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Ulrich Hartmann: Das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird der Weckruf für die Digitalisierung in der gesamten Baubranche

Verfasst von: Redaktion
Veröffentlicht am: 23. März 2023

Ein Gespräch mit Ulrich Hartmann (Autor des Buches Building Information Modeling - Grundlagen, Standards, Praxis) über seine sieben Thesen zu BIM rund um Standardisierung, Digital Twin, Robotik, die Taxonomie-Verordnung, eine Strategy for Uncertainty und einen erforderlichen stattlichen "Doppelwumms"...


These 1: Vor einem Jahrhundert haben die Architekten des Bauhaus die Möglichkeiten neuer Materialien und Konstruktionsarten genutzt, um eine bahnbrechend neue Architektur zu entwickeln. Angesichts neuer Möglichkeiten der Digitalisierung ist es an der Zeit, dass Architekten und Ingenieure das Bauen und Betreiben unserer Bauwerke neu erfinden.

Das Auto begann als Postkutsche mit Motor – ist BIM der Motor für neue technische Möglichkeiten eines neuen Bauens und Betreibens von Gebäuden?

Ja richtig, die ersten Autos sahen aus wie Postkutschen und nach dem notorischen Wort von Henry Ford hätten seine Kunden, nach ihren Wünschen befragt, schnellere Pferde verlangt.

Bedeutung_BIM
Innovationen auszusitzen, könnte sich als Weg in die Sackgasse erweisen.
Grafik: B. Weinberger

Heute stapeln nicht schnellere Pferde aber die ersten Baustellenroboter Stein auf Stein und wieder: nach menschlichem Vorbild. Technische Innovationen beginnen ja häufig mit der Imitation des Bestehenden. Aber es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, wenn ich sage, dass bei uns im Bauwesen die Robotik bis zum kleinsten Handwerksbetrieb vordringen wird.

Und dabei, meinen Sie, wird es nicht bei der Imitation menschlicher Tätigkeiten bleiben?

Bestimmt nicht. Baukonstruktionen müssen von der Produktionsseite her gedacht werden. Konstruktionen müssen für die Herstellung und den Einbau durch Roboter und Automaten deutlich besser geeignet sein. Damit meine ich sowohl die Fertigung einzelner Bauteile als auch den Zusammenbau auf der Baustelle.

Durch Bohrroboter gesetzte, farblich markierte Bohrungen und Befestigungspunkte, an die sich alle nachfolgenden Gewerke zu halten haben, zeigen bereits heute eindrucksvoll, wo es in Zukunft lang gehen wird. Das bedeutet zum einen wesentlich mehr Vorfertigung und zum anderen robotergerechte Rahmenbedingungen auf der Baustelle.

Gehören dazu auch Helme und Ohropax für Roboter? Spaß beiseite: Wo sehen Sie den Nutzen des digitalen Wissens aus der Produktion?

Diese Informationen zu allen verbauten Materialien und Produkten können anschließend gleich bei der Nutzung einer Immobilie weiterverwendet werden. Das hilft nicht nur bei Wartung und Umbau, sondern auch bei der energetischen Optimierung und der Prävention von Schäden durch den Einsatz von Sensorik, beispielsweise durch automatische Abschaltung der betroffenen Teilkomponenten.


These 2: Der Digitale Zwilling ist das neue Zauberwort. Entgeheimnisst bedeutet es die Fortführung von BIM auf Systemebene, also im Gebäudebetrieb, in Smart Cities und auf übergreifenden Ebenen wie Nachhaltigkeit und Katastrophenschutz. Wer kann hier den Input liefern, wenn nicht das BIM Informationsmanagement!

Der Digital Twin ist im Begriff, fester Bestandteil des CDE zu werden. Als Zwilling sollte er für alles Planen möglichst eineiig sein. Muss er also in der Gemeinsamen Datenumgebung gezeugt werden oder kommt er demnächst aus der (KI-)Retorte?

Zunächst einmal möchte ich der Vermutung entgegentreten, dass es sich beim digitalen Zwilling um eine Modeerscheinung handelt. Diese Phase mussten wir bei BIM ja auch erst überwinden; die Zeichen sprechen dafür, dass dies beim Thema Smart Building und Smart Citys deutlich schneller läuft.

BIM_Kette
Dem Bauherrn kommt eine wesentliche Verantwortung für den Erfolg eines BIM-Projekts zu. Nur wenn er seine Anforderungen erschöpfend darlegt, können Informationslieferungen gut genug sein, um qualifizierte Entscheidungen zu unterstützen.

BIM ist eine Methodik für das Informationsmanagement im Projektverlauf, beim digitalen Zwilling geht es um Systeme, also zum Beispiel Gebäude in der Nutzungsphase und die Wechselwirkung von Systemen untereinander, etwa Gebäude mit gebauter oder natürlicher Umwelt, Nachhaltigkeit auf städtischer, regionaler oder nationaler Ebene.

Vielleicht könnten Sie hier etwas zu den diversen Arbeitsgruppen in Sachen Standardisierung einflechten?

Auf allen Ebenen der Standardisierung sieht man verschiedene Arbeitsgruppen, die zum Teil bereits seit einigen Jahren an dem Thema digitaler Zwilling arbeiten, sowohl bei der ISO, beim CEN als auch beim DIN, der bereits 2016 das Smart Citys Forum SCF gegründet hat. Es ließe sich daher hoffen, dass wir in Deutschland diesmal der Entwicklung nicht vorwiegend hinterherlaufen, sondern selbst gestalterisch tätig werden. Es ist ja so, dass wertvolle Informationen teilweise in isolierten Datensilos liegen.

Und die gehören zusammengelegt?

Blauäugig Datenkraken produzieren will niemand. Die großen Vorteile für die Zivilgesellschaft, wenn digitale Daten zur Verfügung stehen, ergeben sich nur unter öffentlicher Kontrolle und Wahrung des europäischen Rechts- und Wertesystems. Zusammengeführt könnten sie zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn beitragen, beispielsweise um uns für den Klimawandel zu rüsten, mehr Bürgerbeteiligung zu wagen oder eine deutlich energieeffizientere Stadt zu erreichen.

All das steckt beispielsweise hinter einem digitalen Zwilling für eine smarte Stadt. Dass dabei der digitale Bauantrag inklusive BIM-Daten und eine hocheffiziente Bearbeitung durch digitale Behördenprozesse gleich mit im Spiel ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier noch große Brücken zwischen den Silos geschlagen werden müssen. Beispiele auch aus deutschen Großstädten, aus Australien, aber auch aus anderen hochdigitalisierten Regionen, wie dem Baltikum zeigen uns, dass man mit digitalen Zwillingen eine völlig andere Urteilsfähigkeit und Entscheidungsqualität gewinnen kann.


These 3: Teile der heutigen Bauindustrie lassen sich womöglich nicht digitalisieren, sie müssen wahrscheinlich von Grund auf neu erfunden werden.

Können Sie das ausführen? Was bedeutet für Sie "von Grund auf"? Ein völlig neues Bauen, wie in Ihrer These 1 angedeutet? Und wer erfindet neu? Mensch oder Algorithmus oder beide?

Wir haben ja nun bei chatGPT gesehen, wie ein Algorithmus in der Realität, zum Beispiel in einer bayerischen Abiturprüfung, gnadenlos durchfallen würde, auch wenn dieser bei Dichtkunst und in Punkto Eloquenz zahlreiche Achtungserfolge einfährt. Ich möchte hier nicht den Apotheker spielen und Chancen sowie Risiken und Nebenwirkungen künstlicher Intelligenz gar nicht bewerten.

Lernkurve_BIM
Auch bei BIM gibt es eine Lernkurve. Durststrecken lassen sich nicht vermeiden, bevor am Ende der Erfolg steht. Die Lernkurve steigt, auch und gerade, wenn man aus Fehlern manchmal lernen musste.

Sicherlich können Algorithmen mächtige Werkzeuge mit unerwünschten Nebenwirkungen sein, daher braucht es klare Leitplanken für deren Einsatz. Wer diese Werkzeuge zu nutzen weiß, ist produktiver und erfolgreicher. Ein Handwerksbetrieb, der in Zukunft Routinearbeiten, wie Bohren, Schleifen, Zuschneiden oder das Zusammenmontieren halbautomatisch erledigen kann, dürfte auch angesichts der Verfügbarkeit und des Preisverfalls von Industrierobotern deutliche Marktvorteile erzielen.

Also mit so handwerkelnden R2D2s?

(lacht) Eher nicht – diese Roboter sind nicht die schwergewichtigen Kolosse, die bei VW am Band stehen, sondern wahrscheinlich ähneln sie eher den agilen Roboterhunden von Boston Dynamics. Vermutlich werden sie in Teams arbeiten, bei denen der eine Mess-, Sicherungs- und Kontrollfunktionen übernimmt und andere die eigentlichen Arbeiten vornehmen. Von einigen Handwerkskammern gehen bereits Bestrebungen und Unterstützungsbemühungen in die richtige Richtung aus. Hier muss noch deutlich mehr getan werden.

Das Ausdrucken von Kleinteilen mit dem 3D Drucker findet heute schon in jedem zehnten Hobbyraum statt. Ich sehe nicht, warum derartige Technologien nicht im großen Stil auch im Handwerksbereich Einzug halten sollten und das mit professioneller Unterstützung unserer Universitäten, sowie einem nennenswerten staatlichen Doppelwumms.


These 4: Mit internationalen Normen auf europäischer Ebene (CEN) oder international (ISO) schaffen wir einen Markt für die Bauindustrie, der größer ist als die Summe aller bisherigen regionalen Märkte. Bauunternehmen und Bauherrenorganisationen beteiligen sich jedoch zu wenig an der Entwicklung von BIM Standards, obwohl das in ihrem ureigensten Interesse läge.

Sie bemühen zuweilen das notorische Wort Werner von Siemens': "Wer den Standard macht, gewinnt den Markt.“ Ist die Findung von Normen und Standards, ob europäisch oder international, immer auch der Kampf um Märkte? Und wie gelingt ihre internationale Festlegung?

Werner von Siemens hat das ja bekanntlich wirtschaftlich sehr erfolgreich umgesetzt. Bei der Entwicklung von Standards sitzen im Idealfall alle Interessensgruppen an einem Tisch und finden, oft nach langwierigem Diskutieren, eine für alle tragbare Lösung. Allerdings können nur die Interessen derjenigen berücksichtigt werden, die sich an diesen Diskursen auch aktiv beteiligen. Hier hapert es gewaltig von deutscher Seite, das kann ich zumindest für den Baubereich konstatieren.

Der Zeitaufwand dürfte hier ja nicht ganz unerheblich sein.

Bei aktiver Beteiligung in Standardisierungsgremien ganz und gar nicht, das können sich mittelständische Unternehmen in der Regel kaum erlauben. In Deutschland ist für die Teilnahme an Standardisierungsgruppen sogar noch eine jährliche Gebühr fällig. Da kann es kaum verwundern, dass die Standards in Deutschland vorwiegend von Großunternehmen und Hochschulvertretern entwickelt werden, während Bauunternehmen auffallend fehlen.

ISO_BIM
Informationsanforderungen ergeben sich aus Regularien bzw. Vorschriften, Organisatorischen Anforderungen, Anforderungen der Betriebsphase (AIR) und Anforderungen aus der Projektphase (PIR). Daraus sind beauftragbare Austausch-Informationsanforderungen (AIA) und Informationsaustauschanforderungen (IAA) abzuleiten. Die sich daraus ergebenden prozessualen und inhaltlichen Anforderungen sind vorteilhafterweise in einem Informationslieferhandbuch (IDM) zusammenzufassen.

Der Gedanke, mit Standards einen gemeinsamen Markt zu schaffen, der größere Chancen bietet als ein fragmentierter Markt mit kleinen Einzellösungen, hat sich leider noch nicht allerorten herumgesprochen. Einige Länder haben aber längst erkannt, dass Standards ihren wirtschaftlichen Interessen dienlich sind und handeln konsequent, indem sie die Beteiligung an Standardisierungsmaßnahmen nicht dem Zufall überlassen, sondern gezielt fördern. Während die Finanzierung deutscher Delegierter den Unternehmen der Privatwirtschaft überlassen bleibt, sind einige europäische Länder längst auf den Trichter gekommen, Hemmnisse abzubauen, beispielsweise indem sie zumindest die Reisekosten übernehmen.

Wer einen starken europäischen Binnenmarkt will, muss auch für diejenigen, die maßgeblich an der Schaffung dieses Binnenmarktes beteiligt sind, einheitliche wirksame Maßnahmen zur Förderung einer breiten Beteiligung an Standardisierungsmaßnahmen ergreifen.


These 5: Viele beginnen die BIM-Einführung auf der operativen Ebene, indem sie etwa zum Bauleiter sagen “mach mal du BIM”. Das kann nicht funktionieren. BIM muss immer auf strategischer Ebene im Unternehmen begonnen werden.

Alle Glieder der Wertschöpfungskette müssen sich früher oder später mit BIM beschäftigen. Aber wie starten, insbesondere kleinere Firmen, damit jenseits von "einfach mal machen"? Und wo befindet sich die strategische Ebene? Heißt sie am Ende doch "top – down"?

Kleinere Unternehmen werden sicherlich nicht anfangen, eine eigene großartige BIM-Strategie zu entwickeln. Anforderungen in dieser Richtung werden in erster Linie von ihren jeweiligen Auftraggebern an sie herangetragen. Grundsätzlich tut jedes Unternehmen gut daran, für Fragen der Digitalisierung Antworten und Angebote zu entwickeln. Welche das sind, hängt natürlich vom jeweiligen Aufgabengebiet und Kundenkreis ab.

Auch hier gilt natürlich wieder, dass diejenigen, die sich optimal vorbereiten, auch in der Lage sind, bessere Angebote zu entwickeln. Handwerker, die ihren Kunden in einer virtuellen Begehung Vorschläge und Varianten ihrer Leistungen vorstellen können, werden vermutlich eine stärkere Marktposition etablieren, als jene, die ihren Kunden erst nach der Ausführung mit einem mehr oder weniger passenden Endergebnis aufwarten können.


These 6: Für Unternehmen und Bauherren, die nicht bereits aus betriebswirtschaftlichen Gründen selbst auf den BIM-Trichter gekommen sind, wird das nachhaltige Bauen und Betreiben der größte Treiber für den Einsatz von BIM werden. Das Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz wird der Weckruf für die Digitalisierung in der gesamten Baubranche.

BIM und die Digitalisierung werden im Bauwesen oft unter Effizienzgesichtspunkten diskutiert. Die Megathemen auf absehbare Zeit sind aber Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Wie geht das zusammen?

Wir haben ja bereits einige kräftige Stellschrauben, mit denen in Deutschland die Digitalisierung auf Trab gebracht wird. Hierzu gehören das Online-Zugangsgesetz und viele Änderungen in den Bauordnungen der Länder, die digitale Prozesse im behördlichen Umfeld voranbringen und damit auch auf den Markt ausstrahlen werden.

Kommen wir doch mal zu den Auswirkungen der Taxonomie-Verordnung.

Aber gern. Vielen ist bisher noch nicht bewusst, in welchem Ausmaß Gebäude in den nächsten Jahren kontinuierlich an Wert einbüßen werden, wenn sie nicht den jährlich steigenden Nachhaltigkeitsvorgaben der EU-weiten Taxonomie-Verordnung entsprechen. Dabei geht es natürlich um die energetische Beschaffenheit beim Betrieb eines Bestandsgebäudes. Die wird fraglos in vielen Fällen bauliche Sanierungsmaßnahmen erfordern.

Aber es geht besonders auch um die gesamte Lieferkette. Dabei wird graue Energie, von der Rohstoffgewinnung über die Transportwege und die Produktion bis zum Einbau in ein Bauwerk sowie die Wiederverwertung am Ende der Lebensdauer eines Gebäudes, eine wesentliche Rolle bei der energetischen Bewertung spielen.

Wenn man also künftig ein paar flotte Nachhaltigkeitswerte aus den Planungsunterlagen hat…

(lächelt) ...wird das künftig nicht mehr reichen. Es zählen vielmehr die realen Verbräuche und Emissionen, die von der Kiesgrube über die Gebäudelebensdauer bis zur Müllhalde, oder besser dem Recyclinghof, anfallen. Der Erfolg von Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels hängt unmittelbar von einem konsequenten Informationsmanagement in allen Phasen eines Gebäudelebens ab.


These 7: Das Thema Wiederverwendung beginnt mit einem verlässlichen BIM Informationsmanagement. Wir haben heute oft schlicht keine Ahnung, was verbaut wurde, sowohl im Bestand, tragischerweise aber auch bei Neubauten. Das muss sich dringend ändern, wenn ein nachhaltiger Stoffkreislauf entstehen soll.

Für den Architekten Hans Kollhoff (vgl. nbau 1|22) stehen Lifecycle und Nachhaltigkeit - in einem traditionellen Sinne - fast im Widerspruch zueinander. Mit anderen Worten: Sind Stoffkreisläufe per se nicht nachhaltig, weil sie schnellen Abriss implizieren, oder geht es vielmehr darum, die berühmten strategies for uncertainty zu entwickeln?

Heutige Automobile ließen sich zu einem erheblichen Teil wiederverwerten, auch wenn in der Realität heute kein nennenswertes Recycling erfolgt. Bei Gebäuden ist die Wiederverwertbarkeit ebenfalls noch nicht weit gediehen, obwohl der bereits weltweit knapp gewordene Sand und Kies im Beton die beste Rohstoffquelle wäre. Leider muss auch hierfür das ganze Gebäude komplett zerlegt und zermahlen werden. Ein energetisch betrachtet nicht unerheblicher Aufwand.

Schema_BIM
Der Projektablauf im Überblick. Aus Betriebssicht und aus Projektsicht fließen Anforderungen in die Planung, den Entwurf und die Ausführung ein. Sie werden als Austausch-Informationsanforderungen AIA an die Lieferkette weitergegeben. Während die Lieferkette im BIM-Projekt modellbasiert arbeitet, benötigt der Bauherr möglicherweise Excel-Listen und Pläne für seine Entscheidungsprozesse. Deshalb werden entsprechende Formate aus dem Informationsmodell AIM abgeleitet und zur Freigabe an den Bauherrn übermittelt. Dies geschieht an vereinbarten Übergabepunkten. Meilensteine werden an wichtigen Projektpunkten erreicht und bündeln Informationen zur Übergabe an den nächsten Projektschritt.

Bisher will auch im Automobilbau niemand ein potentiell unsterbliches Auto, bei dem technische Verbesserungen auch in Altfahrzeuge nachträglich einfließen können. Wir müssen von der Ebene der Vorzeigeprojekte herunterkommen und umweltfreundliches Verhalten zum Markterfolg machen.

Porsche hat mal in den 1970ern ein Langzeitauto konzipiert, aber aus gutem kommerziellen Grund nie auf den Markt gebracht …

Wohingegen wir ja etwa bei Wohngebäuden durchaus eine Art Langzeitgebäude haben. Bei Gebäuden ist eben die Verbesserung der technischen Anlagen im Bestand möglich, man denke an den Austausch von Heizanlagen durch energetisch hochwertigere Systeme. Aber mir ist kein Gebäude bekannt, dessen äußere Hülle mit vertretbarem Aufwand durch eine komplett neue Struktur ersetzt worden wäre. Oft ist es mit dem Aufbringen eines handelsüblichen WDVS nicht getan, das Zusammenspiel von Heizen, Lüften und den physikalischen Eigenschaften der gesamten Außenhaut macht letztlich die energetische Gesamtbilanz aus.

Also die Abrissbirne für Gebäude aus den 1960ern und davor?

Für viele dieser Gebäude fürchte ich schon, da sie als "gestrandete Gebäude" nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können.

Wir wissen heute nicht, welche Anforderungen an Gebäude in 30 Jahren gestellt werden. Werden wir mit Wirbelstürmen, Starkwetterereignissen und langanhaltenden Dürreperioden leben müssen? Eine Antwort auf Unsicherheiten dieser Art, also eine strategy for uncertainty, ist die Komponentisierung. Komponenten sind hierbei austauschbare Module. Die sind mit ihren angrenzenden Modulen über klar definierte Schnittstellen verbunden. Ist dann ein Modul veraltet, kann es durch ein moderneres Modul mit gleichartigen Schnittstellen zu den angrenzenden Modulen ersetzt werden.

Was hieße dies für unsere Bauwerke? Wir müssten Konstruktionsarten entwickeln, die es ermöglichen betroffene Gebäudeteile zu ersetzen, wenn sich wesentliche Anforderungen ändern und zwar ohne gleich das komplette Gebäude abreißen und durch ein komplett neues Gebäude ersetzen zu müssen. Denn das entspricht dann den neuen Anforderungen im Dreißigjahresrhythmus wiederum vermutlich nicht mehr.

Herr Hartmann, haben Sie Dank für dieses Gespräch.

(Die Fragen stellten Bernhard Hauke und Burkhard Talebitari)


Hartmann_klein

Zur Person Ulrich Hartmann:

  • BIM-Enthusiast
  • Unabhängiger Digitalisierungs-Experte und Berater
  • Product Manager Oracle Construction and Engineering
  • Mit-Verfasser zahlreicher BIM-Normen bei CEN, DIN, VDI und der DIN BIM Roadmap
  • Leiter der CEN Arbeitsgruppe open CDE API
  • Autor zahlreicher Fachartikel, Dozent und Buchautor (u.a. Building Information Modeling - Grundlagen, Standards, Praxis)