeutenden Beitrag zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen im Bauwesen und zur Schaffung lebenswerter und zukunftssicherer Räume.

Für Heinrich Bökamp, Präsident der Bundesingenieurkammer, bedeutet der Gebäudetyp E einen wichtigen Baustein, "um aus dem Müssen wieder auch mehr ein Können werden zu lassen. Ingenieurinnen und Ingenieure brauchen Freiheit zum Denken und Handeln."

Baupraxis-Meinungen: Mehr Skepsis als Euphorie gegenüber Gebäudetyp E

Aufgrund der absehbaren Einführung des Gesetzes im kommenden Jahr beschäftigt man sich schon vielerorts mit der Thematik, sei es in Weiterbildungsveranstaltungen oder in den Fachgremien der Baubranche. Eine besonders starke Euphorie ist dabei noch nicht zu spüren.

Der Justiziar der Ingenieurkammer-Bau Nordrhein-Westfalen, Alexander Petschulat, verweist beispielsweise auf die schlichte Tatsache, dass die Änderungen im BGB nur künftige Verträge beträfen. Deshalb werde die aktuelle Rechtslage noch eine ganze Weile Planer, Rechtsanwälte und auch die Gerichte beschäftigen. "Außerdem zeigt die aktuelle Diskussion, dass es ein Thema nicht nur für, sondern auch von Ingenieuren ist. Gebäudetyp E hat rechtliche wie auch technische Aspekte und diese sollten daher von Juristen und Ingenieuren erklärt werden", so Petschulat.

Bei der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM) sieht man durchaus die Möglichkeit der Erleichterung durch den Gebäudetyp E, allerdings zunächst nur für fachkundige Unternehmer. "Für den Erfolg der Regelung wird ausschlaggebend sein, ob auch der Endverbraucher in Form von selbstnutzendem Eigentümer, privatem Kleinvermieter oder Mieter einer Wohnungsbaugesellschaft an den Gebäudetyp E gebunden werden können", sagt DGfM-Geschäftsführer Christian Bruch.

Der Regelungsvorschlag, der zwischen Ausstattungs- und Komfortansprüchen sowie sicherheitsrelevanten Normen unterscheidet, könnte sich dafür als hinderlich erweisen, da er zusätzliche Abgrenzungsprobleme aufwerfe, so Bruchs Einschätzung.

Eine nicht repräsentative Kurzumfrage von bauingenieur24 unter den Nutzern des sozialen Netzwerks Linkedin ergab, dass die Einführung des Gebäudetyps E mit wenig Hoffnungen für einen Schub im Wohnungsbau verbunden wird. Etwa 70 Prozent der Befragten erwarten, dass die Lage im Bauwesen unverändert bleibt. Die restlichen rund 30 Prozent meinen, dass die Neuregelung am Ziel vorbei gehe bzw. der derzeitigen Praxis sogar schade. Niemand rechnet hingegen mit spürbar mehr Wohnungsbau in Deutschland durch den Gebäudetyp E.