Ultraschall für die Brücke: Forschungsgruppe stellt neues Prüfverfahren zur Bauwerksüberwachung vor
Brückenkollaps in Dresden belegt dringende Notwendigkeit für besseres Bauwerksmonitoring
Seit dem Teileinsturz der Carolabrücke in Dresden richtet sich eine breite öffentliche Aufmerksamkeit auf die Bauwerksüberwachung bzw. das Bauwerksmonitoring. In der Fachwelt hat das Thema längst Hochkonjunktur, wie jüngste Meldungen aus der Forschung zeigen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Prüfverfahren mit Ultraschall.
Die Forschungsgruppe "Concrete Damage Assessment by Coda Waves" (CoDA), bestehend aus Forschenden der Technischen Universität München (TUM), der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und der Hochschule Bochum (BO), hat jetzt vielversprechende Ergebnisse zu einem neuen Verfahren vorgestellt.
Mit Hilfe der sogenannten ultraschallbasierten, hochsensiblen Coda Wellen Interferometrie (CWI) sollen Bauwerke künftig nicht nur punktuell geprüft, sondern kontinuierlich und umfassend überwacht werden können. Dadurch ließen sich kritische Veränderungen an Bauten frühzeitig erkennen und Maßnahmen rechtzeitig ergreifen, um Sperrungen oder Evakuierungen zu verhindern.
Prüfmethode auf Beton- und Spannbetonbauteile zugeschnitten
Die CWI ist eine Methode zur Überwachung und Analyse von Materialveränderungen, welche insbesondere für Beton- und Spannbetonbauteile geeignet ist. Sie nutzt Ultraschallwellen, um sehr kleine Änderungen in der Materialstruktur zu detektieren.
Diese Technik ist besonders nützlich, um Spannungszustände und potenzielle Schäden frühzeitig zu erkennen. Die Forschungsgruppe CoDA (DFG FOR 2825) testet aktuell die Anwendung der CWI für die Überwachung von Stahlbetonbauwerken in Langzeittest an zwei Bauwerken.
Seit 2021 messen die Forschenden dabei mit Ultraschall-Sensoren den Zustand der 96 Meter langen Gänstorbrücke zwischen Ulm und Neu-Ulm. 2022 begannen zudem die Messungen an der Münchner U-Bahnstation Scheidplatz. Dort messen die Sensoren die Belastung der Decke des Bauwerks durch den oberirdischen Straßenbahnverkehr (siehe Video).
Computergestützte Modelle übersetzen Signale
Die röhrenförmigen Sensoren mit einer Länge von gerade einmal 75 Millimetern und einem maximalen Durchmesser von 20 Millimetern werden in Bohrlöchern oder unmittelbar bei Herstellung dauerhaft im Bauwerk angebracht und liefern kontinuierlich Daten über die momentane Belastung und alterungsbedingte Veränderungen des Materials. Die Signale der Ultraschallsensoren sagen zunächst nichts über den Grad der Schädigung und die genaue Position etwaiger Schäden aus. Sie müssen zunächst übersetzt und interpretiert werden.
Hier kommen komplexe mathematisch-physikalische Modellierungen und Simulationen ins Spiel. In Kombination mit maschinellem Lernen werden die Ultraschalldaten so interpretiert, dass sie die Änderungen der physikalischen Materialeigenschaften, wie Steifigkeit, auf verschiedenen Skalen übersetzen können. Nicht nur der Grad, sondern auch der Ort der Schädigung kann mittels der Methoden abgeleitet werden. Die Daten der Sensoren werden an einen Server übertragen, was eine Bauwerksüberwachung aus der Ferne ermöglicht. So könnten zukünftig viele Bauwerke zentral beobachtet werden.
Forscher erwarten dauerhafte Überwachung mit minimalem Eingriff
Für Christoph Gehlen, Professor für Werkstoffe und Werkstoffprüfung im Bauwesen an der TUM und Sprecher des CoDA-Projekts, sind die Ergebnisse der jahrlangen Versuche unter Realbedingungen eindeutig: "Uns ist es gelungen das CWI-Messverfahren derart zu verfeinern, dass wir zukünftig mit unseren Sensoren und den komplexen Auswertungsmodellen selbst große Bauten mit minimalen Eingriffen in die Struktur überwachen könnten."
Ausschlaggebend hierfür sei der systematische und ganzheitliche Ansatz, welcher sowohl die externen Einflüsse wie Temperatur und Feuchtigkeit als auch eine Vielzahl weiterer unterschiedlicher Faktoren für die Auswertung der Signale berücksichtigt. Der ganzheitliche Versuchsaufbau ist auf die folgenden sechs Forschungsschwerpunkte mit jeweils einem verantwortlichen Institut aufgeteilt:
- TUM1: Umwelt- bzw. mechanisch bedingte Änderungen in der (Beton-)Mikrostruktur und ihr Effekt auf die Codasignale
- RUB1: Skalenübergreifende Modellierung von Mikrostrukturänderungen im Beton und Schädigungsanalyse von Betonstrukturen zur Identifizierung von Coda-Signalen
- BO: Höchstleistungs-Simulationen der Wellenausbreitung für Strukturuntersuchungen von Beton
- RUB2: Korrelationen zwischen Ergebnissen thermo-mechanischer Experimente an Stahlbetonstrukturen und verteilten Coda Signalen
- TUM2: Großskalige, hybride Modelle zur Schadenserkennung in beliebig geformten Betontragwerken
- BAM: Codawellenbasierte Ultraschallmethoden für Beton - Erweiterung der Möglichkeiten durch 3D-Information, Kombination mit Schallemissionsanalyse und Erweiterung um zusätzliche Kennwerte hin zur Anwendung an realen Bauwerken